Arbeitslos ist, wer Arbeit sucht?
Österreich hat sich lange damit gerühmt, die niedrigste Arbeitslosenquote in der EU zu haben. Mittlerweile ist es mit den rühmlichen Plätzen vorbei, und aus dem ersten wurde der sechste Rang. In Österreich selbst wird überhaupt mit ganz anderen Werten gerechnet als in diesem EU-Vergleich - zwischen den beiden Ergebnissen liegen etwa vier Prozentpunkte.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
„Strenger“ sei keine der beiden Berechnungen, sagt Thomas Grandner vom Institut für Arbeitsmarkttheorie und -politik an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) im Interview mit ORF.at. Es seien einfach zwei unterschiedliche Konzepte. Für beide gilt grundsätzlich, dass die Quote aus der Zahl der Arbeitslosen dividiert durch die Summe der Arbeitslosen und Beschäftigten errechnet wird. Aber sowohl die Arbeitslosen als auch die Beschäftigten werden unterschiedlich berechnet. Und bei beiden Rechenmodellen gibt es Verzerrungen.
Wie wird denn nun gerechnet?
Grundlage der nationalen Berechnung sind die Daten des Arbeitsmarktservice (AMS). Als arbeitslos gilt bei der heimischen Definition einfach gesagt, wer beim AMS als arbeitslos gemeldet ist. Die Zahl der Arbeitslosen wird dem Arbeitskräftepotenzial gegenübergestellt - das sind alle Arbeitslosen plus alle beim Hauptverband der Sozialversicherungen gemeldeten Beschäftigten. „Geringfügig Beschäftigte“ bzw. jene, die weniger als 16 Stunden pro Monat arbeiten, werden nicht gezählt.
Der Mikrozensus
Viermal im Jahr führt die Statistik Austria auf gesetzlicher Basis Stichprobenerhebungen durch. Zufällig ausgewählte Haushalte werden dabei hauptsächlich zu ihrer Wohn- und Arbeitssituation befragt. Das erfolgt mündlich, auch am Telefon, und in fünf hintereinanderliegenden Quartalen. Die Teilnahme ist für die ausgewählten Personen verpflichtend.
Die Eurostat-Daten stammen hingegen aus Mikrozensus-Befragungen, die in Österreich quartalsweise von der Statistik Austria durchgeführt werden. Als arbeitslos gilt in der Befragung, wer aktuell nicht beschäftigt ist und in den letzten vier Wochen aktiv Arbeit gesucht hat. Die Daten werden hochgerechnet und die Zahl der so ermittelten Arbeitslosen wird in diesem Fall einer viel größeren Gruppe gegenübergestellt, nämlich der Zahl der Arbeitslosen plus aller Erwerbstätigen.
Einmal mit und einmal ohne Selbstständige
Eingerechnet sind dabei, anders als beim Arbeitskräftepotenzial, auch Selbstständige und etwa geringfügig Beschäftigte. Denn die hier zugrunde liegende Definition der Erwerbstätigen umfasst all jene, die in der Referenzwoche mindestens eine (und nicht 16 pro Monat) Stunde gearbeitet haben. Woraus sich zwangsläufig eine geringere Quote ergibt.

Statistik Austria
Die Teilnahme an der Mikrozensus-Befragung ist nicht freiwillig
Welche Methode besser ist, lässt sich laut Grandner so nicht sagen. Sicher sei aber: Beide hätten ihre Verzerrungen. Bei der nationalen Berechnung „kann vorkommen, dass Sie Leute dabei haben, die eigentlich nicht konkret Arbeit suchen im Moment, weil sie sich nur für die Arbeitslosenunterstützung melden. Auf der anderen Seite haben wir Verzerrungen auf der Umfrageseite auch. Bei Umfragen ist immer eine Scheu da, die Arbeitslosigkeit ist etwas, was Leute nicht gerne kundtun.“
„Sie sind nur arbeitslos, wenn Sie Arbeit suchen“
Und überhaupt ist der Begriff Arbeitslosenquote etwas verwirrend, umfasst er doch weder in der einen noch in der anderen Variante tatsächlich alle Beschäftigungslosen. „Sie sind nur dann arbeitslos, wenn Sie Arbeit suchen“, so Grandner. „Der Begriff der Arbeitslosigkeit ist ein Arbeitssuchender, und wenn Sie keine Arbeit suchen, weil Sie entweder glauben, Sie finden sowieso nichts mehr, oder aus irgendwelchen Gründen, dann fallen Sie aus diesem Zahlenwerk raus und gelten als nicht erwerbstätig.“
Auch Personen, die keinen festen Wohnsitz haben, sind in der Statistik gar nicht oder unterrepräsentiert. Der Mikrozensus befragt lediglich Personen, die in einem Haushalt wohnen. Obdachlose beispielsweise kommen darin nicht vor. Bei der nationalen Berechnung sind sie theoretisch miteingerechnet - aber auch nur, wenn sie sich beim AMS melden. Das würden viele aber nicht tun. „In der Regel sind diese Personen dann vermutlich nicht mehr berechtigt für den Bezug des Arbeitslosengeldes, und daher würde ich glauben, dass die auch dort unterrepräsentiert sind“, so Grandner.
Eine Maßzahl alleine reicht nicht
Die Zahl der Arbeitslosen repräsentiert also lediglich die Zahl der Arbeitssuchenden und bildet die tatsächliche Situation am Arbeitsmarkt nicht hinreichend ab. Dafür gibt es weitere Faktoren. Sehr wichtig sei etwa auch die Erwerbsquote, die angibt, wie viele der Personen im erwerbsfähigen Alter am Arbeitsmarkt aktiv sind. Das spielt laut Grandner vor allem bei der Jugendarbeitslosigkeit eine große Rolle. Jemand, der studiert und nicht daneben arbeiten muss, kommt „gar nie vor“ in der Arbeitslosenrate.
Egal ob nationale oder Eurostat-Berechnung, die Arbeitslosenzahl sagt damit nur wenig über den gesamten Arbeitsmarkt und seine Akteure aus. Oder, wie es Grandner formuliert: „Mit einer Zahl kommt man nirgends sehr weit.“
Petra Fleck, ORF.at
Links: