Abwanderung setzt der Stadt zu
Detroit hat die bei weitem größte Städtepleite in der Geschichte der USA hinter sich. Vor etwas mehr als einem Jahr schloss die ehemalige Autometropole ihr Insolvenzverfahren ab. Eine wachsende Armutsbevölkerung, der Wertverfall von Immobilien und die Folgen der massiven Abwanderung in die Vororte setzen der Stadt aber weiterhin zu.
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Mit der Pleite von Detroit hatte der ehemalige Insolvenzverwalter Kevyn Orr eine Reihe von Entlassungen, Einsparungen bei Löhnen und Pensionen, eine Sparrunde bei kommunalen Dienstleistungen und den Ausverkauf von kommunalem Besitz vorangetrieben. Aber zu dieser Zeit war die ehemalige Millionenmetropole bereits auf 688.000 Einwohner geschrumpft.
Konzentrierte Armutsbevölkerung
„Der Exodus der Mittel- und Arbeiterklassen, die abgewandert sind, hat eine konzentrierte Armutsbevölkerung in der Stadt zurückgelassen“, sagt die Politologin Margit Mayer, Expertin für Stadtpolitik an der Freien Universität (FU) Berlin im Gespräch mit ORF.at. Im Jahr 1950 lebten 1,8 Millionen Menschen in der Stadt, in den 90er Jahren bis 2009 blieb die Einwohnerzahl bei etwa einer Million über die Jahre konstant, seitdem schrumpft die Einwohnerzahl von Jahr zu Jahr, wie das United States Census Bureau in seinen Zahlen ausweist.
Bei dem Umschuldungsplan wurden der Stadt sieben Milliarden Dollar der insgesamt 18 Milliarden Dollar (16,19 Mrd. Euro) schweren Verschuldung aus den Büchern gestrichen. Orr sprach damals von einer „historischen Entscheidung“ und sagte, Detroit bewege sich auf einem Weg hin zu finanzieller Stabilität. Diese bezweifelt Mayer: „Sowohl die eigenen Einkünfte als auch die Finanzausgleichsquellen des Staates Michigan sind so gering, dass die Haushaltseinkünfte Detroits bis in die Mitte der 2020er Jahre eher sinken oder maximal konstant bleiben.“
Postindustrieller Übergang verpasst
Detroit hat Jahrzehnte von der Automobilindustrie gelebt: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich die Stadt zum führenden Standort der US-Autoindustrie entwickelt. 1909 begann Ford die erste Massenproduktion, der sich andere Autobauer bald anschlossen. Nach wie vor sitzen die „Big Three“, General Motors, Ford und Chrysler, in Detroit, als Produktionsstandort hat die Stadt aber an Bedeutung verloren – und gleichzeitig auch den Übergang in das postindustrielle Zeitalter verpasst, so Mayer.
Längst haben Kreative Detroit als attraktive Stadt entdeckt, in der man mit wenig Geld viel Raum für Möglichkeiten hat. Sie errichten in den verlassenen Produktionshallen Ateliers und Galerien, stemmen Bars aus dem Boden oder planen Architekturbüros. „Creative Industries können durchaus ein Ansatzpunkt zur wirtschaftlichen Erholung einer Stadt sein, weil diese von niedrigen Flächenpreisen profitieren“, sagt Peter Mayerhofer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) gegenüber ORF.at. Jedoch sei der Prozentsatz dieser Einwohnergruppen in Detroit zu gering, als dass sie einen relevanten Faktor beim wirtschaftlichen Aufschwung darstellen könnten, erklärt Mayer.
Ökonomische Basis verschoben
Die ökonomische Basis moderner Städte hat sich in den letzten Jahrzehnten von der industriellen Produktion hin zu dienstleistenden Tätigkeiten verschoben. Die „Städte der Zukunft“ seien immer solche mit Technologie- und Wissensvorteilen, höher qualifizierten Arbeitskräften und vorrangig innovativen Unternehmen, sagt Mayerhofer. Erfolgreiche Städte, die den Übergang zur postindustriellen kreativen Stadt geschafft haben, würden sich also nicht nur auf ein Erfolgsmodell verlassen.
