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Komplizierte Gemengelage

Ungeachtet internationaler Appelle hat die Türkei am Dienstag den vierten Tag in Folge Stellungen der kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) beschossen. Türkische Artillerie habe erneut das Feuer auf das Nachbarland eröffnet, meldete die türkische Nachrichtenagentur DHA. Damit habe die Armee, wie es hieß, auf Beschuss durch die YPG-Milizen der syrischen Kurdenpartei PYD in Nordsyrien reagiert.

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Bereits in den vergangenen Tagen hatte Ankara das Vorgehen gegen kurdische Stellungen damit begründet, dass bei kurdischen Angriffen auch die Türkei getroffen worden sei. Die kurdische Agentur Firat berichtete hingegen, das türkische Militär habe die Region um die Stadt Tel Rifaat beschossen, nachdem die YPG die Gegend am Montagabend eingenommen habe. Auch die Region um die kurdische Stadt Afrin sei unter Beschuss genommen worden. Dabei seien zahlreiche Häuser zerstört worden.

Die Türkei fordert die Einrichtung einer zehn Kilometer breiten Schutzzone in Syrien entlang der gemeinsamen Grenze. Das Gebiet solle auch die Stadt Asas umfassen, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Yalcin Akdogan am Mittwoch. In der Zone dürfe es keine Kämpfe geben. Die Türkei verlangt schon seit Jahren die Einrichtung von Schutzzonen. Unklar ist allerdings, wer diese militärisch schützen soll

Kurden profitieren von Regimeoffensive

Die jüngsten Angriffe der Türkei sind ein weiteres Zeugnis für die komplizierte Gemengelage in der Region. Das Vorrücken der kurdischen Truppen in Richtung der syrisch-türkischen Grenze wurde erst durch die Offensive der syrischen Armee im Norden des Landes möglich. Die Truppen von Machthaber Baschar al-Assad gingen gegen Oppositionskämpfer in Aleppo und dessen Umland sowie in der Grenzregion zur Türkei vor. Unterstützt wurden Assads Truppen dabei von iranischen und libanesischen Einheiten sowie russischen Kampfflugzeugen.

Karte von Aleppo und Asas nahe der Türkischen Grenze

Omniscale/OSM/ORF.at

In den letzten Tagen konzentrierten sich die Kämpfe immer mehr auf Asas, das gerade einmal rund 25 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt liegt und noch von Oppositionstruppen gehalten wird. Bereits Anfang Februar war es den syrischen Regierungstruppen gelungen, das Gebiet zwischen Asas und der Türkei einzunehmen und damit eine wichtige Nachschubroute für die Rebellen in der Stadt zu unterbrechen - was sich nun wiederum die Kurden zunutze machen. Asas liegt auf halbem Weg zwischen Afris und der türkischen Grenze.

Bisher aus Bürgerkrieg herausgehalten

Dabei können die Kurden, die vor Ausbruch des Bürgerkrieges rund acht Prozent der Bevölkerung ausmachten, nicht wirklich als Assad-Verbündete bezeichnet werden. Die syrische Regierung war vor 2011 mit zahlreichen Repressionen gegen die Volksgruppe vorgegangen. Das änderte sich allerdings mit Beginn der Kämpfe. Assad versprach den Kurden Erleichterungen und ließ gar so etwas wie Autonomie zu. Die syrische Armee ging vor allem im Zentrum Syriens gegen Aufständische vor, während die Kurden im Norden ihre Gebiete zunehmend selbst verwalten konnten.

Entsprechend hielt sich die Volksgruppe in den vergangenen Jahren zu großen Teilen aus dem syrischen Bürgerkrieg heraus. Dafür wurden die Kurden aber - sowohl in Syrien als auch im Irak - zu einer relevanten Partei im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Unter dem Namen Syrische Demokratische Kräfte (SDF) schlossen sie ein Bündnis mit arabischen Milizen. Das erklärte Ziel war vor allem der Kampf gegen den IS und dessen Vertreibung aus der syrischen Stadt Rakka. Das Bündnis wurde deshalb auch von den USA finanziell und mit Waffen unterstützt.

