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Ankara fordert drei Mrd. Euro mehr

Weitere Milliardenhilfe, visafreies Reisen bereits ab Juni und ein Austausch von syrischen Flüchtlingen im 1:1-Verhältnis: Das sind die Eckpunkte des Flüchtlingsdeals mit der Türkei, über die am Montagabend bei einem EU-Sondergipfel in Brüssel beraten wurde.

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Nach den Worten von EU-Parlamentschef Martin Schulz fordert die Türkei bis 2018 weitere drei Milliarden Euro. „Drei Milliarden sind in der Debatte“, sagte Schulz. Aus den Reihen der EU-Staaten kamen sofort Bedenken. Die EU hatte bereits im November drei Milliarden Euro zur besseren Versorgung syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge in der Türkei zugesagt. Die EU-Staaten stritten aber lange intern über die Lastenteilung. Erst Monate später gab es eine konkrete Abmachung.

Ablehnung gegenüber neuen Geldforderungen

Das zusätzliche Geld soll wieder zweckgewidmet für die Flüchtlinge sein und nicht direkt an die Türkei überwiesen werden. Nach Schätzungen gibt es dort 2,7 Millionen Flüchtlinge. Laut Schulz muss sich die EU erneut an die Arbeit machen, das Geld zusammenzubekommen. Das Europaparlament, das beim EU-Haushalt ein Mitspracherecht hat, sei dazu bereit.

ORF-Reporter Hans Bürger vom EU-Gipfel

Hans Bürger berichtet über ein Geheimpapier, das als Basis für eine Lösung in der Flüchtlingsfrage gehandelt wird. Die Türkei spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) sagte, die EU habe eine Zusage für eine Finanzierung der drei Milliarden Euro gegeben. „Ich bin nicht bereit, darüber hinaus Mittel zur Verfügung zu stellen, solange nicht die Belastungen, die Länder wie Deutschland, Schweden, Österreich tragen, auch abgegolten werden“, so Schelling am Rande der Euro-Gruppe, die in Brüssel parallel zu den Staats- und Regierungschefs der EU und der Türkei tagte.

Erdogan will Geld sehen

Indes meldete sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die Türkei warte weiterhin vergeblich auf die von der EU in der Flüchtlingskrise zugesagte Finanzhilfe. Drei Mrd. Euro seien angekündigt worden: „Vier Monate sind vergangen, sie haben sie uns immer noch nicht gegeben.“ Premier Ahmet Davutoglu sei gerade in Brüssel, „ich hoffe, er kommt mit dem Geld zurück“, so Erdogan. Nach EU-Angaben wurden bisher 95 Millionen Euro für erste Projekte freigegeben.

Auf- und Rücknahme syrischer Flüchtlinge

Diskutiert wird außerdem der Vorschlag, dass die Türkei in der Ägäis aufgegriffene illegale Migranten zurücknimmt. Im Gegenzug verpflichtet sich die EU, syrische Kriegsflüchtlinge von der Türkei zu übernehmen. Zu diesem Zweck ist ein Mechanismus geplant, wonach für jeden von Griechenland in die Türkei zurückgeschickten Syrer ein syrischer Kriegsflüchtling über das Resettlement-Programm von der EU aufgenommen werde.

Ankara fordert raschere Visafreiheit

Außerdem fordert Ankara eine Visabefreiung für türkische Staatsbürger bereits ab 1. Juni 2016. Ursprünglich war vereinbart worden, dass die EU darüber erst im Herbst entscheidet. Der Vorschlag einer Beschleunigung sei ein Schlüsselelement bei den Debatten, bestätigte Schulz. Dafür seien noch mehrere Hürden zu nehmen. Details äußerte Schulz zu diesem Punkt nicht.

Mehrere Minister beim EU-Gipfel

APA/AP/Francois Walshaerts

Beim EU-Gipfel wird hart mit der Türkei über geplante Maßnahmen gefeilscht

Die Visaerleichterung dürfte Davutoglu ein besonderes Anliegen sein, sagte der irische Ministerpräsident Enda Kenny. Nach Angaben von Diplomaten stand am Montag noch keine Einigung unter den EU-Staaten. Ob beim EU-Gipfel am Montag in Brüssel diese Maßnahmen tatsächlich beschlossen werden, war unklar. Mehrere Delegationen hätten die türkischen Forderungen als Erpressungsversuch bezeichnet. EU-Ratschef Donald Tusk hatte den EU-Gipfel um ein Abendessen verlängert.

„Neue und ehrgeizige Ideen“

Grund seien „neue und ehrgeizige Ideen“, die Davutoglu vorgelegt habe. Bei der Gipfelvorbereitung war lediglich davon die Rede gewesen, dass Wirtschaftsflüchtlinge übernommen werden sollen. Die Regierung in Ankara biete etwa an, mehr nicht syrische Flüchtlinge aus der EU zurückzunehmen und nicht nur die, die in der Ägäis aufgegriffen werden, sagte ein EU-Diplomat.

Gipfelchef Tusk, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Davutoglu wollten erst nach Abschluss der Gipfelberatungen mit den Medien sprechen, hieß es. Ein Zeitpunkt dafür wurde nicht genannt. Ursprünglich wollten die drei Spitzenpolitiker schon am Nachmittag nach Abschluss des Mittagessens vor die Medien treten.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte bereits zum Auftakt des für einen Tag geplanten Gipfels eine Verlängerung geahnt: „Das wird noch schwierige Verhandlungen erfordern, sodass ich glaube, dass es auch noch ein paar Stunden dauern wird (...).“ Merkel hatte bereits in der Nacht auf Montag eine mehrstündige Unterredung mit Davutoglu.

Türkei will auch über EU-Beitritt reden

Davutoglu hatte sich im Vorfeld optimistisch gezeigt, dass die EU und die Türkei die Flüchtlingskrise in den Griff bekämen. „Die Türkei ist bereit, mit der EU zusammenzuarbeiten und auch Mitglied der EU zu werden.“ Er hoffe, dass der Gipfel zu einer Erfolgsgeschichte und einem Wendepunkt in den Beziehungen werde. Dabei schließt er auch die EU-Beitrittsverhandlungen mit ein.

Kritik an Übernahme oppositioneller Zeitung

Überschattet wird der Gipfel von dem radikalen Vorgehen der türkischen Regierung gegen die bisher oppositionelle Zeitung „Zaman“. Ende vergangener Woche hatten türkische Polizisten das Redaktionsgebäude gestürmt. Für Europa sei die Medienfreiheit „nicht verhandelbar“, betonte der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, nach einem Gespräch mit Davutoglu. Hier gelte es, „extrem vorsichtig“ zu agieren, vor allem, was die Pressefreiheit betreffe, sagte Frankreichs Präsident Francois Hollande.

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