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„Wennst a Hackn hast, passt’s eh“?

Wer keine Arbeit hat, läuft Gefahr, in die Armut abzurutschen. Für viele Menschen ist aber auch eine Arbeit kein Garant dafür, über ausreichend Geld zu verfügen. Prekäre Jobs, Teilzeit und Niedriglöhne drängen Hunderttausende in die Erwerbsarmut - sie gelten als „Working Poor“.

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7,9 Prozent aller Erwerbstätigen sind in Österreich armutsgefährdet, das sind fast 300.000 Menschen. Die Schwankung war in den letzten Jahren nicht besonders groß, erklärt Marcel Fink vom Institut für Höhere Studien (IHS) gegenüber ORF.at. Fink nahm in zahlreichen Publikationen das Phänomen der „Working Poor“ unter die Lupe - ihn stört, dass in der Öffentlichkeit oft ein verkürztes Bild darüber vermittelt wird.

Aufklärung eines Missverständnisses

Denn armutsgefährdet trotz Arbeit, das kann zwar bedeuten, dass die betroffene Person 40 Stunden in der Woche und das ganze Jahr hindurch arbeitet. Meistens ist das aber nicht der Fall. Denn als „working“ gilt bereits, wer den Großteil des Jahres einer Erwerbsbeschäftigung nachgeht. „Das heißt nicht, dass sie das ganze Jahr erwerbstätig waren“, so Fink, sondern mindestens sechs Monate.

„Working Poor“ ist laut Definition jemand, dessen gewichtetes Haushaltseinkommen über das ganze Referenzjahr gerechnet weniger als 60 Prozent des mittleren gewichteten Haushaltseinkommens ausmacht (im Vorjahr waren das 13.956 Euro im Jahr). Im Wesentlichen heißt diese Definition der relativen Armutsgrenze, dass jemand armutsgefährdet ist, wenn er „im Vergleich zur Gesamtpopulation ein relativ niedriges Einkommen“ hat, so Fink.

Niedrige Löhne nur ein Faktor

Das Phänomen der Erwerbsarmut ist für den Experten jedenfalls ein „mehrdimensionales“, in das eine ganze Reihe von Faktoren hineinspielt. Die Erwerbsintensität ist einer der wichtigsten davon. Sie beschreibt, wie stark die Personen im Haushalt im Alter zwischen 20 und 64 Jahren erwerbstätig sind, also etwa ob sie das ganze Jahr über arbeiten, in Teilzeit oder in Vollzeit beschäftigt sind. Weiters relevant sind das individuelle Einkommen, die Haushaltszusammensetzung, das Haushaltseinkommen, die Ausgestaltung von Steuern und Abgaben und auch Sozialtransfers, die zu dem Erwerbseinkommen dazugerechnet werden. Kein „reines Arbeitsmarktphänomen“ also, so Fink.

Mehr als 100.000 arm trotz Vollzeitjobs

Auch wenn viele Haushalte, in denen „Working Poor“ leben, keine große Erwerbsintensität aufweisen, gibt es doch einen „harten Kern“, bei dem die Sache ganz anders aussieht. Und der ist mit 40 Prozent der rund 300.000 Erwerbsarmen nicht gerade klein. Diese rund 120.000 Personen leben in einem Haushalt, in dem die Erwerbsintensität aller Erwachsenen zusammengenommen und über das Jahr gerechnet 80 Prozent oder mehr der maximalen Erwerbsintensität beträgt.

„Obwohl der Haushalt insgesamt, also die Personen im erwerbsfähigen Alter, weitgehend durchgängig und großteils Vollzeit beschäftigt sind, schaffen sie es trotzdem nicht, das Einkommen oberhalb der Armutsgefährdungsschwelle zu generieren“, so Fink. „Das ist ein Problem im Lohngefüge.“ Das lange vorherrschende Motto „Wennst a Hackn hast, passt’s eh“ gelte eben nicht mehr. Selbst auf Politikseite sei ein Umdenken zu beobachten, so Fink. Nämlich dahingehend, dass der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit ein „hochwertiger oder guter Arbeitsplatz“ ist und eben nicht einfach nur ein Arbeitsplatz.

Wen es trifft

Das zeigt sich auch ganz deutlich, wenn man betrachtet, wer die meisten „Working Poor“ in Österreich sind. Eine „auffallende Gruppe“ sind Personen, die als Hilfsarbeiter tätig sind. Sie sind stark gefährdet und machen gleichzeitig einen großen Anteil an der Population der arbeitenden Armutsgefährdeten aus, erklärt der Experte.

Grafik zu "Working poor"

Grafik: ORF.at; Quelle: Statistik Austria

Das individuelle Risiko ist stark geprägt von der Haushaltszusammensetzung

Noch auffallender sei aber die Gruppe jener Personen, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben oder eingebürgert wurden. In diesen Fällen sei durchschnittlich die Erwerbsintensität des gesamten Haushalts eher niedrig. Oft weil Frauen aus bestimmten Herkunftsländern weniger häufig berufstätig sind. Andere Risikogruppen wie etwa Alleinerziehende haben zwar eine starke Gefährdung (nämlich 24 Prozent), sind laut Fink aber kein großer Faktor an der Gesamtzahl.

Bildung allein reicht nicht

Interessant in dem Zusammenhang ist der Faktor Bildung. Ein höherer Bildungsabschluss allein, so Fink, schützt nämlich nicht davor, „Working Poor“ zu werden. Zwar sind Personen, die einen Pflichtschulabschluss als höchste Ausbildungsstufe haben, viel stärker gefährdet - an der Gesamtzahl der Erwerbsarmen machen sie aber nur knapp 20 Prozent aus. Mehr als 50 Prozent aller armutsgefährdeten Erwerbstätigen, erklärt Fink, haben hingegen einen Lehrabschluss oder eine mittlere Schule besucht, 16 Prozent sogar eine Matura gemacht.

Ohne Sozialleistungen träfe es jeden fünften

„Am Ende des Tages“ verändern sich die Zahlen zu Erwerbsarmut durch einen wesentlichen Faktor besonders stark: nämlich die Sozialtransfers, also Familienbeihilfe, Arbeitslosengeld (in den Monaten des Jahres, in denen nicht gearbeitet wurde) oder etwa auch Mindestsicherung (die Niedriglöhne „aufstockt“). Sie vermindern das Problem „substanziell“. Würde man „so tun, als würden alle keine Sozialtransfers kriegen und als ob sie allein leben würden“, schnellt nämlich die Zahl der „Working Poor“ nach oben. Statt 7,9 Prozent wären das dann plötzlich über 20 Prozent. „Der Arbeitsmarkt selber würde eine viel höhere Zahl von ,Working Poor‘ produzieren“, so Fink.

Warum das kein Frauenproblem ist

Und diese wären vielfach weiblich. Für Frauen mildert der Haushaltskontext die Problematik ab, erklärt Fink. Etwa 41 Prozent der erwerbstätigen Armutsgefährdeten sind Frauen. Würden diese aber individuell und nicht im gesamten Haushalt betrachtet, wäre die Zahl „um ein x-Faches“ höher. Bei Männern verhält es sich umgekehrt. Für sie steigt die Armutsgefährdung, wenn sie das Einkommen teilen müssen.

Wobei sich natürlich die Frage stellt, ob Frauen auf das Partnereinkommen auch Zugriff haben und wie es mit der Altersvorsorge aussieht. Ganz so unweiblich ist das Phänomen damit also wohl doch nicht.

Petra Fleck, ORF.at

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