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Das Leben geht weiter

Dass die Eagles of Death Metal mit ihrer Vorgruppe White Miles schon drei Monate nach dem verheerenden Anschlag auf den Pariser Club Bataclan wieder auf Tournee gehen, war für viele eine Überraschung. Ihr Konzert im Wiener Gasometer am Montagabend stand im Zeichen des „Trotzdem“, des „Jetzt erst recht“.

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Daniela hatte „kein mulmiges Gefühl“, als sie am Montagabend Richtung Gasometer aufbrach. Die knapp 20-jährige Blonde wirkte fröhlich und hatte die Karte längst gekauft, als das Konzert wegen der Anschläge verschoben wurde. Sie findet es „super“, dass die Eagles of Death Metal ihre Tournee so bald fortsetzten: „Man darf sich das von diesen Spinnern nicht vermiesen lassen“, so der Rock-Fan über die Terroristen.

Die US-amerikanische Band "Eagle of Death Metal auf der Bühne

APA/Herbert P. Oczeret

Dave Catching und Jesse „The Devil“ Hughes von den Eagles of Death Metal

Benjamin, mit langem, braunem Bart und Kapperl, spricht bedächtig. Er und seine Freundin hätten wegen Sicherheitsbedenken erwogen, zu Hause zu bleiben. Benjamin glaubt, dass der Anschlag auf das Bataclan in Paris der Band selbst gegolten hat, und er ist sich nicht sicher, ob die Tournee wirklich schon jetzt fortgesetzt hätte werden sollen. Aber schließlich überwog die Begeisterung für die Eagles of Death Metal. Angst hat Benjamin jetzt nicht, die Sicherheitskontrollen am Eingang - samt Metalldetektoren - haben ihn beruhigt. Außerdem müsse man „dem“ - er meint den Terror - etwas entgegensetzen.

„Ihr seid’s da, weil’s Musik hören wollt’s“

Das meint auch Medina Rekic, die Sängerin und Gitarristin der Tiroler White Miles. Die Band hatte schon in Paris als Vorgruppe für die Eagles of Death Metal gespielt und ist weiterhin mit von der Partie. Fast auf die Minute pünktlich um 20.00 Uhr betritt Rekic gemeinsam mit Schlagzeuger Hansjörg Loferer die Bühne. Ohne Grußworte wird das Publikum vom flächigen Sound der Zweipersonenband umgeblasen. Die White Miles nennen ihren Stil „Dirty Pole Dancer Stoner Blues Rock“. Das kommt durchaus hin.

Die Band spricht die Anschläge nicht direkt an, aber Rekic macht klar, worum es hier geht: „Ihr seid’s da, weil’s Musik hören wollt’s, weil’s Bier wollt’s, weil’s Leute kennen lernen wollt’s. Weiter so - das ist das Wunderschönste.“ Es geht hier nicht um Politik, sondern um Party. Was, aber auch das sagt Rekic nicht, einem politischen Statement durchaus gleichkommt. Im Folgenden wird die Band mehrfach ihre Begeisterung über das Konzert kundtun. Nach jedem Song ein „geil“ - „megageil“, „oaschgeil“, „fetzengeil“. Heimvorteil für die Österreicher. Das Publikum ist vom ersten Song an mitgerissen.

Gut getarnte Zivilpolizisten?

Teenager mit Seitenscheitel (T-Shirts von Led Zeppelin, Queens of the Stone Age) wippen genauso begeistert mit wie langhaarige 40-plus-Konzertbesucher (einer mit Glatze und Toto-T-Shirt) und Modehipster jeder Altersklasse. Die Band macht Werbung für ihr neues Album und peitscht die Halle druckvoll auf die Eagles of Death Metal ein. Ihre Musik ist irgendwo zwischen Sonic Youth und Deep Purple angesiedelt, was in der Theorie schrecklich klingen mag - in der Praxis jedoch nicht, im Gegenteil. Die Band ist eine absolute Liveempfehlung und würde auch als Headliner funktionieren.

