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Referendum bringt Rutte in Bredouille

Die Niederländer haben in einem Referendum Nein zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine gesagt. Bei dem von der EU-kritischen Bewegung GeenPeil initierten und am 6. April abgehaltenem Referendum lehnten 61 Prozent der Teilnehmer das Abkommen ab. Die Niederlande sind das einzige EU-Land, in dem das 2014 unterzeichnete Abkommen zwischen der EU und der Ukraine noch nicht ratifiziert wurde.

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Die Stimmbeteiligung lag bei 32 Prozent, womit das Referendum auch die vorgeschriebene Mindestbeteiligung knapp erreichte. Das Referendum war von den Europaskeptikern mit Wählerunterschriften erzwungen worden. Formell ist es nur beratender Natur, doch wird sich die Regierung nur schwer über das Ergebnis hinwegsetzen können, nachdem das gesetzliche Beteiligungsquorum von 30 Prozent der 12,5 Millionen Stimmberechtigten übertroffen wurde.

Ukraine sieht Vertrag nicht gefährdet

„Wir können das Assoziierungsabkommen jetzt nicht einfach so ratifizieren“, sagte Ministerpräsident Mark Rutte. Vielmehr stehe man nun vor einer langwierigen Suche nach Kompromissen. Rutte sprach in diesem Zusammenhang von einem schwierigen Prozess mit vielen Beteiligten: „Bevor es eine Lösung gibt, werden wahrscheinlich Monate vergehen.“

Die EU-Kommission sieht die niederländische Regierung in der Pflicht, ihre Schlüsse zu ziehen. Es liege an ihr, nun Entscheidungen zu treffen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sei „traurig“ wegen des Ausgangs des Referendums. Über die möglichen Folgen wollte man sich nicht äußern.

Die Ukraine will auch nach dem Votum an ihrem Annäherungskurs an die Europäische Union festhalten. Sein Land werde sich weiter in Richtung EU bewegen, sagte Präsident Petro Poroschenko am Donnerstag in Tokio. Er verwies zudem darauf, dass das Referendum für die niederländische Regierung nicht rechtlich bindend sei.

Die Ukraine habe allerdings „auf ein besseres Ergebnis gehofft“, sagte Außenminister Pawel Klimkin. Er betonte: „Bei der praktischen Umsetzung ändert sich nichts. Das Abkommen wird wie bisher vorläufig angewendet.“ Der Freihandel, der Teil des Abkommens ist, entwickle sich weiter. Wie Poroschenko wertete der Minister die Abstimmung vor allem als Test „der Einstellung der Niederländer zu Europa“.

Vereinbarungen bleiben in Kraft

Laut EU-Ratspräsident Donald Tusk wird das Referendum keine konkreten Auswirkungen auf die bereits angewendeten EU-Vereinbarungen mit der Ukraine haben. „Das EU-Ukraine-Assoziierungsabkommen wird weiter vorläufig angewendet werden“, wie Tusk weiter sagte.

Er wies dabei darauf hin, dass abgesehen von den Niederlanden bereits alle anderen 27 EU-Mitgliedsstaaten das Abkommen ratifiziert haben. Zum weiteren Vorgehen sagte Tusk, er werde nun Gespräche mit Rutte führen. „Ich muss von ihm hören, welche Schlussfolgerungen er und seine Regierung aus diesem Referendum ziehen und was seine Absichten sind.“

Juncker warnt vor dramatischen Folgen

Juncker hatte im Vorfeld des Referendums vor den dramatischen Folgen eines Neins für ganz Europa gewarnt. Insbesondere könnte das Votum auch den Austrittsbefürwortern in Großbritannien Auftrieb vor dem „Brexit“-Referendum am 23. Juni geben. „Ich hoffe, es wird das Ergebnis unseres Referendums nicht beeinflussen, denn das Thema ist sehr verschieden“, sagte Premier David Cameron am Donnerstag im südwestenglischen Exeter.

Offiziell ging es bei dem Referendum um die Billigung oder Ablehnung des 2014 unterzeichneten Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Kiew. Die europaskeptischen Initiatoren der Befragung erklärten aber, dass das Verhältnis zur Ukraine für sie nicht im Mittelpunkt stehe: Sie warben für ein Nein der Wähler, um der EU generell einen Denkzettel zu verpassen.