Es ginge vor allem darum, inwieweit Innovationen innerhalb einer Branche auf eine andere nahe Branche neu angewendet werden können. Das passiere dann, wenn es viele Branchen gibt, die sich technologisch und kognitiv nahe stehen und somit voneinander profitieren können. Optimal sei daher weder die Spezialisierung auf eine Branche noch eine enorme, nicht verwandte Branchenvielfalt, so Mayerhofer.
Weiße Vororte schotten sich ab
Von diesen Fragen ist Detroit aber weit entfernt: Über 80 Prozent der Bewohner der verarmten Stadt sind Afroamerikaner. Sie ist umgeben von weißen wohlhabenden Vororten. Ein Teil der Firmen ist zwar in Downtown Detroit geblieben, viele Unternehmen sind aber in die Vorstädte gezogen, sodass viele dieser Vororte reich und prosperierend sind. Das bildlichste Beispiel ist Grosse Pointe, östlich von Detroit am Ufer des Lake St. Clair gelegen. Grosse Pointe gehört zu den reichsten Städten der USA. Und hier sehe man das strukturelle Problem, sagt Mayer.
Detroit habe überhaupt keine Möglichkeit, sich wirtschaftlich neu aufzustellen, da die Kommune über keine finanziellen Mittel dafür verfügt. Mayer: „Mittels Finanzausgleichsmaßnahmen innerhalb der Region könnte man eine steuerliche Umverteilung angehen. Dafür gibt es jedoch keine Mehrheiten im politischen System, sondern heftigen Widerstand aus den Vororten, der obendrein stark vom Staat Michigan favorisiert wird."
Wer es sich leisten kann, zieht weg
Das Spezifische an US-amerikanischen schrumpfenden Städten im Vergleich zu Städten in Österreich oder Kanada sei deren eingeschränkter Handlungsspielraum, so Mayer. Über Jahrzehnte verboten rassistische Strukturen und Regeln Afroamerikanern, Eigenheime in den Vororten zu kaufen. In bestimmten von Afroamerikanern bewohnten Gegenden vergaben die Banken keine Hypotheken (Redlining). „Resultat ist, dass in den von Firmen und wohlhabenden Menschen entleerten Städten auch die Steuern wegbrachen und damit die Ressourcen und Handlungsspielräume für Kommunen wie Detroit“, sagt Mayer. Obendrein habe der Bund den Ausbau der Infrastruktur massiv subventioniert, sodass in die Vororte zog, wer immer es sich leisten konnte.
„In Kanada, Deutschland oder Österreich verhinderten Strategien wie Annexion und Eingemeindung, dass reiche Vororte ihr eigenes Süppchen kochen“, sagt Mayer. Die Möglichkeit, auch vom Reichtum ihrer umliegenden wohlhabenden Vororte über Steuern zu profitieren, sei daher auch eine wichtige Voraussetzung für die Zukunft von Städten wie Detroit.
Arbeit und Ausbildung für Detroiter
Ebenso müssten solche Städte auch den Investoren, die in ihren jeweiligen Downtowns investieren, Zugeständnisse abgewinnen – zum Beispiel, dass sie mit ihren Projekten auch Arbeits- und Ausbildungsplätze für lokale Einwohner stellen. Neubauten sollten nach Meinung der Stadtexpertin zum Teil auch erschwingliche Mietwohnungen beinhalten. Die Kommune könnte auch dafür sorgen, dass die in ihren Besitz übergegangenen, von ihren vormaligen Eigentümern aufgegebenen und verfallenen Häuser renoviert und kostengünstig auf den Markt gebracht oder als Sozialwohnungen angeboten werden.
Aber solange Detroit nicht als Teil der Region mit ihren Vororten betrachtet werde, sagt Mayer, gebe es wenig Hoffnung auf eine schnelle wirtschaftliche Erholung der ehemaligen glanzvollen Autostadt.
Manuela Tomic, ORF.at
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