Moskau weist Vorwürfe zurück

Die arabischen Milizen in der SDF gehören wiederum in Teilen der Freien Syrische Armee (FSA) an, die seit Beginn des Bürgerkriegs gegen Assad kämpft. Die FSA – wenngleich mittlerweile kaum noch von Bedeutung – wird zu den gemeinhin „moderat“ genannten syrischen Rebellen gezählt, im Unterschied zur Al-Nusra-Front und anderen extremistischen Gruppierungen. Das syrische Regime macht freilich keine Unterscheidung zwischen den bewaffneten Oppositionellen und bezeichnet sie durchgehend als „Terroristen“. Entsprechend geht die syrische Armee gegen alle Rebellengruppen gleichermaßen vor - dank der Unterstützung Russlands zuletzt wieder zunehmend erfolgreich.

Für sein Engagement in Syrien steht Moskau international in der Kritik. Erst zuletzt wurden die Vorwürfe wieder besonders laut. Auslöser waren Angriffe auf mindestens fünf Krankenhäuser und zwei Schulen in den nördlichen Provinzen Aleppo und Idlib. Nach UNO-Angaben kamen dabei fast 50 Menschen ums Leben. Russland wies die internationale Kritik zurück. Es handle sich dabei um „unbegründete“ und inakzeptable Vorwürfe, sagte Kreml-Sprecher Dimitri Peskow am Dienstag in Moskau auf die Frage, ob russische Flugzeuge Krankenhäuser in Syrien bombardiert hätten. „Wir weisen solche Erklärungen kategorisch zurück.“

Angst vor Kurdenstaat

Besonders scharf fiel die Kritik auch diesmal von türkischer Seite aus. Ankara versteht sich einerseits als Schutzmacht der syrischen Opposition. Andererseits fürchtet die türkische Regierung ein Erstarken der Kurden in der Region. Mit den Gebietsgewinnen der Kurden wächst in der Türkei die Angst vor einem eigenen Kurdenstaat, dem sich auch die Kurden im eigenen Land anschließen könnten. Die YPG ist der militärische Arm der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD). Diese gilt wiederum als syrischer Ableger der in der Türkei verbotenen und international als Terrororganisation eingestuften PKK. Für Ankara ist damit auch die PYD eine Terrorgruppe.

Kurdenkonflikt mit internationaler Dimension

Das jüngste Erstarken der Kurden in Syrien läuft parallel zur Verschärfung des Konflikts in der Türkei. Seit im vergangenen Sommer der Waffenstillstand zwischen PKK und der türkischen Regierung gescheitert war, flammte der Konflikt in den Kurdengebieten wieder auf. Hunderte Menschen fielen den schwersten Kämpfen seit den 90er Jahren seither zum Opfer. Zugleich fliegen türkische Kampfflugzeuge regelmäßig Angriffe gegen kurdische Stellungen im Irak, die Ankara als Rückzugsorte für die PKK gelten.

Nun scheint der Kurdenkonflikt das ohnehin vom Bürgerkrieg gezeichnete Syrien zu erreichen - und könnte sich dort zu internationalen Dimensionen auswachsen. In den vergangenen Monaten war Moskau zu einem gewichtigen Fürsprecher der Kurden in der Region geworden und berief noch für Dienstag eine Sitzung des UNO-Sicherheitsrates in Reaktion auf den türkischen Beschuss ein. Erst vergangene Woche eröffneten die Kurden in der russischen Hauptstadt ein ständiges Büro. Die Vertretung ist zwar als Nichtregierungsorganisation eingestuft. „De facto ist das aber eine Botschaft“, sagte der Kurdenvertreter Farchat Patijew.

USA zwischen den Fronten

Die USA scheinen diesen Entwicklungen zunehmend hilflos gegenüberzustehen. Sie verstehen sich als Unterstützer der Kurden und sind in ihrem Kampf gegen den IS auf die Bodentruppen der kurdischen Milizen angewiesen. Zugleich muss Washington aber seinem NATO-Partner Türkei den Rücken stärken.

Das weiß auch Ankara, das zuletzt den Ton verschärfte und ganz offen die Unterstützung der NATO-Verbündeten einforderte. Zugleich denkt die Türkei laut über den Einsatz von Bodentruppen in Syrien nach. Ob diese dann allein gegen den IS vorgehen würden, darf bezweifelt werden. Entsprechend hilflos wirkten zuletzt die Aufforderungen des US-Außenministeriums, sowohl an die Türkei als auch die Kurden, die Kampfhandlungen einzustellen und sich „auf die gemeinsame Bedrohung durch den Islamischen Staat“ zu konzentrieren.

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