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„Diabetes ist auf dem Vormarsch“

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlägt Alarm: Mehr und mehr Menschen in der Welt leiden an Diabetes. Die Zahl der Erkrankten habe sich innerhalb von 35 Jahren vervierfacht, teilte die WHO am Mittwoch in Genf mit.

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Die WHO machte vor allem das weltweit zunehmende Übergewicht und Fettleibigkeit für die Entwicklung verantwortlich - „die Art, wie Menschen essen, sich bewegen, leben“. So steht auch der heurige Weltgesundheitstag am Donnerstag unter dem Motto: „Beat Diabetes“ (Schlagt Diabetes).

Krankheit forderte 1,5 Mio. Menschenleben

Der WHO zufolge lebten nach den aktuellsten verfügbaren Zahlen 2014 rund 422 Millionen Menschen weltweit mit Diabetes. Somit waren rund 8,5 Prozent aller Erwachsenen auf der Welt an einer der Formen der Zuckerkrankheit erkrankt. Im Jahr 1980 waren es laut WHO noch 108 Millionen gewesen.

Vererbt und erworben

Die Medizin unterscheidet zwischen zwei Arten von Diabetes. Bei Typ eins greifen die Antikörper plötzlich die eigenen Insulinzellen an. Sie tritt meistens bereits im Kindesalter auf, wird zumeist vererbt und umfasst 15 Prozent aller Erkrankten. Die zweite Form ist gemeinhin als „Altersdiabetes“ bekannt. Allerdings sind vermehrt auch jüngere Menschen davon betroffen. Bei diesem Typ baut der Körper schleichend eine Resistenz gegen Insulin auf.

2015 seien 1,5 Millionen Menschen an der Stoffwechselkrankeit gestorben. Hinzugerechnet werden müssten rund 2,2 Millionen weitere Todesfälle, die mit Diabetes in Zusammenhang stehen. „Diabetes ist auf dem Vormarsch“, sagte WHO-Chefin Margaret Chan im erstmals erstellten Diabetes-Weltbericht.

Fettleibigkeit nimmt zu

Die wachsende Zahl an Diabetes-Erkrankungen deckt sich mit den Erkenntnissen der jüngsten Ernährungsstudie der WHO. Laut der vergangene Woche veröffentlichten Untersuchung sind bereits 13 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung fettleibig – insgesamt mehr als 640 Millionen Menschen. Laut WHO könnten es im Jahr 2025 bereits über 1,1 Milliarden sein.

In 40 Jahren wird der durchschnittliche Body-Mass-Index der WHO zufolge bei Männern von 21,7 auf 24,2 und bei Frauen von 22,1 auf 24,4 gestiegen sein. Das entspricht einer durchschnittlichen Zunahme von 1,5 Kilogramm alle zehn Jahre. Ernährungswissenschaftler führen Übergewicht und Fettleibigkeit in den Industriestaaten vor allem auf zu viel, zu süßes und zu fettes Essen verbunden mit zu wenig Bewegung zurück. Übergewicht gilt als Risikofaktor unter anderem für Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes und bestimmte Arten von Krebs.

Die vergangene Woche präsentierte Studie warnt jedoch auch, in vielen Regionen mit mittlerem Einkommen - Pazifik, Nahost, Nordafrika, einige südamerikanische und karibische Staaten - sei Fettleibigkeit mittlerweile ein „ernstes Problem für die Volksgesundheit“. Ohne „rasche“ internationale Maßnahmen zum Kampf gegen die Fettleibigkeit drohten „gesundheitliche Folgen unbekannten Ausmaßes“, sagte Majid Ezzati vom Londoner Imperial College, der die in der britischen Fachzeitschrift „The Lancet“ erschienene Studie koordinierte.

Diabetes erreichte ärmere Länder

Ähnliche Worte fand am Mittwoch WHO-Chefin Chan im Hinblick auf Diabetes-Erkrankungen. „Es handelt sich nicht mehr um eine vor allem in reichen Ländern auftretende Krankheit, Diabetes nimmt überall zu.“ Grund dafür sei unter anderem die Umstellung der Ernährung und der Lebensweise in Schwellenländern.

Dass Diabetes nicht mehr nur ein Problem der reichen Länder ist, wurde auch auf der Pressekonferenz der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) in Wien thematisiert. „80 Prozent der Diabetes-Kranken leben in Ländern mit sehr niedrigem oder mittlerem Bruttosozialprodukt“, sagte die Wiener Spezialistin Alexandra Kautzky-Willer. In Ländern wie Pakistan, Mexiko und in den arabischen Staaten seien bereits 20 Prozent der Erwachsenen zuckerkrank. Dieses Faktum dürfte durch die zunehmende Verbreitung des westlichen Lebensstils bedingt sein.

Migrationshintergund als Risikofaktor

Besonders von Diabetes betroffen seien zugleich Menschen, die aus Schwellenländern in Industriestaaten einwandern. Laut Kautzky-Willer kommen in diesen Fällen sowohl der in den Zielländern verbreitete Lebensstil mit weniger Bewegung und westlicher Ernährung als auch die oft schlechtere soziale Situation zum Tragen.

Sozial Benachteiligte haben insgesamt eine höhere Wahrscheinlichkeit, zuckerkrank zu werden. „Frauen mit Migrationshintergrund haben in Österreich ein um das 3,5-Fache gesteigertes Diabetes-Risiko, Männer mit Migrationshintergrund haben das 1,5-fache Diabetes-Risiko.“

Zehn Prozent Erkrankte in Österreich

In Österreich dürften - die geschätzte Dunkelziffer nicht diagnostizierter Fälle mitgerechnet – rund zehn Prozent aller Erwachsenen an Diabetes erkrankt sein. Das sagte der Wiener Diabetologe Helmut Brath am Mittwoch in Wien. Unter den älteren Menschen seien bereits rund 20 Prozent betroffen. Zugleich hätten sich aber die Behandlungsmöglichkeiten bei Zuckerkrankheit verbessert, Österreich biete mit seinem funktionierenden Gesundheitssystem sehr gute Voraussetzungen, so Brath.

Der Präsident der ÖDG, der Grazer Spezialist Hermann Toplak, sagte, dass die Verhinderung des Diabetes und die optimale Betreuung der bereits Betroffenen eine Angelegenheit der gesamten Gesellschaft sein sollte: „Kleine Projekte werden nicht ausreichen.“ Präventionsmaßnahmen müssten flächendeckend und für alle Altersgruppen etabliert werden. "Die Diabetes-Therapie ist teuer. Nichts zu tun ist noch teurer“, so sein Kollege Brath.

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