120 Mio. Dollar Entschädigung gefordert
In Zusammenhang mit den Verbrechen in der „Colonia Dignidad“ laufen derzeit die Vorbereitungen für zwei Sammelklagen gegen die Staaten Chile und Deutschland. Einreichen will sie der Rechtsanwalt Winfried Hempel, der vor 18 Jahren selbst aus der Sektensiedlung entkam.
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120 ehemalige Bewohner der Kolonie wollen sich den Klagen anschließen. Hempel wirft beiden Staaten vor, die Schreckensherrschaft von Sektenchef Paul Schäfer und den sexuellen Missbrauch von Kindern jahrelang zugelassen zu haben. Von Chile verlangt er Entschädigungszahlungen in Höhe von einer Million Dollar (etwa 890.000 Euro) pro Kläger. Berlin wirft er vor, den deutschen Staatsbürgern nicht zu Hilfe gekommen zu sein.

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Kundgebung vor der „Colonia Dignidad“ 1994
Noch heute plagten ihn Alpträume, wenn er an seine Zeit in der „Colonia Dignidad“ zurückdenke, sagte Hempel der Nachrichtenagentur AFP: „Ich kann an diesem Ort immer noch das Leid der Menschen riechen“, sagte der 38-Jährige über den Ort seiner Kindheit. Die von deutschen Auswanderern gegründete Kolonie sei „eine der schlimmsten Sekten in der Geschichte der Menschheit“ gewesen.
„Es gab einen Gott, der hieß Schäfer“
Gegründet wurde die Kolonie im Jahr 1961 von dem nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland geflohenen früheren Wehrmachtsgefreiten Schäfer und 300 Getreuen. Zeitweise lebten in der sektenartig organisierten Siedlung in einer Bergregion nahe der südchilenischen Stadt Parral Hunderte deutsche Auswanderer und ihre Familienangehörigen.
Nach außen hin wurde die Kolonie als landwirtschaftliches Vorzeigeprojekt präsentiert. Doch hinter der idyllischen Kulisse missbrauchte Schäfer über drei Jahrzehnte Kinder und unterwarf seine Anhänger einem brutalen System der Unterdrückung - mit strengen Regeln, harten Strafen, Psychoterror und Indoktrination. Alles im Namen „eines dummen und fanatischen Christentums“, so Hempel. „Es gab einen Gott, der hieß Schäfer.“

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Die aus der „Colonia Dignidad“ geflohenen Tobias Müller (l.) und Zalo Luna im Flugzeug nach Deutschland (1997)
Kinder wurden in der Siedlung von ihren Familien getrennt. Er selbst habe seine Eltern erst im Alter von zehn Jahren kennengelernt und auch dann erst seinen vollständigen Namen erfahren, berichtete Hempel. Dieses System habe die Kinder zu leichten Opfern gemacht. Sie hätten in der Kolonie wie „in einer Versuchsanstalt“ gelebt. „Wir hatten absolut keine Chance, uns darüber klar zu werden, wer wir eigentlich sind.“
Folterlager des Pinochet-Regimes
Während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973-1990) diente die Deutschensiedlung auch als Folterlager. Politische Gefangene wurden auf das weiträumige Gelände der Kolonie verschleppt und dort zu Tode gefoltert. Im Jahr 2005 wurde Schäfer, der 1997 nach Argentinien geflohen war, gefasst und nach Chile überstellt. Dort wurde er 2006 wegen Mordes, sexuellen Missbrauchs und Folter zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er starb 2010 im Alter von 88 Jahren im Gefängnis.
Schäfers Siedlung existiert bis heute. Sie wurde in Villa Baviera („Bayrisches Dorf“) umbenannt und wirbt mit einem Hotel und einem Restaurant um Touristen. Die 160 überwiegend älteren Bewohner pflegen noch immer bayrisches Brauchtum. Ehemalige Opfer Schäfers zeigten sich entsetzt. Sie forderten die Einrichtung einer Gedenkstätte, die an ihr Leid erinnert.
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