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Erster weiblicher Zug in Nullerjahren

Weil sein Sohn Christopher Anfang der 1940er Jahre an Masern erkrankt ist, hat Wilbert Awdry begonnen, ihm Geschichten vermenschlichter Lokomotiven zu erzählen. Auf Anraten seiner Frau veröffentlichte er 1945 die ersten vier Geschichten in Buchform, ein Jahr darauf hatte eine ganz besondere Lok ihren ersten Auftritt: „Thomas, die kleine Lokomotive“.

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Die kleine Lok entwickelte sich zum Liebling der Kinder und trat spätestens ab 1984 mit Hilfe einer zu den Büchern gehörenden Fernsehserie einen weltweiten Siegeszug in Kinderzimmern an - inklusive Merchandise in Form von Spielzeug, T-Shirts und mehr. Schon zum TV-Start wurden keine Kosten und Mühen gescheut. So fungierte etwa in den ersten Jahren der ehemalige Beatles-Drummer Ringo Starr als Erzähler der englischen Originalfassung, später übernahm Schauspieler Alec Baldwin in der US-Version diese Rolle.

Eines der größten Franchiseunternehmen

Die Geschichten sind nie reiner Selbstzweck, sondern sollen dem jungen Publikum - vorwiegend Buben - moralische Lektionen zu Themen wie Freundschaft, Teamfähigkeit und Pünktlichkeit vermitteln. Die altmodische Pädagogik sowie der Umstand, dass mit der Figur Emily erst in den Nullerjahren ein weiblicher Zug in der Sendung auftreten durfte, behagen vielen Eltern laut „New York Times“ jedoch nicht. Denn unter den hundert von Mattel gelisteten Freunden von Thomas sind großteils männliche Loks. Und diese sind - so man das von Zügen überhaupt sagen kann - ausschließlich weiß.

Das Franchisesystem um Thomas und seine Freunde zählt der „Daily Mail“ zufolge zu den größten der Welt. 2012 kaufte der Spielzeughersteller Mattel die Produktionsfirma HIT Entertainment, Rechteeigentümerin der unter dem Namen „Thomas & seine Freunde“ bekannten Serie, um 680 Millionen Dollar (493 Mio. Euro). Kein Wunder, dass man Ärger mit zahlungskräftigen Eltern vermeiden will und Thomas nichte mehr nur seine Lokfreunde Henry, Percy, Gordon und Co., sondern nun 14 neue Charaktere aus aller Welt an die Seite stellt.

Vier der 14 neuen Lokomotiven sind weiblich

Zwei Jahre habe Mattel an den Figuren gearbeitet, die in dem heuer im Oktober auf DVD erscheinenden Film „The Great Race“ gegeneinander antreten sollen, so die „New York Times“. Inspiriert soll der Plot von den anstehenden Olympischen Spielen in Rio de Janeiro sein, erklärte der bei Mattel für „Thomas & seine Freunde“ zuständige Vincent D’Alleva gegenüber der Zeitung.

Mit der Ankunft von Teilnehmern aus aller Welt auf der fiktiven Insel Sodor, auf der Thomas und die anderen Loks und Züge seit Beginn der Serie beheimatet sind, soll der kulturelle Horizont der kleinen Lokomotive erweitert werden. Immerhin vier der 14 neuen Mitstreiter sind weiblich, allesamt stammen sie aus Ländern wie Indien, Brasilien, China und Mexiko, verfügen über entsprechendes Äußeres und tragen Namen wie Ashima (eine der weiblichen Figuren), Raul, Yong Bao und Carlos.

„Designt Donald Trump neuerdings Spielzeug?“

Stereotype zu vermeiden ist in Fällen wie diesen nicht leicht. Nicht nur bei der (Fast-)Monoaugenbraue der mexikanischen Lok Carlos ließ der Spott nicht lange auf sich warten: „Designt Donald Trump neuerdings Spielzeug?“, ätzte der britische „Guardian“ und vermutete, dass es Mattel trotz allen Bemühens um politisch korrektes Verhalten auch bei den anderen neuen Zugmaschinen nicht allen Erziehungsberechtigten recht machen werde.

Der deutschen Lokomotive Frieda wiederum wird von Mattel selbst in der Beschreibung ihres Charakters und Auftretens nachgesagt, dass sie ob ihrer glänzend-blauen Farbe oft mit der (männlichen) Lok Gordon verwechselt wird. Ob Fragen der Geschlechtsidentität in einer Sendung für Kinder abgehandelt werden sollen, sei zumindest zweifelhaft, so der „Guardian“ in dem satirisch angehauchten Artikel weiter.

China als wichtiger Markt

Auffällig ist jedenfalls die Tatsache, dass auch für das Franchiseunternehmen an Bedeutung gewinnende Märkte wie China mit einer eigenen Lokomotive namens Yong Bao bedacht wurden. Das ist kein Zufall: China ist für „Thomas, die kleine Lokomotive“ nach den USA innherhalb kürzester Zeit der zweitwichtigste Umschlagplatz geworden und hat Thomas’ Mutterland Großbritannien auf den dritten Rang verwiesen. Dabei war die Tenderlok in China bis vor drei Jahren völlig unbekannt.

Mattel stattet seine Serie also nicht nur aus Gründen der ethnischen Vielfalt mit neuen Charakteren aus. Das Unternehmen denkt vor allem wirtschaftlich: DVDs, Bekleidungsstücke und Spielzeuglokomotiven wollen schließlich auf der ganzen Welt verkauft werden. Und mit dem vermehrten Aufkommen weiblicher Loks will man auch Mädchen ansprechen - was die Kundenschicht immens vergrößern soll.

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