Wilders begeistert

Der Rechtspopulist Geert Wilders bejubelte das Ergebnis als „fantastisch“. Es zeige, dass viele Niederländer „die Nase voll von der Europäischen Union“ haben. Einer der Initiatoren des Referendums, der Jurist Thierry Baudet, sagte, nun beginne die Diskussion „über eine andere EU“.

Tatsächlich traf das Referendum den Nerv vieler Niederländer, die vor elf Jahren mit einer ähnlich klaren Mehrheit gegen die EU-Verfassung votiert hatten. „Es ist gut, dass es ein Referendum gibt, in dem wir unsere Meinung über Brüssel sagen können“, sagte ein 49-jähriger Wähler. Ein 65-Jähriger sagte, das Abkommen sei „nicht gut für die Niederlande“. Es gebe bereits „zu viele“ EU-Mitglieder. Auffallend war jedoch das Stadt-Land-Gefälle. Mehrere große Städte, unter anderem die Hauptstadt Amsterdam, votierten mit Ja, während es in ländlichen Gegenden zum Teil große Nein-Mehrheiten gab.

Der Kreml sieht das Ergebnis des niederländischen Referendums als Beweis des Misstrauens gegen die Assoziierung der Ukraine mit der EU. Die Ablehnung zeige, „dass die Niederländer ihre Fragen haben, dass es Misstrauen gibt“, sagte Dimitri Peskow, Sprecher von Präsident Wladimir Putin.

Ukraine warb für Ja

Rutte hatte bei seiner Stimmabgabe in einer Volksschule in Den Haag hervorgehoben, dass das Assoziierungsabkommen der Ukraine dabei helfen solle, „einen Rechtsstaat und ihre Demokratie aufzubauen“. Einerseits sollten dadurch in der Ukraine Minderheiten wie Juden und Homosexuelle geschützt, andererseits die „Ränder“ Europas stabilisiert werden. Poroschenko warb vor dem Referendum um die Zustimmung der Niederländer und schickte dazu sogar Minister in die Niederlande. Die Ukraine dürfe nicht zum Opfer einer „internen niederländischen Debatte über die Zukunft der Europäischen Union werden“.

Die Niederlande, die derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehaben, haben das Abkommen mit der Ukraine als einziger der 28 EU-Mitgliedsstaaten noch nicht ratifiziert. Das Parlament hat jedoch bereits seine Zustimmung gegeben. Lediglich die rechtspopulistische Freiheitspartei (PVV) von Wilders, die Sozialisten (SP) und die Partei für die Tiere (PVdD) riefen zur Ablehnung des Abkommens auf.

Scharfe Kritik aus Russland

Der politische Teil des Assoziierungsabkommen wird seit Ende 2014 bereits vorläufig angewandt, seit dem 1. Jänner auch das darin enthaltene Freihandelsabkommen. Russland hatte das Assoziierungsabkommen scharf kritisiert. Der Konflikt um das Abkommen hatte zum Jahreswechsel 2013/2014 zu gewaltsamen Demonstrationen, dem Sturz des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch sowie der militärischen Aggression Russlands in der früheren Sowjetrepublik geführt. Der Ukraine-Konflikt kostete auch zahlreiche Niederländer das Leben, die im Juli 2014 an Bord einer über der umkämpften Ostukraine abgeschossenen Passagiermaschine waren. 298 Menschen starben beim Abschuss von Flug MH17 der Malaysia Airlines.

Der EU-Parlamentarier Othmar Karas (ÖVP) bezeichnete das niederländische Referendum als „Versagen“ und „Niederlage“ für die Regierung von Rutte - und nicht für die EU. Die grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek kritisierte die Abstimmung in den Niederlanden. Damit sei die bisherige EU-Annäherungs- und -Erweiterungspolitik „von den Füßen auf den Kopf gestellt“. Das Abkommen mit der Ukraine sei für die Union von großer Bedeutung. Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite wertete das Nein der Niederländer zum Abkommen als Zeichen der Unzufriedenheit mit der EU.

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