Wer in der Pause umherstreunt, darf sich über die geringe Polizeipräsenz wundern. Bei einem Rundgang werden lediglich zwei uniformierte Beamte gesichtet, und selbst Securitys sind nicht mehr als bei jedem anderen Konzert dieser Größenordnung im Einsatz. Entweder man machte sich wirklich keine Sorgen, oder der korpulente Mann mit dem Toto-T-Shirt ist nur einer von vielen geschickt getarnten Beamten in Zivil.

Gesten gegenseitiger Liebe

Mit ein wenig Verspätung betreten um 21.20 Uhr die Eagles of Death Metal die Bühne, während aus den Lautsprechern „Rock Me Amadeus“ von Falco dröhnt. Während der ersten Minuten entsteht eine magische Stimmung, sie sind geprägt von einem seltsamen, intensiven Ritual, von dem das Publikum mit der Band in Einklang gebracht wird. Sänger Jesse „The Devil“ Hughes sucht beständig Blickkontakt zu Konzertbesuchern, während er Falco dirigiert, zur Musik mitswingt und ohne Mikro rappt.

Die US-amerikanische Band "Eagle of Death Metal auf der Bühne

APA/Herbert P. Oczeret

Die Eagles breiten ihre Schwingen aus

Hughes ist sichtlich bewegt von der überbordenden Reaktion des Publikums, das frenetisch jubelt. Benommen schüttelt er den Kopf, als wollte er sagen: „Ich pack’ Euch nicht.“ Mehr braucht es auch nicht, durch diese Gesten gegenseitiger Liebe wird ausgesprochen, wofür es keiner Worte bedarf: Das Publikum ist glücklich, weil die Eagles überlebt und sich trotz des Anschlags nicht zurückgezogen haben - und die Band ist froh, dass die Menschen kommen, um Party zu feiern. Subtext: Gemeinsam sind wir stark, wir lassen uns vom Wahnsinn des Terrors nicht unterkriegen.

Zu laut, zu unsauber, zu schnell

Hughes wird später von „wonderful powers“ und einem „strange, beautiful feeling“ sprechen. Nach diesen ersten fünf Minuten folgen eineinhalb Stunden Gute-Laune-Musik, geschichtsbewusster Rock ’n’ Roll, irgendwo zwischen Punk und Rolling Stones. Die Einflüsse sind vielfältig, aber alles wird hier absichtsvoll zu laut, zu unsauber, zu schnell gespielt. „This ride’s gonna be fuckin’ wild“, sagt Hughes am Anfang, und er verspricht damit nicht zu viel.

Dave Catching ist an der Leadgitarre eine Erscheinung, mit seinem Z-Z-Top-Bart und dem Suicidal-Tendencies-artigen Bandana. Durch scheinbar sanfte Berührungen entlockt er seinem Instrument rohe Riffs von der Durchschlagskraft eines Vorschlaghammers. Vergleichsweise zurückhaltend Brian O’Connor am Bass und Julian Dorio am Schlagzeug.

Das Publikum tobt über weite Strecken, es wird viel getanzt, die Generation 40 plus darf headbangen. Jürgen und Dominik, zwei Burschen Anfang bis Mitte zwanzig, Eigenbezeichnung „coole Fans“, sind „begeistert“. Einer von ihnen war schon vor sieben Jahren beim Eagles-of-Death-Metal-Konzert im Rahmen des Frequency Festivals. „Es ist genau wie damals“, sagt er, fügt nach kurzer Überlegung aber hinzu: „Vielleicht sind sie heute ein bisschen überdrehter.“

Wie tief die Erschütterung ging

Für die Eagles war schon kurz nach dem Anschlag klar gewesen, dass sie weitermachen wollen. In diversen Interviews legen sie eine „Jetzt erst recht“-Haltung an den Tag. Wieder auf Tour zu gehen, noch dazu so früh, ist keine Selbstverständlichkeit. In einem Vice-Interview, das keine zwei Wochen nach dem Anschlag aufgenommen wurde, sah man das Offensichtliche, das Naheliegende: wie tief die Erschütterung durch die Geschehnisse am Abend des 13. Novembers war.

