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Beispiellose Serie der Gewalt

Vor einigen Jahren war die mexikanische Grenzstadt Ciudad Juarez die gefährlichste Stadt der Welt. Morde standen auf der Tagesordnung, und der blutige Krieg der Drogenkartelle tobte. Vor allem wurde Ciudad Juarez aber als „Welthauptstadt der Frauenmorde“ bekannt: Seit 1993 wurden hier Hunderte Frauen ermordet oder verschwanden spurlos. Und lange Jahre ignorierten die Behörden die Vorfälle.

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Vor 40 Jahren war Juarez ein Flecken mit 20.000 Einwohnern. Heute leben in der Stadt 1,3 Millionen Menschen, im Großraum sind es gar 2,5 Millionen. Angezogen von etlichen Fabriken und Betrieben: Aufgrund der unmittelbaren Nähe zu den USA eröffneten hier in den 1980er Jahren Produktionsstätten. Menschen aus ganz Mexiko zogen nach Ciudad Juarez, um in den sogenannten Maquila-Fabriken zu niedrigsten Löhnen zu arbeiten.

Zahl der Opfer unklar

Anfang der 90er Jahre begann eine Epidemie der Gewalt gegen Frauen. Wie viele getötet wurden, weiß niemand, die Schätzungen gehen weit auseinander. Mehrere hundert wurden tot gefunden, ebenso viele verschwanden für immer. Viele junge Frauen und Mädchen, meist aus Zuwandererfamilien aus dem Süden, wurden Opfer der Gewalt. Die meisten von ihnen wurden in der Nähe von Maquila-Fabriken gefunden, auf Müllplätzen und in der Wüste - vergewaltigt, stranguliert, verstümmelt.

Morde wurden ignoriert

Die Familienangehörigen ließ man alleine. Vor allem die Armen und „Morenos“ (Dunkelhäutigen) aus dem Süden hatten das Gefühl, von den Behörden nicht gehört zu werden. Mütter, die ihre verschwundenen Töchter suchten, wurden mit der Behauptung abgefertigt, die Tochter habe sich sicherlich illegal in die USA abgesetzt.

Bis 2004 war so gut wie keine einzige Tat aufgeklärt. Oder es wurden Unschuldige eingesperrt und durch Folter zu einem Geständnis gezwungen. Und die Straflosigkeit hatte noch dazu geführt, dass die Morde im Laufe der Zeit zunahmen, meist im familiären Umfeld, im Zusammenhang mit Drogenkriminalität und Jugendbanden.

Behörden sahen Übertreibung der Medien

Behörden auf allen politisch Ebenen versuchten, die Fälle unter den Teppich zu kehren. Vertreter der staatlichen Menschenrechtskommission hielten das Ganze für eine Übertreibung der Medien. Die mexikanische Justiz bestritt die Frauenmordserie, das sei nur eine Häufung weiblicher Opfer im Drogenkrieg. Selbst der mexikanische Präsident Vincente Fox sagte 2005, die Medien würden dieselben Fälle immer wieder aufbauschen. Dabei seien fast alle schon gelöst.

Tatsächlich begannen die Behörden 2004, ein wenig einzulenken - also nachdem die Mordserie auch international immer mehr Beachtung fand. Die neue Regierung des Staates Chihuahua unter dem Gouverneur Jose Reyes Baeza Terrazas begann mit der Aufklärung der brutalen Taten. Gestoppt wurde die Serie aber nicht sofort.

Drogenkrieg hatte Stadt im Griff

Ausgerechnet 2004 begann auch das große Morden zwischen den Drogenkartellen. Der kürzlich nach spektakulärer Flucht geschnappte Joaquin Guzman, genannt „El Chapo“, Chef des Sinaloa-Kartells und ursprünglich mit der Juarez-Gruppe verbündet, gab angeblich den Mord am Bruder von Vincente Carrillo Fuentes, dem Boss des Juarez-Kartells, in Auftrag. Acht bis neun Tote pro Tag waren die Folge.

Juarez wurde de facto rechtsfreier Raum. Politiker wurden ermordet, der Polizeichef trat unter dem Druck der Drogenmafia zurück, die angekündigt hatte, jeden zweiten Tag einen Polizisten zu töten, falls er im Amt bleibe.

Narben bis heute

2010 erreichte der Drogenkrieg seinen Höhepunkt mit 3.000 Toten in der Stadt. Inzwischen ist die Gewalt deutlich zurückgegangen. Im vergangenen Jahr gab es 300 Morde. Die Regierung führt diesen Rückgang auf das harte Durchgreifen des neuen Polizeichefs und das Präventionsprogramm zurück. Es werde weniger gemordet, weil das Sinaloa-Kartell den Krieg gewonnen habe, heißt es hingegen eher resignativ aus Sicherheitskreisen.

Die Jahre der extremen Gewalt haben aber bis heute Spuren in der Stadt hinterlassen. An Mauern kleben immer noch Fotos der verschwundenen Frauen und Mädchen. Und ihre Angehörigen verlangen zumindest Aufklärung über ihren Verbleib. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit haben die meisten schon aufgegeben.

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