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„Innenpolitisch verheerend“

Der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs von Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams, hat die deutsche Bundesregierung davor gewarnt, die Justiz zu einer Strafverfolgung des Moderators Jan Böhmermann zu ermächtigen. „Es wäre innenpolitisch auch verheerend, wenn die Regierung Erdogans Begehren nachkäme“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Mittwoch-Ausgabe).

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„Sie würde damit nicht nur Jan Böhmermann, sondern gleichsam die Meinungs- und Kunstfreiheit an einen Autokraten und Despoten ausliefern, der bürgerliche Freiheiten im eigenen Land auf gröbste Weise missachtet“, so Bertrams.

Juristisch „auf der Kippe“

In seiner ZDF-Fernsehshow „Neo Magazin Royale“ hatte Böhmermann vorletzte Woche in einem Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bewusst beleidigende Formulierungen benutzt. Er kündigte das Gedicht in der Sendung als Beispiel für herabwürdigende Schmähkritik an, um die Unterschiede zwischen in Deutschland erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik deutlich zu machen.

Erdogan hatte daraufhin Anzeige erstattet. Er bezieht sich auf den Paragrafen 185 des Strafgesetzbuchs, Laut dem eine Beleidigung strafrechtlich belangt werden kann. Die deutsche Bundesregierung prüft derzeit, ob sie die Staatsanwaltschaft ermächtigen soll, Böhmermann wegen Beleidigung eines Staatsoberhaupts zu verfolgen.

Bertrams sieht Böhmermanns umstrittenen Beitrag durch die vom Grundgesetz garantierte Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt, räumte aber ein, dass diese Position juristisch „auf der Kippe“ stehe. Es werde „mit Sicherheit“ Richter geben, die Böhmermanns Text als strafbare Schmähkritik einstufen.

Meinungsfreiheit „ist ein hohes Gut“

Angesichts der Vorwürfe gegen Böhmermann betonte die Chefin der deutschen Länder-Rundfunkkommission, Malu Dreyer (SPD), die Bedeutung der Meinungsfreiheit: „Die Freiheit der Presse, der Meinung und der Kunst in unserem Land ist ein hohes Gut“, so Dreyer. „Es ist von unserem Grundgesetz geschützt und nicht verhandelbar. Hier zeigt sich die Stärke unseres Rechtsstaats.“ Dreyer ist Juristin und hat früher auch als Staatsanwältin gearbeitet.

Sie verwies auf die Rolle der Justiz: „Sollte die Bundesregierung aufgrund des förmlichen Strafverlangens der türkischen Seite die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen, wird seitens der Justiz verantwortungsvoll nach unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen entschieden werden.“

Juncker nimmt Stellung

In der Causa Böhmermann nahm nun auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker Stellung. Er äußerte am Mittwoch Unverständnis für die Haltung Erdogans. Er könne nicht nachvollziehen, dass der deutsche Botschafter „wegen einer zugegebenermaßen unmöglichen Satire einbestellt wird“, sagte Juncker am Mittwoch in Straßburg. „Das bringt die Türkei nicht näher an uns heran, sondern entfernt uns voneinander.“

Juncker versicherte, sosehr die EU die Zusammenarbeit mit der Türkei in der Flüchtlingskrise schätze, so unverändert bleibe die Haltung der EU bei Grundwerten. Wenn sich die Türkei in den Beitrittsverhandlungen auf die EU zu bewege, werde er das begrüßen, so Juncker.

Erdogan-Anwalt will „alle Rechtsmittel ausschöpfen“

Michael-Hubertus von Sprenger, der deutsche Anwalt des türkischen Präsidenten, ist bereit, mit seinem Mandanten gegen Böhmermann alle Rechtsmittel auszuschöpfen - bis zur letzten Instanz. „Wenn ich das Mandat annehme, ziehe ich das auch durch“, sagte von Sprenger im Interview mit „heute journal“-Moderator Claus Kleber am Dienstagabend im ZDF.

„Der Präsident verspricht die Bestrafung des Betroffenen und verspricht sich auch, dass der in Zukunft das nicht wiederholt, was er gesagt hat, auf zivilrechtlicher Ebene“, so von Sprenger weiter. Auf die Frage, warum sich der türkische Präsident überhaupt um Satirebeiträge im deutschen Fernsehen kümmere, entgegnete von Sprenger: „Die Frage können Sie mir als Juristen nicht stellen. Das ist eine höchstpersönliche Frage, die ich nicht beantworten kann.“

Böhmermann unter Polizeischutz

Nach den heftigen Reaktionen auf seine umstrittene Satire sagte Böhmermann indes seine nächste Sendung ab. Die für Donnerstag geplante Ausgabe des „Neo Magazin Royale“ falle aus, teilten Böhmermann und die Produktionsfirma btf GmbH am Dienstag auf der Facebook-Seite der Sendung mit. „Grund ist die massive Berichterstattung und der damit verbundene Fokus auf die Sendung und den Moderator.“ Die Entscheidung erfolgte laut den Angaben in Abstimmung mit dem ZDF. Der Sender erklärte dazu: „Wir respektieren die Entscheidung der Produktionsfirma und Jan Böhmermanns und haben Verständnis für deren Begründung.“

Böhmermann steht mittlerweile unter Polizeischutz. „Ein Streifenwagen steht vor der Tür“, sagte ein Polizeisprecher am Dienstag in Köln. Man stehe auch mit anderen Sicherheitsbehörden in Kontakt. Zuvor habe es eine Beurteilung der Gefährdungslage gegeben. „Wenn man etwas nicht ausschließen kann, dann muss man etwas tun“, sagte der Polizeisprecher.

Merkel verweist auf Freiheit der Kunst

Merkel hatte sich am Dienstag in der Causa zu Wort gemeldet und die Meinungsfreiheit in Deutschland betont. „Wir haben die Grundwerte des Grundgesetzes. Dazu gehört der Artikel fünf, das ist die Freiheit der Meinung, der Wissenschaft und natürlich auch der Kunst“, sagte Merkel am Dienstag in Berlin. „Diese Grundwerte gelten unbeschadet aller politischen Probleme, die wir miteinander besprechen“, fügte Merkel hinzu. „Dazu gehört auch das Thema Flüchtlinge.“

Merkel betonte, dass sie in der Flüchtlingskrise eine gemeinsame Lösung mit der Türkei anstrebe. Die Frage des Flüchtlingsabkommens zwischen Ankara und der Europäischen Union sei von der Kontroverse um die Böhmermann-Satire und dem Schutz der Meinungsfreiheit in Deutschland aber „völlig entkoppelt“.

Türkischer Antrag wird „intensiv geprüft“

Für das von der Türkei verlangte Vorgehen wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts ist die Zustimmung der deutschen Regierung erforderlich. Ob diese der türkischen Aufforderung eines Strafverfahrens nachkommen wird, ließ Merkel offen. Das werde intensiv geprüft. Mittlerweile hat Erdogan auch direkt Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft Mainz gestellt.

Zudem gehen auch mehr und mehr private Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft Mainz ein. Die Zahl liege inzwischen in deutlich dreistelliger Höhe, teilte Oberstaatsanwalt Gerd Deutschler am Dienstag mit. Die Anzeigen richten sich gegen den Satiriker Böhmermann oder gegen Verantwortliche des ZDF. Die Kanzlerin hatte Böhmermanns Gedicht in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu als „bewusst verletzend“ bezeichnet. Kritiker warfen ihr vor, beim Schutz der Meinungsfreiheit vor der türkischen Regierung einzuknicken.

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