Präsident verteidigt Entscheidung
Seit zwei Jahren steckt Mazedonien mehr oder weniger in einer innenpolitischen Krise - nun hat eine von Präsident Gjorge Ivanov verfügte Amnestie für in einen Abhörskandal verwickelte Politiker mehrfach Proteste und damit eine neue akute Krise ausgelöst.
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Die Opposition warf dem Präsidenten vor, mit seiner Entscheidung vom Dienstag die politische Krise im Lande noch verschärft zu haben. Das US-Außenministerium rief Ivanov in einer Mitteilung auf, seine Entscheidung zu überdenken, da diese „korrupte Beamte schützen und der Bevölkerung Mazedoniens Gerechtigkeit vorenthalten“ könne. Auch EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn kritisierte die Amnestie als nicht mit der europäischen Rechtsauffassung konform.

Reuters
Demonstranten werden von der Polizei zu Boden gedrückt
Die führende mazedonische Oppositionskraft, der Sozialdemokratische Bund (SDSM), beantragte am Mittwoch die Abhaltung einer Sondersitzung im Parlament und die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Ivanov. Der Antrag wurde laut Medienberichten von 37 Abgeordneten unterzeichnet, darunter auch jenen aus anderen Oppositionsparteien. Notwendig waren 20 Stimmen.
Ivanov: Amnestie-Idee stammte von Oppositionschef
Am Donnerstag verteidigte Ivanov seine Entscheidung. Im mazedonischen Fernsehen sagte er, dass die ermittelnde Sonderstaatsanwaltschaft im laufenden Wahlkampf vor der Parlamentswahl missbraucht werde. Er warf ausländischen Botschaftern vor, Druck auf ihn auszuüben.
Ivanov erklärte danach weiter, dass die Idee für die Amnestie auf Oppositionsführer Zoran Zaev von den Sozialdemokraten (SDSM) zurückgehe. Dieser habe ihn in einem Telefongespräch am 9. April um die Amnestie ersucht. Zaev habe um Garantien gebeten, dass er nicht festgenommen werde, da sonst seine Karriere ruiniert wäre, erläuterte der Staatspräsident. Zaev war im Vorjahr eines Putschversuches angeklagt worden.
Gewaltsame Proteste in Skopje
Am Donnerstagabend erschütterten bereits den dritten Tag in Folge gewaltsame Proteste die mazedonische Hauptstadt Skopje. Im Zentrum Skopjes kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten, die gegen den Amnestiebeschluss protestierten. Mindestens zwei Polizisten seien verletzt und 14 Demonstranten festgenommen worden, berichtete das Onlineportal Media.mk.
Staatsanwältin will weiterermitteln
Die im September berufene Sonderstaatsanwältin Katica Janeva will ihre Ermittlungen zur Abhöraffäre trotz der Amnestie fortsetzen. Die Sonderstaatsanwaltschaft habe nicht die Absicht, sich mit den politischen Auswirkungen der Entscheidung des Staatschefs zu befassen, hieß es laut Medienberichten aus der Sonderstaatsanwaltschaft. Auch würden die begnadigten Personen nicht von den Ermittlungen ausgenommen werden. Durch seine Entscheidung hatte Ivanov die Arbeit der Sonderstaatsanwaltschaft praktisch aufgehoben.

APA/AFP/Robert Atanasovski
Bei den Randalen wurden auch Geschäfte beschädigt
In einer Fernsehansprache hatte Ivanov zuvor beklagt, dass die Politiker des Landes hauptsächlich damit beschäftigt seien, einander zu beschuldigen und vor Gericht zu bringen. „Um dieser politischen Krise ein Ende zu bereiten, habe ich beschlossen, allen juristischen Aktivitäten gegen Verantwortliche sowohl der Regierung als auch der Opposition ein Ende zu setzen.“
Vorwürfe der Korruption und Misswirtschaft
Der kleine Balkan-Staat mit 2,1 Millionen Einwohnern steckt seit der Wahl im Jahr 2014 in einer politischen Krise. Damals gewann die VMRO-DPMNE. Der SDSM klagte aber über Wahlfälschung und boykottierte das Parlament. Im vergangenen Jahr weitete sich die Krise noch aus, als der SDSM dem damaligen Regierungschef Nikola Gruevski vorwarf, 20.000 Menschen seien abgehört worden, darunter Politiker und Journalisten.
Die Mitschnitte sollten großangelegte Korruption, Misswirtschaft, die Drangsalierung der Justiz, Knebelung der Medien und Kriminalisierung politischer Gegner beweisen. Gruevski hatte die Aufnahmen als Machwerke eines nicht näher bezeichneten ausländischen Geheimdienstes bezeichnet. Sie seien angefertigt worden, um ihn zum Rücktritt zu zwingen.
Neuwahlen keine Lösung
Anfang dieses Jahres trat Gruevski zurück, der Verbündete des Präsidenten gilt aber noch immer als der starke Mann im Land. Nach einer Vermittlung durch die EU hatte man sich auf Neuwahlen am 24. April geeinigt, den Termin dann aber auf den 5. Juni verschoben. Allerdings will die Opposition die Wahl boykottieren, weil die Voraussetzungen aus ihrer Sicht nicht erfüllt sind.
Auf der Liste der von Ivanov ohne jegliches Gerichtsverfahren begnadigten Politiker befinden sich 56 Personen sowohl aus den Reihen der regierenden VMRO-DPMNE als auch aus dem SDSM. Die umstrittene Entscheidung des Staatschefs und die Namen der Begnadigten wurden am Mittwoch im Amtsblatt veröffentlicht.
Amnestie auch für Ex-Premier Gruevski
Wie erwartet findet sich als prominentester Vertreter Ex-Premier Gruevski auf der Liste. Sämtliche in die Angelegenheit verwickelte Personen ließ Ivanov nun begnadigen, darunter etwa der frühere Verkehrsminister und VMRO-DPMNE-Funktionär Mile Janakovski in insgesamt 16 Fällen sowie Ex-Innenministerin Gordana Jankuloska in 13 Fällen. Beide waren im Mai 2015 nach blutigen Kämpfen der Polizei mit einer bewaffneten Albanergruppe zurückgetreten. Unter den Begnadigten befinden sich auch der einstige Präsident Mazedoniens, Branko Crvenkovski, und eben SDSM-Chef Zaev. Sie haben Ivanov jedoch aufgefordert, ihre Namen von der Liste zu streichen.
Demonstranten griffen Präsidentenbüros an
In der mazedonischen Hauptstadt Skopje protestierten am Mittwochabend wie schon am Abend zuvor Tausende Menschen erneut gegen die von Ivanov verkündete Amnestie. Es kam wie die Nacht zuvor zu chaotischen Szenen. Unter anderem wurde ein Gebäude mit Büros des Präsidenten und das Justizministerium angegriffen. Demonstranten warfen mit Steinen und Eiern. Scheiben gingen zu Bruch, Möbel wurden zertrümmert und in Brand gesteckt. Zwölf Menschen wurden nach Polizeiangaben festgenommen, ein Journalist verletzt. Vor dem nahe gelegenen Parlament versuchten Anhänger des SDSM, einen Polizeikordon zu durchbrechen, der sie von Unterstützern der regierenden VMRO-DPMNE fernhalten sollte, wie ein Journalist beobachtete.
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