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Persönlicher Strafantrag von Erdogan

Seit Mitte März ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor allem wegen der Einschränkungen der Meinungsfreiheit im eigenen Land das Ziel von Satire im deutschen öffentlich-rechtlichen TV. Nach dem NDR-Satiremagazin „extra 3“ legte Jan Böhmermann in seiner Satiresendung „Neo Royal“ im ZDF mit einem deklarierten Schmähgedicht nach.

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Und Erdogan stieg auf die von Böhmermann in dessen Sendung als solche ausgewiesene Provokation ein. Er forderte nun in einem persönlichen Brief einen Strafantrag gegen Böhmermann. Das bringt die deutsche Regierung in die Bredouille. Denn diese ist in der Flüchtlingskrise mehr denn je auf gute Beziehungen zu Ankara angewiesen.

Jan Böhmermann

APA/AFP/Britta Pedersen

Mit dem Varoufakis-Mittelfinger-Video nahm Böhmermann im Vorjahr mediale Aufgeregtheit aufs Korn. Nun wählte er Erdogan und dessen Umgang mit Medien zum Ziel.

Die deutsche Rechtslage verlangt, dass Berlin einem Verfahren als Vertreter ausländischer Staaten zuerst zustimmen muss. Das fordert Ankara. Durch Erdogans persönlichen Strafantrag werden zudem Ermittlungen auch für den Fall möglich, dass Berlin dafür kein grünes Licht gibt.

Merkel betont Meinungsfreiheit

Merkel selbst hob die Bedeutung der Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland hervor. „Diese Grundwerte gelten unbeschadet aller politischen Probleme, die wir miteinander besprechen“, sagte Merkel am Dienstag in Berlin. Die Kanzlerin betonte, dass sie in der Flüchtlingskrise eine gemeinsame Lösung mit der Türkei anstrebe. Die Frage des Flüchtlingsabkommens zwischen Ankara und der Europäischen Union sei von der Kontroverse um die Böhmermann-Satire und dem Schutz der Meinungsfreiheit in Deutschland aber „völlig entkoppelt“.

„Unabhängiger Justiz übergeben“

Eine Entscheidung kündigte Merkels Sprecher Steffen Seibert Montagabend für die nächsten Tage an. In welche Richtung es dabei gehen könnte, zeigen möglicherweise Stimmen deutscher Politiker am Tag nach Erdogans persönlichem Strafantrag. Sie sehen darin vor allem eine „Chance“. Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Ansgar Heveling (CDU), sieht die Kontroverse um den Satiriker Böhmermann, der im Vorjahr und heuer den Grimme-Preis gewann, als Möglichkeit, dass die Bundesrepublik nach außen klar darstellen kann, für welche Werte sie steht.

Der deutsche „Schah-Paragraf“

Rechtliche Grundlage für eine mögliche Strafverfolgung ist Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs, der die Ehre und das Ansehen ausländischer Staatsoberhäupter besonders schützt. Den Namen hat der Paragraf, weil sich der persische Schah in den 1960er Jahren wegen Karikaturen mehrmals auf das Gesetz berief.

„Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, dass der unabhängigen Justiz die Möglichkeit gegeben wird zu überprüfen, ob die Äußerungen von Herrn Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten als Schmähkritik den Tatbestand der Beleidigung eines Staatsoberhauptes erfüllen“, sagte Heveling der „Rheinischen Post“ (Dienstag-Ausgabe). „Eine solche Überprüfung wäre ein Signal dafür, dass wir solche Streitfragen unserer unabhängigen Justiz überlassen.“

Der CDU-Politiker verwies darauf, dass die deutsche Rechtsprechung seit jeher als sehr meinungs- und kunstfreiheitsfreundlich gelte. Seine Empfehlung: „Wir sollten auf die Stärke unseres Rechtsstaates vertrauen.“ Er rechne auch nicht mit einer Verurteilung.

„Wert der Pressefreiheit demonstrieren“

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte der Zeitung: „Die Bundesregierung hat sich im Fall Böhmermann in eine peinliche Lage manövriert. Doch das bietet auch die Chance, jetzt Haltung zu beweisen und Richtung Türkei zu demonstrieren, was uns Presse- und Meinungsfreiheit wert sind.“

Der Deutsche Journalistenverband nannte den ganzen Vorgang „eine Farce“. Die „Süddeutsche Zeitung“ forderte in einem Kommentar die Aufhebung der Strafbestimmung, die aus dem 19. Jahrhundert stammt - und das ohne die Einschränkungen, die seit 1871 gegolten hätten.

Fall für Karlsruhe?

Kommt es zu einem Verfahren, so könnte der Fall nach Einschätzung des Hamburger Medienrechtlers Stefan Engels durch alle Instanzen bis vors Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gehen. „Ich habe einen Fall in dieser Zuspitzung noch nicht erlebt.“

Im Kern würde es um die Frage gehen, ob Böhmermann die Grenze zur Herabwürdigung eines Menschen überschritten habe. Das Spannende daran sei, dass Böhmermann Erdogan mit seinem „Schmähgedicht“ nach eigener Aussage gar nicht schmähen, sondern lediglich ein Beispiel dafür geben wollte, wie eine Schmähung aussehen würde. Das müsse bei der Bewertung berücksichtigt werden. Allerdings stellt sich laut Engels die Frage, ob als Beispiel nicht ein, zwei Zeilen gereicht hätten.

Erste Reaktionen waren ablehnend

Anders als am Dienstag hatten sich deutsche Politiker quer durch die Parteien zuvor noch ablehnend zu einem möglichen Verfahren geäußert. Der Satiriker hatte das Gedicht voller unflätiger Beleidigungen Erdogans in der Sendung vom 31. März vorgetragen - und dabei selbst mehrfach gesagt, das sei keine Satire, sondern Schmähkritik und damit in Deutschland verboten. Das ZDF distanzierte sich von dem Auftritt und löschte den Beitrag aus dem Archiv.

Türkische Satiriker kritisierten den Strafantrag Erdogans unterdessen ebenfalls. „Das ist eine große Schande“, sagte der Chefredakteur der Satirezeitschrift „Leman“, Zafer Aknar, der dpa am Dienstag in Istanbul. Aknar erinnerte daran, dass auch Erdogan aufgrund eines Gedichts im Gefängnis saß. „Wäre ihm damals die Demokratie nicht zur Hilfe geeilt, wäre er weder Ministerpräsident noch Staatspräsident geworden.“

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