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Mitten aus dem echten Leben

In seiner Ausstellung „Klick! Linzer Fotografie der Zwischenkriegszeit“ zeigt das Nordico Museum, wie viel das Bildergedächtnis einer Epoche zum Verständnis gesellschaftlicher und politischer Zusammenhänge und Kontinuitäten beitragen kann. Das ist - nicht zuletzt - sehr unterhaltsam.

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„Mach es wie die Sonnenuhr, zähl’ die heitren Stunden nur“, sangen Eugen Wolff und Paul Dorn 1935. Keine krisenhafte Zeit wird nur als Krise erlebt - nicht zuletzt dadurch unterscheiden sich Kriegs- von Krisenzeiten. So war es auch in den 20er und 30er Jahren. Am Beispiel der Fotografie zeigt sich das gleich in mehrerlei Hinsicht.

Fotografieren war ein schöner Beruf - und ein schönes Hobby. Neben den Profis gab es noch die ambitionierten, künstlerischen Amateure und die Alltagsknipser. In ihren Bildern konserviert sich die Zeit: Wirtschaftskrise, Bürgerkrieg, Ständestaat, der dräuende Nationalsozialismus und die Vorboten des Krieges. Und dann eben die andere Seite - weil die Menschen weiter in die Berge und ins Freibad gingen, in den Cafes tanzten, turtelten und Zeit mit der Familie verbrachten, weil nicht nur Altes verfiel, sondern auch Neues aufgebaut wurde.

Ausstellungsansicht

Norbert Artner

Die Anmutung von Seiten alter Fotoalben ist beabsichtigt - und stimmig

Hunde als Zugtiere und Party im Cafe

Die Ausstellung im Linzer Nordico Museum liefert auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zur „Geschichtsschreibung von unten“ im Sinne der französischen Annales-Schule des frühen 20. Jahrhunderts und später der Grassroots-Bewegung der US-Bürgerrechtler in den 60er Jahren. Wobei Herrschaftsgeschichte nicht ausgeblendet wird. Man sieht im Nordico den Festakt zur Republikgründung 1918, Engelbert Dollfuß bei einer Parade und Adolf Hitler bei seinem Triumphzug durch die „Ostmark“ beim „Anschluss“.

Gleichzeitig erfährt man Erstaunliches. Etwa dass Hunde als Zugtiere für Anhänger benutzt wurden und dass Cafehäuser, die etwas auf sich hielten, eigene Bands beschäftigten und zum Tanz luden. Es gibt Bilder von Plätzen, die gar nicht so grundsätzlich anders aussehen als heute, wenn man sich das Outfit der Frauen und die eine oder andere Kutsche wegdenkt: Eine Palmers-Filiale am Eck, ein Kino, ein Hotel, ein Geschäft für Unterhaltungselektronik, dazu Fußgänger, ein Fahrradfahrer und ein Auto.

Heimwehrjugend, 1930er Jahre

NORDICO Stadtmuseum Linz/Unbekannter Fotograf

Die Heimwehrjugend wurde auf Krieg gedrillt

Ein Marktplatz als Wimmelbild

Bemerkenswert sind gerade jene Fotos, die Alltagsszenen einfangen, wie etwa Ernst Fürböcks großformatiges Wimmelbild des Markttreibens auf dem Linzer Hauptplatz - eines der Lieblingsbilder von Kuratorin Brigitte Reutner. Da sind die Menschen weder für ein Porträt herausgeputzt - noch als Puzzleteile einer Sozialreportage drapiert. Man sieht ein Mädchen im Kostümchen, barfuß und mit Milchkanne, Frauen mit Kopftüchern, einen Mann mit Hut und Zigarette, Fahrräder. So muss Leben damals gewesen sein.

Ausstellungshinweis

Die Ausstellung „Klick! Linzer Fotografie der Zwischenkriegszeit“ läuft im Linzer Nordico Museum noch bis 11. September. Zur Ausstellung ist ein reich bebilderter und umfangreich kommentierter Katalog erschienen.