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Emotionen bei Rückkehr nach Paris

Sichtlich bewegt spielten die kalifornischen Musiker vor dem Pariser Publikum - drei Monate nach den Anschlägen.

Das Entsetzen stand ihnen noch ins Gesicht geschrieben, als sie über die Details des Abends berichteten. Über das Chaos, als zuerst keiner wusste, was überhaupt los war („Ich dachte an einen Defekt der Soundanlage“), dann jene Momente, als niemand wusste, wohin eine Flucht noch möglich wäre. Wo auch immer sie hinblickten, sahen sie die Mörder, Blut, sterbende Menschen. Gemeinsam mit Fans fanden sie einen Seitenausgang und konnten sich in ein enges Pariser Gässchen retten.

Frühe Rückkehr auf Pariser Bühne

Und dennoch: Schon im Dezember war die Gruppe mit zwei Stücken Überraschungsgast eines Konzerts von U2 in Paris. Und am Samstag vor einer Woche startete die Band schließlich ihre Tournee ganz offiziell mit einem Konzert in Stockholm. Für Verwunderung, sogar für Kritik sorgte der Auftritt der Band letzte Woche in Paris - der nicht im Bataclan stattfand. In Kommentaren war davon die Rede, dass es noch „zu früh“ sei für die Opfer und ihre Angehörigen. Unbeirrt lud die Band alle Überlebenden von November zu diesem Konzert wieder ein. Tatsächlich kamen einige und waren erneut dabei - einer von ihnen im Rollstuhl.

Als die Band, begleitet von einem Chanson aus den Lautsprechern, die Bühne betrat, gingen die Wogen hoch, wie man in einem Video des Gigs sehen kann. Minutenlanger Applaus vonseiten des Publikums, ungezügelte Emotionen auf der Bühne - auch hier, wie in Wien, Gesten der Liebe und des Trotzes. In einem Interview mit dem britischen Metal-Magazin „Kerrang“ (zitiert nach dem „Kurier“) sagte Schlagzeuger Josh Homme: „So etwas geht nie vorüber. Aber man will weitergehen, auf eine Art, die einen bestärkt. Der Versuch ist, alle zusammenzubringen, damit das, was übrig bleibt, größer ist.“

„Die schwierigste Situation“

Wieder in Paris aufzutreten sei „die schwierigste, herzzerreißendste Situation, vermischt mit dem erhebendsten Streben nach Licht, das man sich nur vorstellen kann, in gleichen Maßen schrecklich und unvergesslich." Der Auftritt in Paris habe „einen Kreis geschlossen“. Das Bataclan wird heuer renoviert und soll spätestens Ende des Jahres wiedereröffnet werden. Die Band will es sich nicht nehmen lassen, dabei als erste auf der Bühne zu stehen.

Die Anschläge des 13. November hatten sich nicht auf den Club beschränkt. Fast gleichzeitig wurden in verschiedenen Bars und Gaststätten und auch vor dem Stade de France Attentate verübt. Insgesamt erlagen bei der Anschlagserie 130 Menschen ihren Verletzungen. Auch an einer Band, die gute Laune zum Daseinszweck erhoben hat, geht das nicht spurlos vorüber. In Wien senden die Eagles of Death Metal mit ihrer einfachen Musik und mit einfachen Gesten eine einfache Message aus: Das Leben geht weiter. Und wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen. Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.

Die vielleicht versteckte Botschaft

Einen Song widmeten die Eagles ihrem bei dem Anschlag getöteten Crewmitglied Nick Alexander. Die Täter oder ihre Hintermänner direkt anzusprechen, vermeiden sie jedoch. Aber vielleicht ist in dem einzigen deutschen Satz, den Jesse Hughes kann, eine versteckte Botschaft an islamistische Terroristen enthalten. Vielleicht werden solche liebevollen Sätze einfach viel zu selten zu ihnen gesagt. Und vielleicht werden sie ja deshalb zu dem, was sie sind. Hughes, auf Deutsch: „Du bist meine Muschikatze.“

Simon Hadler, ORF.at

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