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Hälfte aller Wähler schon verloren?

Für das Wort „politikverdrossen“ gibt es im Englischen keine wirkliche Übersetzung, und das nicht von ungefähr: Wie hart die Auseinandersetzungen etwa bei US-Vorwahlen auch sein mochten, sie hinterließen kaum je verbrannte Erde. Das scheint diesmal im zunehmend aggressiven US-Vorwahlkampf anders zu sein. Eine Umfrage legt nahe, dass sich die Bürger in Scharen von der Politik abwenden.

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Eine aktuelle Umfrage von Associated Press (AP) und GfK zeigt, dass die Stimmung nicht am Kippen ist, sondern schon gekippt ist: Die Hälfte aller dabei Befragten gab an, sie wäre „enttäuscht“ bis „zornig“, wenn die bisherigen jeweiligen Favoriten - Hillary Clinton für die Demokraten und Donald Trump für die Republikaner - das Rennen machten. Ein Viertel wäre bestenfalls an der Wahl desinteressiert, wenn nur diese beiden zur Wahl stünden.

Nur Sanders - noch - mit hohen Sympathiewerten

Für 63 Prozent der registrierten Wähler kommt eine Stimme für Trump nicht infrage, für 50 Prozent aber auch keine Stimme für Clinton. 20 Prozent würden für einen Kandidaten egal welcher dritten Partei stimmen, wenn es einen gäbe. Der Zusammenhang mit dem „Negative Campaigning“, das mit Trump einen neuen Höhepunkt erreicht hat, ist evident: Clintons Rivale Bernie Sanders, der sich an der Schlammschlacht bisher am wenigsten beteiligt hat, hat derzeit noch die höchsten Sympathiewerte.

Mann mit einem "Feel the Bern"-T-Shirt

APA/AP/John Locher

Noch hat „Bern“ Sanders seinen Kredit bei Unterstützern nicht verspielt

Unabhängig von der eigenen politischen Gesinnung hält mehr als die Hälfte der Befragten Sanders für zivilisiert, ehrlich und mitfühlend. Auch Sanders lässt aber in letzter Zeit ungewohnt aggressive Töne in Richtung Clinton hören - und könnte damit bald in Richtung der Werte der anderen Bewerber rutschen: Rund 70 Prozent der Befragten haben keine gute Meinung von Trumps Charakter. Bei seinem innerparteilichen Konkurrenten Ted Cruz ist der Wert mit 60 Prozent kaum besser, ebenso bei der Demokratin Clinton mit 55 Prozent.

Nicht einmal Rückhalt unter Stammwählern

Die Attacken von fast jedem gegen fast jeden lassen die Wähler offenbar glauben, dass an allem etwas Wahres dran ist. „Ich vertraue Politikern nicht. Die sind doch alle nur aufs Nehmen aus“, zitierte AP einen Befragten. „Hillary Clinton ist eine Lügnerin. Donald Trump ist ein Idiot. Und Bernie? Er ist ein alter Narr“, sagte ein anderer, und weiter: „Die Demokraten wollen mein Geld ausgeben. Die Republikaner wollen mir erklären, wie ich zu leben habe - und dann mein Geld ausgeben.“

Nicht einmal auf die eigenen Parteigänger können sich Trump und Clinton verlassen: Nur 26 Prozent der Demokraten befürworten Clintons Kandidatur, 27 Prozent könnten sie akzeptieren. 23 Prozent wäre es egal, 19 Prozent wären enttäuscht und fünf Prozent sogar zornig. Noch schlimmer ist es für Trump: Er hat unter Republikanern 19 Prozent Befürworter und 19 Prozent, die seine Kandidatur akzeptieren würden. 20 Prozent ist es egal, 25 wären aber enttäuscht und 16 Prozent zornig.

Woran offenbar niemand gedacht hat

Alle Kandidaten in beiden Parteien könnten damit einem entscheidenden Fehler aufgesessen sein, indem sie anders wahlkämpfen als in früheren US-Urnengängen, aber von den Wählern dieselbe Reaktion wie sonst immer erwarten. Sonst immer hieße: Bis zum eigentlichen Wahltag im November sind die harten Bandagen aus dem Vorwahlkampf vergessen, und die Wähler freunden sich dann doch mit „ihrem“ Kandidaten an.

Mann schlendert an einem Wahllokal vorbei

AP/Matt Rourke

Wahlen gewinnt man mit den Stimmen, die im Vorwahlkampf schweigen

Plötzlich fast überall „Swing-States“?

Breite Zustimmung zu einem Kandidaten ist in den USA wichtiger denn anderswo. Traditionell ist die Wahlbeteiligung ohnehin recht niedrig, vor allem unter sozial schlechter gestellten Bevölkerungsschichten. Das haben die Kandidaten und ihre Strategen allerdings wie immer einkalkuliert, wie auch heuer die Verteilung von Wahlkampfbudgets und die Formulierung von Slogans beweisen.

Neu könnte aber sein, dass die traditionell schweigende Mehrheit unter den Wählern, die erst am Wahltag in Aktion tritt, ohne die aber die Wahl nicht zu gewinnen ist, diesmal den Kandidaten die Gefolgschaft versagt. Mit einem solchen Szenario, das fast jeden US-Bundesstaat zum „Swing-State“ mit ungewissem Wahlausgang machen könnte, haben weder Republikaner noch Demokraten Erfahrung - und entsprechende Angst davor.

Stratege verspricht „Luftkrieg“

Gegenüber der AP prophezeite der frühere republikanische Parteistratege Rich Galen jetzt schon, dass die Folge des Dilemmas ein „Luftkrieg“ von historischen Ausmaßen sein werde - mit so viel Werbung über den Äther, also TV und Radio, wie nie zuvor. In den Spots wird es laut seiner Prognose kaum darum gehen, irgendwen zu überzeugen - sondern nur darum, irgendwen überhaupt ins Wahllokal zu bringen.

Lukas Zimmer, ORF.at

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