Wer als Berufsfotograf arbeitete, hatte ein eigenes Studio. Im Nordico werden mehrere solcher Profis vorgestellt, darunter neben Fürböck auch Otto Kaiser und Alois Schwarz - und es wird sogar Studioatmosphäre geschaffen, mit einer für damals typischen Fototapete als Hintergrund, diversen Requisiten und einem Birkenbänkchen, auf dem man die Familie drapieren konnte. Auch die Stadt beschäftigte Fotografen, die vor allem die Veränderung des Stadtbildes festhalten sollten, also Gebäude vor dem Abriss und dann den Neubau, dazu die Arbeitssituation in städtischen Betrieben und technische Neuerungen.

Eine Frau sitzt auf einem Stein, Almsingwoche in Niederthai, Ötztal, 1931

Leihgabe aus Privatbesitz, Linz/Fotograf unbekannt

Ein klassischer „Knipser“-Fehler: Füße abgeschnitten

Suchbilder mit Fehlern

In der Hierarchie gleich dahinter rangierten die Amateurfotografen, darunter Heinz Bitzan, Michael Neumüller, Alfred Schausberger, Helene Clodi-Titze und Karl Treml. Sie waren in Vereinen organisiert und stellten an ihre Bilder einen hohen künstlerischen Anspruch. Sie verwendeten teure Kameras - ein Hobby vor allem für Ärzte und Anwälte - und orientierten sich in Sachen Bildkomposition an der Malerei. Die „Linzer Schule“ war für ihren eigenen Stil bekannt, geprägt vom Weichzeichner. Ihre Kunstwerke publizierten die Amateure auf eigens eingerichteten Seiten in Tageszeitungen und in Fachzeitschriften.

Ganz klar abgrenzen wollten sich die Amateure von den Knipsern, die auf so etwas wie Bildkomposition pfiffen und einfach schöne Momente festhalten wollten, um sich später daran erinnern zu können. Die Amateure schrieben sogar regelmäßig Artikel, in denen sie anhand einzelner Bilder beckmesserisch die Fehler von Knipsern aufzählten und dann das Foto noch einmal schossen, so, wie es ihrer Meinung nach von Anfang an hätte sein sollen.

Mitglieder der Kunstphotographischen Vereinigung Linz

Fotograf unbekannt

Die Mitglieder der Kunstphotographischen Vereinigung Linz, um 1936

Wo Nazi-Ideologie auf fruchtbaren Boden fiel

Das Nordico Museum hat sich der verdienstvollen Aufgabe verschrieben, seinen enormen Fotobestand, der sich aus unterschiedlichsten Sammlungen speist, zu digitalisieren und - vielleicht sogar noch heuer - kostenfrei online zugänglich zu machen, wie Kuratorin und Sammlungsleiterin Andrea Bina gegenüber ORF.at sagt.

Auch für Nichthistoriker lassen sich so historische Zusammenhänge erfassen. Etwa dass die Nazi-Begeisterung in Österreich nicht vom Himmel fiel. In der Heimwehr wurde die Jugend auf Krieg getrimmt - und Deutschtümler feierten das Julfest lange vor 1938, weil sie das christliche Weihnachten ablehnten.

Das Bildergedächtnis von morgen

Die Funktion des Bildergedächtnisses kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zeitgenössische Knipserbilder sammelt das Nordico übrigens nicht. Zuletzt im Gespräch mit einem Teenager zur Frage, was er und seine Freunde eigentlich mit den Hunderttausenden Smartphone-Fotos machen, ob sie die irgendwie beschriften und ablegen: „Nein. Wenn das Handy hin ist, sind sie weg. Mit dem neuen machen wir dann halt neue Fotos.“

Da geht Zeugenschaft verloren, wenn die Bilder nicht einmal mehr heruntergeladen werden. Zu viel Speicherplatz muss kein Segen sein. Zumindest nicht für die Geschichtsschreibung von unten der Zukunft. Aber die hat ja noch Facebook und WhatsApp - da gehen keine Daten verloren. Nicht einmal wenn man sich das wünschen würde.

Simon Hadler, ORF.at

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