Kritiker glauben nicht an Wirkung
Schon 2010 hat die Schweiz mit der „Ausschaffungsinitiative“ eine harte Gangart in der Abschiebungspolitik straffällig gewordener Ausländer beschlossen. Nun will die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) einen Schritt weiter gehen und das Gesetz nochmals verschärfen. Geht es nach der stimmenstärksten Partei, sollen Nicht-Schweizer künftig automatisch abgeschoben werden - auch bei geringfügigen Delikten.
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Am Sonntag entscheiden die Schweizer in einer Volksabstimmung über die Reform - nach einer ersten Einschätzung der Demoskopen dürfte sie aber nicht stattfinden. Es zeichne sich ein Nein zur „Durchsetzungsinitiative“ ab, sagte Claude Longchamp vom Forschungsinstitut gfs.bern im Schweizer Fernsehen SRF am Sonntag.
Bei einem Nein würde ein ebenfalls scharfes Ausländerrecht umgesetzt, das aber die Mitsprache der Richter sowie die Einzelfallprüfung bei der Frage einer Ausweisung nicht aushebelt. Bei der Annahme der „Durchsetzungsinitiative“ durch die Wähler würde die Liste der Gründe, wegen derer Ausländer ihr Aufenthaltsrecht verlieren, noch um einiges länger werden.
Mit Vorstrafe reicht Rauferei aus
Zu ihnen zählen neben Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch Drogenhandel und Sozialmissbrauch - und geringfügige Vergehen wie einfache Körperverletzung, Teilnahme an einer Rauferei, „falsche Anschuldigungen“ und „Drohungen gegen Beamte“, wenn es sich um Wiederholungstäter handelt. Betroffen sind auch Nachkommen von Einwanderern, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind, aber nicht die Staatsbürgerschaft besitzen.

Screenshot www.durchsetzungsinitiative-nein.ch/
Auch die Gegner machen mobil - sie sehen die Demokratie gefährdet
Des Landes verwiesene Personen sollen unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status alle Rechtsansprüche auf einen Aufenthalt in der Schweiz verlieren. Eine konkrete Ausreisefrist soll angeordnet und ein Einreiseverbot von fünf bis 15 Jahren verhängt werden, im Wiederholungsfall von 20 Jahren. Grundsätzlich dürfen Ausweisungen in alle von der Regierung in Bern als sicher eingestuften Länder erfolgen.
Keine Einzelfallprüfungen mehr
Der SVP gehen die bisherigen Gesetze, die auf Basis des Volksentscheids 2010 gemacht wurden, nicht weit genug. Sie enthalten eine Klausel, die es Richtern ermöglicht, in Härtefällen die automatische Ausweisung zu stoppen. Die SVP sprach von einer Verwässerung des Volksentscheids - mit der neuen Regelung würden Einzelfallprüfungen und die Abwägung der Verhältnismäßigkeit nun weitgehend entfallen.
Laut einer Berechnung des Statistikamts wären im Jahr 2014 knapp 3.900 Ausländer ausgewiesen worden, wäre das im vergangenen März verabschiedete Gesetz damals schon in Kraft gewesen. Nach der neuen SVP-Initiative wären es mehr als 10.200 gewesen. Tatsächlich waren es rund 500. Die meisten der rund zwei Millionen Ausländer in der Schweiz stammen aus Europa - allen voran sind es Italiener, Deutsche und Portugiesen, gefolgt von Franzosen, Kosovaren und Spaniern.
Keine Abschreckung für „Kriminaltouristen“
Die Initiative sorgt für heftige Kontroversen in einem Land, in dem immerhin ein Viertel der ständigen Bewohner keinen Schweizer Pass haben. Allerdings steht die SVP mit ihrem Vorstoß weitgehend allein da. Eine breite Front lehnt ihn ab, darunter alle anderen Parteien, nach deren Auffassung sie gegen die „Grundregeln“ der Demokratie verstößt.
Kritiker verweisen auch darauf, dass das Gesetz wohl wenig bringen dürfte: „Ein Großteil der durch Ausländer begangenen Delikte wird durch Kriminaltouristen begangen“, sagte Stefan Egli vom Komitee gegen die Durchsetzungsinitiative, dem 54 Nichtregierungsorganisationen angehören. „Einen Kriminaltouristen interessiert es nicht, ob er die Schweiz nicht mehr betreten darf, wenn er sowieso illegal und nur hier ist, um Einbrüche zu begehen.“ Die SVP-Initiative sei „nichts anderes als eine Scheinlösung mit gravierenden Nebenwirkungen“.
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