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Abwartend zu Türkei-Abkommen

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) findet die Maßnahme von Ungarns Premier Viktor Orban, Grenzzäune zu errichten, „richtig“. „Orbans Vorgangsweise, Grenzzäune zu errichten, finde ich richtig, er hat ja nie gesagt, dass er Asylanträge nicht bearbeitet“, sagte Mitterlehner dem „Kurier“ (Sonntag-Ausgabe). Orban sei ein „Parteifreund“, auch wenn der ÖVP-Politiker nicht „alle seine Meinungen teile“.

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Ungarn war im Spätsommer wegen der Behandlung von Flüchtlingen international scharf kritisiert worden, Österreich und Deutschland öffneten daraufhin ihre Grenzen. Ungarn errichtete wegen der massiven Flüchtlingsbewegung über die Balkan-Route an seinen Grenzen zu Serbien und Kroatien einen Grenzzaun. Nach der Fertigstellung der Sperren Mitte Oktober 2015 ging die Zahl der durch Ungarn ziehenden Flüchtlinge drastisch zurück. Die Menschen wandern seitdem durch Kroatien und Slowenien.

Außengrenzenschutz „im ganzen Mittelmeer-Raum“

Abwartend zeigt sich Mitterlehner hinsichtlich des jüngsten Abkommens der EU mit der Türkei. „Das muss sich erst zeigen“, sagte der Vizekanzler mit Blick auf die Aufteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas. Viele Flüchtlinge hätten noch immer die „Illusion“, nach Deutschland zu kommen. „Es gibt aber kein Recht darauf, sich das beste Land auszusuchen.“ Abgesehen von der Verteilungsfrage pocht der Vizekanzler auf den Schutz der EU-Außengrenzen - „nicht nur zur Türkei, sondern im ganzen Mittelmeer-Raum“. Dafür brauche es sowohl die EU-Grenzschutzagentur Frontex als auch die NATO.

Mitterlehner beharrt unterdessen trotz der kritischen Sichtweise der beiden von der Regierung bestellten Gutachter Bernd-Christian Funk und Walter Obwexer darauf, dass „Obergrenzen“ möglich seien, „weil kein Land unbegrenzt aufnehmen kann“. Es komme eben „auf die Art der Umsetzung an“, sagt der ÖVP-Obmann. Alle Eventualitäten würden mit Experten auf Praxistauglichkeit geprüft.

Fischer reibt sich am Begriff „Obergrenze“

Bundespräsident Heinz Fischer hat indes nach wie vor ein Problem mit dem Begriff „Obergrenze“ für die Aufnahme von Flüchtlingen. „Der Ausdruck ‚Obergrenze‘ bereitet mir noch immer Unbehagen im Zusammenhang mit unserer Verfassung und dem Asylrecht von Menschen, die aus brennenden syrischen Städten kommen, aber bereits über einer solchen Aussendung liegen“, sagte Fischer in der „Presse am Sonntag“.

Fischer kommt aber zu dem Schluss, dass irgendwann „die Grenze des Möglichen erreicht“ ist und es ein entsprechendes Flüchtlingsmanagement geben muss. Er müsse daher „Richtwerte“ akzeptieren. Für den Bundespräsidenten wäre es „logisch gewesen, wenn die Regierung vor ihrer Entscheidung ein Gutachten eingeholt hätte. Die Regierung aber sagte, sie müsste sofort handeln und könnte nicht sechs Wochen auf ein Rechtsgutachten warten.“

Kritik an Merkel

Fischer glaubt nicht wirklich an einen Erfolg des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals. Die Wahrscheinlichkeit, dass er funktioniere, liege bei 50 oder 35 Prozent, sagte er. Zugleich wies er die Kritik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel an der österreichischen Politik als „nicht schlüssig“ zurück.

