Erdogan kämpft gegen Spötter
Erdogan als Zebra, als islamistischer Kalif, als Politiker, der im Blut von Terroropfern in einem Boot Richtung Neuwahlen paddelt: Seit Jahren schon spotten die türkischen Satirezeitschriften „Leman“, „Penguen“ und „Uykusuz“ über den früheren Minister- und jetzigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan.
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Weil der aber keine Witzfigur sein mag, klagt er die Satiriker regelmäßig. Die Strafverfolgung des deutschen Satirikers Jan Böhmermann, die die Regierung in Ankara momentan fordert, ist für die türkischen Satiriker eine Alltäglichkeit. Böhmermann hatte in seiner Fernsehsendung „Neo Magazin Royale“ am 31. März ein Gedicht vorgetragen, das er zuvor ausdrücklich als „Schmähkritik“ angekündigt hatte.
Das ZDF löschte das Gedicht, in dem Böhmermann den türkischen Präsidenten unter anderem „sackdoof, feige und verklemmt“ genannt hatte, aus der Mediathek. Die Staatsanwaltschaft Mainz nahm in der vergangenen Woche Vorermittlungen auf, nachdem mehr als 20 Anzeigen gegen den Auftritt eingegangen waren. Momentan prüft die deutsche Bundesregierung, ob sie dem türkischen Ersuchen nach einem Strafverfahren wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts stattgibt.
Mögliche Klage schon eingerechnet
Eine Anklage wegen Beleidigung Erdogans planen regierungskritische türkische Journalisten und Satiriker mittlerweile quasi in ihren Arbeitsalltag ein. Seit Erdogans Wahl zum Staatspräsidenten im August 2014 wurden mehr als 1.800 Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung eröffnet. Die linke Tageszeitung „Birgün“, deren Chefredakteur kürzlich auch deswegen zu 21 Monaten Haft verurteilt wurde, widmet Erdogan mittlerweile sogar eine eigene Rubrik, die heißt: „Heute in der Präsidentenbeleidigung“.
„Leman“, „Penguen“ und „Uykusuz“ sind keine schwer erhältlichen Fanzines, sondern sind an vielen Zeitungsständen verfügbar. Die drei wöchentlich erscheinenden Comic- und Satirezeitschriften verkaufen nach eigenen Angaben bis zu 100.000 Exemplare landesweit. Ihre Cover sind meist politisch, in Opposition zur jeweiligen Regierung, und üben heftige Kritik an den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Ihre Zeichner sind im ganzen Land als Avantgardisten bekannt, müssen aber auch um ihre Leben fürchten. Denn die Blätter sind linksliberal und progressiv, für Nationalisten und überzeugte Regierungsanhänger ein Unding.
Beißend, nicht beleidigend
Dabei ist ihr Spott selten beleidigend, sondern beißend sowie immer an aktuellen Themen anlehnend. Zwei Beispiele: Im März, nach dem Terroraranschlag in Ankara, titelte „Penguen“ als Anspielung auf die von der Regierung immer wieder ausgerufene Nachrichtensperre in solchen Situationen: „Heute bin ich auch nicht gestorben. Allah, Allah ... interessant!“, sagt ein Mann, und weiter: „Oder bin ich etwa gestorben und weiß es wegen der Nachrichtensperre nicht?“
Als der Staatspräsident im November 2014 behauptete, die USA seien zuerst von Muslimen entdeckt worden, hob „Leman“ ihn auf den Titel: Auf diesem strandete ein erboster Erdogan in Amerika und war entsetzt über die Wildheit der Natur. Er befahl, an Ort und Stelle sofort ein Einkaufszentrum und eine Moschee zu bauen.
Satire hat lange Tradition
Satire hat in der Türkei eine lange Tradition. Schon seit Gründung der Republik gibt es Karikaturmagazine, die in den düsteren Tagen der jüngeren türkischen Geschichte, nach den Militärputschen 1971 und 1980, mit der Zensur durch die Junta zu kämpfen hatten. Mitte der 80er Jahre vollzog sich unter Staats- und Ministerpräsident Turgut Özal ein liberaler gesellschaftlicher Wandel.
Özal soll sogar Karikaturen von sich gesammelt haben, heißt es. In dieser Zeit entstand „Girgir“, die „Mutter“ aller türkischen Satirezeitschriften. Mit einer wöchentlichen Auflage von 500.000 Exemplaren war es das meistgelesene Satiremagazin im Land.
Satire kämpft ums Überleben
1991 wurde „Girgir“ in „Leman“ umbenannt, ehemalige Mitarbeiter brachten zudem die Blätter „Penguen“ und „Uykusuz“ heraus. Die alten Rekordauflagen werden freilich nicht mehr erreicht, doch immerhin haben sich bisher alle drei Blätter der Kontrolle Erdogans und seiner Anhänger entzogen. Sie kämpfen zwar ums finanzielle Überleben und gegen die berüchtigte Klagewut Erdogans, doch all das spornt die Redaktionen sogar noch an.
Als der Politiker etwa einst „Leman“ wegen einer Tierkarikatur klagte - er wurde als Katze gezeigt, die sich in einem Wollknäuel verhedderte -, zeichneten sie ihn fortan einfach als Gemüse weiter, etwa als Pfefferoni. „Girgir“ zeigte Erdogan auch schon als Krake, vor dessen riesigen Tentakeln niemand entkommen kann. Im März wurden zwei Zeichner von „Penguen“ wegen Beleidigung Erdogans zu einer Geldstrafe verurteilt, weil diese wieder einmal das Staatsoberhaupt kritisierten.
Sex, Erdogan und Glauben
Auf dem inkriminierten Titel ist ein missmutiger Erdogan zu sehen, der nach seiner Wahl zum Präsidenten von Beamten im Präsidialamt willkommen geheißen wird. Erdogan beklagt sich über den unzeremoniellen Empfang und fragt, ob man zur Feier des Anlasses „nicht wenigstens einen Journalisten schlachten“ könne.
Zwar machen sich alle drei Blätter über Glauben jedweder Art, Sex und Erdogan lustig, aber Witze über den islamischen Propheten Mohammed oder gar Mohammed-Karikaturen können sie in der mehrheitlich sunnitisch-islamischen Türkei nicht zeigen. 2002 waren die Cartoonisten von „Charlie Hebdo“ sogar nach Istanbul gereist, um mit ihren Kollegen von „Leman“ eine gemeinsame Ausgabe zu produzieren.
Keine Mohammed-Karikaturen
So war in keinem muslimisch geprägten Land die Anteilnahme nach den Morden an den Zeichnern von „Charlie Hebdo“ so groß wie in der Türkei. Als im Jänner 2015 die Pariser Redaktion der französischen Satirezeitschrift überfallen wurde, druckten „Leman“, „Penguen“ und „Uykusuz“ eine gemeinsame Gedenkausgabe, auf einer schwarzen Titelseite die „Je suis Charlie“-Parole - aber die Mohammed-Karikaturen waren aus Angst nirgends zu finden.
Dennoch wurden die Karikaturisten von Islamisten, Regierungsanhängern und Ultranationalisten bedroht. „Sie haben uns gesagt, dass sie uns töten, uns Köpfe und Hände abtrennen und in Stücke schneiden wollen“, erzählte Zafer Aknar, Redaktionsleiter bei „Leman“, in einem Fernsehinterview. In Sozialen Netzwerken wurde in Anspielung auf die zwölf Todesopfer der „Charlie Hebdo“-Attentäter eine Kampagne mit dem Titel „Es gibt bei Leman mehr als zwölf“ gestartet.
„10.000, 20.000 beschimpfen uns regelmäßig in den Sozialen Medien. Es scheint, als hätten sie eine regelrechte Armee von Beschimpfern. Einer sagt: ‚Los, beleidigt sie‘, und dann machen sie es. Natürlich macht einem das Angst. Wir bezahlen einen hohen Preis für unsere Arbeit“, sagte Aknar.
Cigdem Akyol APA
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