Lage im Libanon „sehr angespannt“
Reich an Kulturschätzen, traumhafte Strände und eine pulsierende, weltoffene Hauptstadt: Mit einer Ausgangslage wie dieser gilt der Libanon seit jeher als an sich prädestiniertes Urlaubsland. Aktuelle Reiseführer sucht man in den Buchläden dennoch vergeblich. Gründe dafür gibt es mit Blick auf die explosive Lage in der Region und deren Auswirkungen auf den Libanon viele.
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Wie kaum ein anderes Land bekommt der Libanon den Bürgerkrieg im benachbarten Syrien und damit der bis 2005 im Land selbst mit Tausenden stationierten Soldaten ehemaligen Besatzungsmacht zu spüren. Von Kriegen, dem Nahost-Konflikt und internen Zerwürfnissen gezeichnet, befindet sich das Land aber ohnehin „im permanenten Stresstest“, wie etwa die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) den Zustand des Libanon auf den Punkt brachte.

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„Die Sicherheitslage ist im ganzen Land sehr angespannt“, lautet auch die Expertise des Außenministeriums, das in seiner mit partiellen Reisewarnungen gespickten Reiseinformation auch auf die gestiegene Anschlagsgefahr verweist.
Bis zu zwei Millionen syrische Flüchtlinge
Dabei treiben bereits die weit über eine Million, möglicherweise sogar zwei Millionen im Libanon befindlichen syrischen Flüchtlinge den rund vier Millionen Einwohner zählenden Libanon zunehmend an den Rand seiner Belastungsgrenze. Im Pro-Kopf-Vergleich leben in keinem anderen Land der Welt mehr Hilfesuchende.
Ungeachtet dessen wird von der Regierung an einer strikten No-Camp-Policy festgehalten, weswegen es im Libanon offiziell kein einziges syrisches Flüchtlingslager gibt. Die Vorgangsweise erklärt sich mit Blick auf die seit Jahrzehnten im Libanon befindlichen Palästinenserlager, die sich mit ihren geschätzten 300.000 bis 400.000 Bewohnern als eine Art Staat im Staat etabliert haben - gleichzeitig aber auch mit den tief in pro- und antisyrische Lager gespaltenen Kräften, die mitsamt gegenseitigen Drohgebärden das Land in einem gefährlichen politischen Stillstand halten.
Massenproteste in Beirut
Abseits der aussichtslosen Lage vieler Flüchtlinge gerät auch die libanesische Bevölkerung - Stichwort steigende Arbeitslosigkeit, zunehmende Armut und fehlender Wohnraum - immer mehr in Bedrängnis. Die Regierung sieht sich mit sinkenden Einnahmen - etwa durch ausbleibende Touristen - und gleichzeitig steigenden Ausgaben, vor allem für die zum Teil auch für Flüchtlinge offenstehenden Dienstleistungen konfrontiert, womit auch die öffentlichen Mittel für Gesundheit, Bildung, Wasser- und Energieversorgung immer knapper werden.

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Spuren der Müllkrise sind in Beirut weiter sichtbar
Die Geduld der Bevölkerung scheint enden wollend: Im Sommer führten Probleme mit der Müllversorgung in Beirut zu einer bisher im Libanon beispiellosen Protestbewegung - und dieser geht es nicht nur um die Beseitigung von Müll, sondern grundsätzlich um die als korrupt und unfähig empfundene politische Führung. Auch die anfängliche Gastfreundschaft gegenüber syrischen Flüchtlingen bekommt zunehmend Risse. Dazu kommt, dass angesichts fehlender Perspektiven nicht nur viele syrische Flüchtlinge, sondern zuletzt auch verstärkt Libanesen versuchen, das Land zu verlassen.
Steigende Angst vor Dschihadisten
Zunehmend fragil erscheint die Lage aber nicht allein wegen der immer prekärer werdenden humanitären Situation - abseits der konfliktbeladenen Beziehung der 19 anerkannten Religionsgemeinschaften und des anhaltenden Einflusses von außen steigt auch die Angst vor dschihadistischen Kräften.
Dazu kamen an der Grenze zu Syrien schwere Gefechte zwischen der libanesischen Armee mit Kämpfern des IS bzw. der Al-Nusra-Front. Von Dschihadisten kontrolliert und Ziel syrischer Luftangriffe ist zudem die libanesische Grenzstadt Arsal. Beobachtern zufolge ist dank internationaler Unterstützung derzeit die befürchtete Gefahr eines Überschwappens des Syrien-Krieges auf den Libanon gebannt.
Seit Monaten verwaister Präsidentenpalast
Mit der schiitischen Hisbollah-Miliz ist auf der Seite von Langzeitmachthaber Baschar al-Assad dennoch ein zentraler Machtfaktor des Libanon direkt an den Kämpfen im Nachbarland beteiligt. Mit dem Engagement in Syrien verstößt die Hisbollah gegen die offizielle Politik der Nichteinmischung, zu der sich alle Parteien im Juni 2012 in der Erklärung von Baabda bekannten.
Offensichtliches Beispiel des laufenden Schlagabtauschs zwischen den prosyrischen und prowestlichen Kräften (14.-März-Allianz) des Landes sind gelähmte öffentliche Institutionen und nicht zuletzt der seit Anfang des Vorjahres leerstehende Präsidentenpalast in Baadba nahe Beirut: Nach wie vor wird eine Mehrheit für einen Nachfolger des am 24. Mai 2014 aus dem Amt geschiedenen Präsidenten Michel Sulaiman gesucht.
Formal im Krieg mit Israel
Regierungs- und Staatskrisen sind dem Libanon freilich alles andere als fremd - die Zeit wirtschaftlicher Prosperität samt weitgehend stabilen Verhältnissen und damit Libanons Ära als „Schweiz des Orients“ wurde bereits 1975 von einem Bürgerkrieg beendet. Zunächst als Land mit Modellcharakter gelobt, wurde der Libanon durch den erst 1990 beendeten blutigen Konflikt zum Synonym für Chaos, Terror und islamistischen Radikalismus. Ein Image, von dem sich das Land nie mehr gänzlich befreien konnte - vielmehr ist die seit dem Ende des Bürgerkrieges bis heute andauernde Periode des Wiederaufbaus von zahlreichen Rückschlägen geprägt.
Abseits der Auswirkungen des Syrien-Krieges ist auch das Verhältnis zum südlichen Nachbarn Israel seit Jahrzehnten angespannt: Ungeachtet des bereits 1949 geschlossenen Waffenstillstandsabkommens betrachtet sich der Libanon formal bis heute im Kriegszustand mit Israel. Seit August 2006 halten sich Israel und die Hisbollah an eine von der UNO-Friedenstruppe UNIFIL überwachte Feuerpause. Diese stand seitdem - wie zuletzt im Vorjahr angesichts der israelischen Gaza-Offensive - aber immer wieder ernsthaft auf dem Prüfstand.
Peter Prantner, ORF.at
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