Merkels Kritik sei „vor dem Hintergrund der heute gegebenen Situation nicht schlüssig“, sagte Fischer mit Blick auf das Fehlen einer europäischen Lösung in der Flüchtlingskrise. Den Satz, dass die deutsche Kanzlerin darauf setze, dass das EU-Abkommen mit der Türkei funktioniere, kommentierte der Bundespräsident mit den Worten: „Das ist ihre Hoffnung. (...) Wenn etwas nur mit 50- oder 35-prozentiger Wahrscheinlichkeit funktioniert, kann ich darauf kein Riesenverantwortungsgebäude errichten, von dem das Schicksal Tausender Menschen abhängt.“

Fischer räumte ein, dass er sich in der Flüchtlingskrise mit Äußerungen zurückgehalten habe, um sich als Bundespräsident nicht zu stark „ins politische Getümmel“ zu stürzen. „Ich hätte viel kräftigere Formulierungen wählen können, um auf inhumane, egoistische und uneuropäische Positionen hinzuweisen.“

Kurz verteidigt „unangenehme Bilder“

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) wehrt sich gegen Vorwürfe, er wolle Flüchtlinge bewusst durch humanitäre Missstände an den Grenzen abschrecken. „Ich habe gesagt, dass es unangenehme Bilder geben wird, nicht, dass ich sie mir wünsche“, sagte Kurz der „Presse am Sonntag“. Zugleich bekräftigte er, dass es an den Grenzen „Leid geben“ werde. „Aber trotzdem kann es kein Recht des Stärkeren geben.“

„Es geht nicht, dass junge Männer durchkommen und Frauen, Kinder, Alte und Schwache zurückbleiben“, sagte Kurz in einem Streitgespräch mit Caritas-Präsident Michael Landau. „Was es stattdessen braucht, ist mehr humanitäre Hilfe vor Ort.“ Die europaweite Verteilung von Flüchtlingen könne man nur umsetzen, wenn sie „nicht dorthin ziehen, wohin sie wollen. Wer eine Wohnung in Berlin bezogen hat, wird nicht mehr nach Polen gehen. Etwas anderes zu glauben ist absurd.“

Streitgespräch mit Landau

„Man kann sich das Land nicht aussuchen, da stimme ich dir zu“, sagte Landau. „Aber wir müssen sicherstellen, dass jeder, der um Asyl ansucht, ein rasches, qualitätsvolles und faires Verfahren erhält. Dazu braucht es mehr Europa und nicht mehr Grenzen.“ Asyl sei ein Menschenrecht, „und Menschenrechte sind nicht quotenfähig“. Auch könne man nicht darüber hinwegsehen, „wenn Maßnahmen Menschen in Leid stürzen“, sagte er mit Blick auf die Lage an der griechisch-mazedonischen Grenze. „Mich stört, dass sich die Republik richtig anstrengt, ein hässliches Gesicht zu zeigen“, so Landau.

Kurz sagte, dass er als Caritas-Präsident „alles genauso machen“ würde wie Landau. Dieser habe nämlich „die Aufgabe, bedingungslos helfen zu wollen. Als Minister muss ich möglichst vielen Menschen helfen, ohne dass Österreich überfordert wird.“ Landau sagte dazu, dass man nicht „die eine Not gegen die andere ausspielen“ dürfe. Unter Hinweis auf die Durchtrennung des Eisernen Vorhangs durch ÖVP-Außenminister Alois Mock vor einem Vierteljahrhundert sagte Landau: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du als jener Außenminister in die Geschichte eingehen willst, der wieder Stacheldrahtzäune errichtet hat.“

Regierungsberater: Investition in die Zukunft

Die langfristig positiven Perspektiven der Flüchtlings- und Migrationsbewegungen hat der von der Bundesregierung engagierte Berater Kilian Kleinschmidt hervorgehoben. „Das Exil von Hunderttausenden Menschen nach Europa wird zu einer Investition in die Zukunft der Welt“, prognostizierte der Experte in einem Kommentar für die Zeitschrift der Katholischen Hochschulgemeinde Wien, „Melchior“.

Europa könne als Teil der Weltgemeinschaft einen wichtigen Beitrag dazu leisten, „dass sich die gleichen Ideale und Werte, die es ermöglichen, friedlich zusammen zu leben, globalisieren können“, meinte Kleinschmidt laut Kathpress. Zugleich warnte er vor einer „Abschottung“ Europas. Sie würde würde langfristig zu einem Zusammenbruch „unserer eigenen Systeme“, des Wohlstands und der europäischen Werte führen.

Kleinschmidt lehnt eine pauschale Unterscheidung zwischen Menschen, die vor Krieg flüchten, und solchen, die vor der „absoluten Armut“ fliehen - sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen - ab. „Ist es uns aber nicht bewusst, dass die absolute Armut, in der sich über eine Milliarde Menschen befindet, eine Verletzung der Menschenrechte ist?“, so der Experte.

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