Flüchtlinge können weder vor noch zurück
Ungarn hat angesichts der De-facto-Schließung der Balkan-Route am Mittwoch den Krisenzustand über das ganze Land verhängt. Das ist eine Voraussetzung, um beabsichtigte zusätzliche 1.500 Soldaten zu mobilisieren. Diese könnten vor allem an der rumänisch-ungarischen Grenze eingesetzt werden. Auch Ungarn rechnet offenbar damit, dass die Blockade von Fluchtwegen nur neue eröffnet.
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Innenminister Sandor Pinter nannte die Verhängung des Krisenzustands bei einer Pressekonferenz in Budapest eine „Vorsichtsmaßnahme“, weil die Reaktion der Flüchtlinge, die sich nun in den direkten Nachbarländern Ungarns aufhalten, nach der Grenzschließung nicht absehbar sei. Man rechne zwar derzeit nicht mit Vorfällen an der Grenze zu Rumänien, dennoch könne aufgrund der nunmehr geltenden Krisenbefugnisse auch innerhalb von zehn Tagen ein Zaun an der innereuropäischen Grenze gebaut werden.
Griechenland startet Durchimpfung von Kindern
Zuvor hatten Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien ihre Grenzen für Flüchtlinge blockiert. Einlass in diese Staaten findet nun nur noch strikt gemäß den Schengen-Regeln statt - also mit gültigem Pass und Visum. Auf dem Papier bedeutet das also, dass derzeit vor allem Griechenland und die Türkei den allein heuer 132.000 Schutzsuchenden Zuflucht gewähren müssten. Schon jetzt geht die Situation am mazedonisch-griechischen Grenzübergang Gevgelija-Idomeni aber einer Eskalation entgegen.

APA/AFP/Sakis Mitrolidis
Idomeni am Mittwoch
In Idomeni harren rund 14.000 Syrer und Iraker in Campingzelten oder unter freiem Himmel aus. Angesichts von Dauerregen, tiefen Temperaturen und katastrophalen hygienischen Bedingungen begannen die griechischen Gesundheitsbehörden am Mittwoch mit der Impfung der Kinder. Griechenland bemüht sich um die Verteilung der Flüchtlinge auf Unterkünfte im Süden, „wo sie menschliche Lebensbedingungen finden können“, sagte der griechische Vizeinnenminister Giannis Balafas.
Scharfe Debatte in EU-Parlament
Den Flüchtenden ist aber klar, dass sie in Griechenland und allenfalls bei einer weiteren Rückschiebung in die Türkei kaum auf einen Neustart in ein wirtschaftlich selbstbestimmtes Leben ohne Krieg oder Unruhen hoffen dürfen, sie klammern sich deshalb weiterhin an die Hoffnung, sich nach Nord- und Westeuropa durchschlagen zu können. Rufe etwa aus Deutschland, Frankreich und Italien an die betroffenen Länder, Alleingänge zu unterlassen, verhallen indes ungehört.
Auch aus dem EU-Parlament kam am Mittwoch scharfe Kritik am Plan, die Krise durch die Abschiebung sämtlicher Neuankömmlinge aus Griechenland in die Türkei einzudämmen. Sozialisten, Grüne und Linke äußerten in Straßburg große Bedenken wegen drohender Massenabschiebungen und der Lage der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei. Konservative Vertreter kritisierten umgekehrt die umfangreichen Gegenleistungen, die Ankara verlangt.
Europas „moralische Konkurserklärung“
Der Liberale Guy Verhofstadt kritisierte im EU-Parlament, Europa wolle seine „Probleme outsourcen“ und gebe dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan „die Eingangsschlüssel für die Tore Europas in die Hand“. Die Linken-Abgeordnete Gabriele Zimmer sprach von einem „vergifteten Angebot“, das an einen „Ablasshandel“ erinnere. Der grüne Parlamentarier Philippe Lamberts sah eine „moralische Konkurserklärung“ der EU.
Womit Flüchtende in der Türkei zu rechnen haben, ist zudem weiterhin unklar. Vor türkischen Journalisten sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu: „Nicht-Syrer, die wir in der Ägäis aufgreifen, schicken wir in ihre Heimatländer zurück“. Syrer werde man „in Lager bringen“, wurde er in Presseberichten vom Mittwoch zitiert. Für die Aufnahme in der EU kämen nur Syrer infrage, die schon vor dem Beschluss des EU-Türkei-Aktionsplans letzten Herbst in der Türkei waren.
Flüchtende von Informationsfluss abgeschnitten
Noch keinen Lösungsansatz gibt es im Hinblick auf jene Flüchtlinge, die nun innerhalb Europas zwischen geschlossenen Grenzen gefangen sinid. Allein in Serbien sind durch die Blockade der Balkan-Route laut Angaben des UNO-Hochkommissariates für Flüchtlinge (UNHCR) rund 2.000 Personen gestrandet. Rund ein Drittel davon sind Menschen, die Kroatien zuvor nach Serbien zurückgeschickt hatte.
Laut dem UNHCR haben - auch wegen des bisher unbürokratisch gehandhabten Asylrechts - nur die wenigsten Flüchtlinge Informationen darüber, welche Regeln für sie gelten. In Serbien etwa sind Flüchtlinge verpflichtet, innerhalb von 72 Stunden einen Asylantrag einzureichen oder auszureisen. In den meisten anderen betroffenen Ländern gelten vergleichbare Regeln. Auch das führt dazu, dass beispielsweise in Serbien seit dem Jahr 2008 nur 50 Menschen das Recht auf Asyl zugebilligt wurde.
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