Themenüberblick

Keine leichte Entscheidung

Der Vorschlag ist spontan und recht kurzfristig aufgetaucht: Bei der Recherche zum Thema Frauen und Sprache konkretisierte sich in der Redaktion von ORF.at die Idee, sich dem Thema nicht nur journalistisch zu nähern. Der Vorschlag, die Sprache aller Artikel zu „feminisieren“, sorgte für viele Fragen und kontroverse Debatten.

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Losgetreten wurde die Debatte am Mittwoch vergangener Woche - es blieben also nur wenige Tage zur Diskussion und Vorbereitung. Dementsprechend tauchten innerhalb der Redaktion Fragen auf vielen verschiedenen Ebenen auf. Ist Geschlecht und Sprache ein so wichtiges Thema, dass wir das versuchen wollen? Finden wir das grundsätzlich sinnvoll? Was wollen wir damit bezwecken? Wie erklären wir das Experiment? Und: Wie ist die Aktion und der damit verbundene Mehraufwand in der Praxis überhaupt durchführbar? Wie kann man mit den zu erwartenden sehr emotionalen Reaktionen umgehen?

Unterschiedliche Standpunkte

Dass die Entscheidung nicht einfach ist, war klar: Für ORF.at wäre eine solche Aktion eine Premiere. Und immerhin ist ORF.at öffentlich-rechtlich und die meistgelesene Nachrichtenwebsite des Landes. Schon an der Frage, wie wichtig es überhaupt ist, Frauen in der journalistischen Sprache sichtbarer zu machen, schieden sich die Geister - und das nicht entlang der Geschlechtergrenze. Es sei eine wichtige Sache, meinten die einen. Es sei ein rein symbolischer Nebenschauplatz in der Frage der Chancengleichheit, meinten die anderen - ein Einwand, den es auch bei der Erklärung des Projekts darzulegen galt.

Kaum Vorbilder

Wie sieht es konkret im Journalismus mit seinen sprachlichen Eigenheiten aus? Lässt sich das mit einer geschlechtersensiblen Sprache vereinbaren? Ein Blick auf Beispiele zeigt: eher nein. Die Schweizer „Weltwoche“, ein Wochenmagazin, erschien 1987 einmal in rein weiblicher Form, das „profil“ 2014. Die deutsche „taz“ führte irgendwann in den 80er Jahren das Binnen-I ein, verabschiedete sich aber sukzessive und ohne bewussten Beschluss wieder davon.

Antworten brachte das nur bedingt. Auf praktischer Ebene: Die Produktion eines Wochenmagazins läuft anders ab als die einer minutenaktuellen Website, was die Sache schwieriger macht. Auf prinzipieller Ebene: Ist es eine etwas angestaubte Idee, die in den 80er und 90er Jahren ihren Charme hatte und jetzt altbacken wirkt?

Und was sind die Folgen?

Eine der am kontroversesten debattierten Fragen war, ob das Experiment nicht den Anschein eines Gags oder einer reinen Alibiaktion erwecken könnte. Nach dem plakativen Beispiel: Am Muttertag macht der Papa das Frühstück, kocht, putzt und wäscht ab. Die anderen 364 (oder heuer 365) Tage ist dann alles wieder wie gehabt. Was sind also die Konsequenzen aus der Aktion, was die Folgen - auch für ORF.at?

Geführt wurden die Debatten vor allem per Mail - durchaus kontrovers, persönlich, manchmal wohl auch ein bisschen emotional und polemisch. Gebündelt wurden die Standpunkte in drei Kurzsitzungen, an denen Interessierte aus allen Redaktionsteilen von ORF.at teilnahmen.

Alternative Ideen

Zunächst konnten wir uns nicht zu einer Entscheidung durchringen. Auch eine Verschiebung stand im Raum und die Alternative, die Bilderleiste in news.ORF.at, ansonsten ohnehin häufig männlich dominiert, am Frauentag eben nur mit Frauen zu gestalten - eine Idee, die dann zusätzlich umgesetzt wurde.

Der pragmatische Ansatz: zunächst zu versuchen, ob wir das Experiment den Lesern und Leserinnen erklären und vermitteln können, und überlegen, ob der Arbeitsaufwand zu bewältigen ist. Klar war bald, dass sich die Aktion auf die „blaue“ Nachrichtenwebsite beschränken muss und andere Kanäle wie die Bundesländerwebsites außen vor bleiben. Als ein erklärender Hinweistext fertig und für brauchbar befunden wurde und sich auch Zusatzdienste für die Umstellung der Texte Montagabend und Dienstagfrüh gemeldet hatten, war klar: Das Experiment kann über die Bühne gehen.