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Brüssel fordert Pragmatismus ein

Seit 20. März ist das EU-Türkei-Abkommen zu Flüchtlingen in Kraft. Es gab bereits erste Abschiebungen per Schiff von Griechenland in die Türkei. Formell werden alle Regeln eingehalten. Freilich gibt es zahlreiche Kritikpunkte und offene Fragen.

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Erst in letzter Minute unterzeichnete das griechische Parlament jenes Gesetz, das Abschiebungen in als sicher geltende Drittländer erlaubt. Zumindest bei Start der ersten Abschiebungen waren die dafür vorgesehenen Lager auf türkischer Seite nicht fertig. Auf griechischer Seite fehlen jene Richter und Experten, die für die rasche Abarbeitung der Asylanträge sorgen sollen.

Anders als noch im letzten Jahr müssen de facto alle neu ankommenden Flüchtlinge einen Asylantrag in Griechenland stellen, um überhaupt eine Chance zu haben, in Europa bleiben zu dürfen, da die Weiterreise - Stichwort: gesperrte Balkan-Route - nicht möglich ist. Zumindest einige Verfahren werden aber wohl vor dem Europäischen Gerichtshof landen. Es ist daher fraglich, ob Asylverfahren tatsächlich binnen 14 Tagen, wie von Athen angepeilt, entschieden werden können.

EU-Spitze verteidigt Flüchtlingsdeal

Die politische Spitze der Europäischen Union verteidigte am Mittwoch erneut das Abkommen mit der Türkei über die Rückführung von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei gegen Kritik. „Es ist eine gefährliche Illusion zu glauben, dass es eine ideale und hundertprozentig effektive Lösung gibt“, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Mittwoch vor dem Europaparlament in Straßburg.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, das Abkommen sei wegen mangelnder Solidarität innerhalb der EU nötig gewesen. Kritik, die EU liefere sich damit dem Wohwollen Ankaras aus, widersprach Juncker: Es gebe mehr als genug Themen, bei denen die EU und die Türkei unterschiedlicher Meinung seien.

Wie sicher ist das sichere Drittland?

Trotzdem gibt es viele gewichtige Einwände gegen den EU-Türkei-Deal: Laut Amnesty International schiebt die Türkei täglich bis zu hundert syrische Flüchtlinge in das Bürgerkriegsland ab. Ankara bestreitet das, unabhängige Bestätigungen für den Bericht gibt es nicht. Stimmt, was Amnesty behaupt, ist die Türkei allerdings kein sicheres Drittland. Ankara will auch die meisten aus Griechenland zurückgenommenen Nichtsyrer in ihre Herkunftsländer abschieben, darunter Afghanen und Iraker.

Überdies werden die Menschen bis zu ihrer Abschiebung auf den griechischen Inseln teils eingesperrt. In einem Lager auf Chios gab es gewaltsame Ausschreitungen aus Protest gegen die Internierung, dabei wurden mehrere Flüchtlinge schwer verletzt und ein Behandlungsraum von Ärzte ohne Grenzen verwüstet.

NGOs machen nicht mit

Weil Hilfsorganisationen keine Helfershelfer einer als inhuman gesehenen Politik sein wollen, haben sie die Zusammenarbeit mit den griechischen Behörden eingeschränkt. Um die Flüchtlinge gegen ihren Willen auf die Schiffe zurück in die Türkei zu bringen, sind massive Sicherheitsvorkehrungen erforderlich. Auch das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) stoppte wegen Bedenken gegen das Abkommen Transporte von Menschen in das Lager auf Lesbos. Zudem sieht das UNHCR durch das erklärte Ziel, alle Neuankömmlinge zurückzuschicken, die internationale Verpflichtung gebrochen, jeden Fall einzeln zu prüfen.

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