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18 Jahre lang Außenminister

Der langjährige deutsche Außenminister und FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher ist am Donnerstag verstorben. Das teilte sein Büro in Bonn mit. Genscher starb im Alter von 89 Jahren an Herz-Kreislauf-Versagen.

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Der 1927 geborene Politiker war von 1969 bis 1974 deutscher Innen- und von 1974 bis 1992 fast ununterbrochen deutscher Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland. Von 1974 bis 1985 war er außerdem Bundesvorsitzender der FDP.

Deutscher Bundeskanzler Helmut Schmidt und Außenminister Hans-Dietrich Genscher im Juni 1978

APA/dpa/Peter Popp

Der frühere deutsche Kanzler Helmut Schmidt und Genscher 1978

In seiner Funktion als Außenminister war Genscher maßgeblich an den Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung beteiligt. In Deutschland gehörte er zu den beliebtesten Spitzenpolitikern und zu den prägenden Persönlichkeiten der Liberalen. In seine Amtszeit als Innenminister fiel der Terroranschlag auf israelische Sportler bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München.

Minister unter drei deutschen Kanzlern

Geboren im heutigen deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt, trat Genscher 1952 in die FDP ein. 1969 wurde er als Innenminister in die von ihm mitgebildete sozialdemokratisch-liberale Koalition unter Willy Brandt (SPD) berufen. Nach dem Rücktritt Brandts 1974 übernahm er den Posten des Außenministers und Vizekanzlers unter Helmut Schmidt (SPD). Genscher löste zudem Walter Scheel als FDP-Vorsitzenden ab.

Deutscher Ex-Aussenminister Hans-Dietrich Genscher 2009 bei einer PK inder deutschen Botschaft in Prag

AP/Petr David Josek

Der gelbe Pulli war ein Markenzeichen Genschers

1982 traten die FDP-Mitglieder aus dem Kabinett Schmidt aus, in weiterer Folge wurde Helmut Kohl (CDU) im Oktober desselben Jahres neuer deutscher Kanzler. Genscher behielt dabei seine Ämter, 1985 übergab er aber die FDP-Führung an Martin Bangemann.

Als eigenen Höhepunkt seiner Karriere sah Genscher den 30. September 1989 an, als er zu Tausenden Flüchtlingen in der Prager Botschaft sagte: „Wir sind gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise ...“ Das Satzende ging im Jubel unter. 1998 schied Genscher aus dem deutschen Bundestag aus.

Würdigung als großer Staatsmann

1992 hatte sich Genscher von seinen Ämtern zurückgezogen. Der Politiker, dessen Markenzeichen ein gelber Pullunder war, hatte immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Medienberichten zufolge hatte Genscher in den vergangenen Wochen an den Folgen einer Wirbelsäulenoperation zu leiden. Er ließ sich auch für das Begräbnis des vor Kurzem verstorbenen früheren FDP-Außenministers Guido Westerwelle entschuldigen, als Begründung hieß es, Genscher sei bettlägerig.

Mit Genscher habe Deutschland einen „weltweit geachteten Staatsmann und ich persönlich einen hochgeschätzten Ratgeber“ verloren, sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in einer Reaktion. Er habe das Amt des Außenministers geprägt wie kein anderer. „Ich verneige mich in Hochachtung vor der Lebensleistung dieses großen liberalen Patrioten und Europäers und bleibe persönlich für all die Gespräche und Begegnungen dankbar, bei denen ich bis in die letzten Jahre von seiner Welterfahrung und Lebensweisheit schöpfen durfte.“

„Genscher hat Geschichte geschrieben und unser Land geprägt“, so FDP-Chef Christian Lindner in einer ersten Reaktion am Freitag. „Wir haben ihm viel zu verdanken. Unsere Trauer kann nicht größer sein.“ Die deutsche Regierung würdigte Genscher als großen Staatsmann.

Deutschland „ein Gesicht gegeben“

Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck bezeichnete Genscher als herausragende Persönlichkeit. „Mit seiner Verlässlichkeit und seinem diplomatischen Geschick hat Hans-Dietrich Genscher unserem Land in der Welt ein Gesicht gegeben und das Vertrauen bei unseren Partnern gestärkt“, so Gauck in einem Kondolenzschreiben an Genschers Frau Barbara. Er hob Genschers großen Beitrag für die deutsche Vereinigung hervor, die ihm ein Herzensanliegen gewesen sei.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte: „Hans-Dietrich Genscher hat in seinem langen und bewegten Leben buchstäblich Geschichte geschrieben, Geschichte unseres Landes, Deutschlands, und Geschichte Europas. Sein Platz in den Geschichtsbüchern ist ihm gewiss.“ Der deutsche Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bezeichnete Genscher als bedeutenden Diplomaten.

Würdigung für „überzeugten Europäer“

Es sei auch Genscher zu verdanken, dass die Europäische Union eine Vereinigung von 28 Staaten ist, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. „Sein Vermächtnis ist also zugleich unser Auftrag, weiter für Europas Frieden und Wohlstand zu arbeiten.“ Auch Frankreich würdigte Genscher als „überzeugten Europäer“. Er sei auch die treibende Kraft hinter der deutsch-französischen Zusammenarbeit gewesen, sagte Außenminister Jean-Marc Ayrault.

Der 85-jährige Ex-Sowjet-Präsident Michail Gorbatschow bezeichnete Genschers Tod als großen Verlust. „Man sagt, dass es in der Politik keine Freunde geben kann. Das stimmt nicht. Hans-Dietrich Genscher war in den letzten Jahren mein richtiger Freund. Ich habe einen Freund verloren“, sagte der Friedensnobelpreisträger in Moskau. „Tief betroffen“ zeigte sich auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) über den „Verlust eines großen Europäers“. Genscher habe es stets verstanden, „die Interessen seines Landes mit den übergeordneten Interessen eines in Frieden, Stabilität und Prosperität vereinten Europas zu verbinden“.

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