Erfinder eines Millionengeschäfts
In Zeiten grell beleuchteter Werbetafeln werden Litfaßsäulen heute als nostalgische Werbeträger wahrgenommen, die sich im Stadtbild aber umso beharrlicher halten. Einst waren viele Menschen auf die Säulen angewiesen, weil diese wichtige aktuelle Informationen boten. Die Säulen wurden als öffentliche Zeitungen verstanden, die den Geschäftsmann Ernst Litfaß reicher machten, als er ohnehin bereits war.
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Berlin, 15. April 1855. Dort, wo heute eine Litfaßsäule aus Metall an ihren Erfinder erinnert, wurde an der Ecke Münzstraße zur Grenadierstraße die erste Litfaßsäule errichtet. Als gut zwei Monate später die ersten 100 der kreisrunden Werbeträger standen, lud der Initiator des neuen Werbekonzepts am 1. Juli zum großen Festakt, um den Berlinern die Säulen schmackhaft zu machen.
Litfaß, der sich stets mondän und kunstsinnig gab und sich in jungen Jahren auch als Schauspieler übte, hatte ein Händchen für publikumswirksame Inszenierungen. So ließ Litfaß für den Anlass nicht nur die „Annoncier-Polka” komponieren. Der Spross einer Druckereidynastie ließ ebenso Feuerzeuge und Zigarettenetuis in Form kleiner Litfaßsäulen anfertigen und unter den neugierigen Berlinern verteilen.
Niederschwelliger Informationszugang
Bald schon liebten die Berliner ihre Litfaßsäulen. Sie nannten Litfaß „Säulenheiligen”. Der schlaue Geschäftsmann wurde fortan „König der Reklame” genannt. Die Beliebtheit hatte einen einfachen Grund. Wer gratis an aktuelle Informationen gelangen wollte, kam um die Säulen nicht herum.

public domain
Werbepionier Ernst Litfaß
Amtliche Verordnungen und Bekanntmachungen waren hier ebenso zu finden, wie Werbung jeglicher Art, und natürlich wurde das Bedürfnis nach heute als boulevardesk geltenden Inhalten erfüllt: In höheren Kreisen galt es als standesgemäß, herrschaftliche Hochzeiten groß zu annoncieren. Den Hochzeitsschaltungen bekannter Persönlichkeiten galt bereits damals das besondere Interesse der Bevölkerung.
Die Litfaßsäulen waren nichts weniger als öffentliche Zeitungen und öffentliche Bilderbücher, deren Standorte den öffentlichen Raum mit viel Leben erfüllten. Denn selbst jene, die nicht lesen konnten, hatten aufgrund der Illustrationen auf den Plakaten einen Informationsgewinn. Die Plakate kündigten Konzerte und Theateraufführungen an, was die Säulen rasch zum Zeichen großstädtischen Lebens machte.
Stadtverschönerung als Argument
Litfaß hatte sich von ähnlichen Werbeträgern, wie sie in London und Paris bereits üblich waren, inspirieren lassen. Die beträchtliche Leistung Litfaß’ lag vor allem in der Vorarbeit, die nötig war, um die Behörden von seinem Konzept zu überzeugen und so überhaupt die Konzessionen für seine Säulen zu erhalten.

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Litfaßsäule in Wien: Der Unternehmer pries die Säulen als Mittel der Verschönerung der Stadt
Litfaß, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits als Verleger und Druckereibesitzer einen Namen gemacht hatte und großen Gefallen am neuen Feld der Werbung zeigte, argumentierte zunächst mit dem Wildwuchs an Plakaten, der sich Mitte des 19. Jahrhunderts in Berlin bot, um seine Säulen in Position zu bringen. Plakate und Botschaften waren überall dort zu finden, wo gerade Platz für sie war und wo eine entsprechende Publikumsfrequenz herrschte. Litfaß pries seine Säulen als Stadtverschönerung an und legte den Behörden ein durchdachtes Konzept für die Verwertung vor.
Mittel zur Zensur
Öffentliche Bekanntmachungen durften die Behörden auf seinen Säulen kostenlos anbringen – dafür blieb Litfaß auf den Säulen das Geschäft mit den kommerziellen Werbeflächen. Er durfte diese Flächen nach Belieben verwerten, und er konnte den Kunden festgelegte Zeitspannen für die Dauer des Plakataushangs garantieren. Die wilden Plakate auf Häusern und Zäunen hingegen wurden schnell überklebt.
Doch vor allem die Obrigkeit hatte durch das Konzept einen entschiedenen Vorteil. Weil der Wildwuchs an Plakaten vor allem politische Agitation zum Inhalt hatte, war mit den Litfaßsäulen und den damit verbundenen Strukturen ein Mittel zur Zensur gefunden - eine Win-Win-Situation. Der als Gegner jeglicher Demokratisierungsprozesse geltende Berliner Polizeipräsident Karl Ludwig von Hinkeldey erteilte in der Hoffnung auf Kontrolle der politischen Meinungsäußerung am 1. Dezember 1854 die erste Genehmigung für die damals noch Annoncier-Säulen genannten Werbeträger.
Mehr Geschäfts- als Gesinnungsmann
Dabei hatte Litfaß wenige Jahre zuvor ideologisch noch in ein ganz anderes Horn geblasen. Während der März-Revolution des Jahres 1848 gab Litfaß, der als Unternehmer die Demokratisierung herbeisehnte, die Zeitschrift „Berliner Krakehler” heraus. Damals forderte Litfaß in seiner Publikation dermaßen laut die Meinungsfreiheit ein, dass das Blatt bald darauf verboten wurde.
Trotzdem war Litfaß offensichtlich mehr Geschäfts- als Gesinnungsmann, was sich auch in seinem Drang nach ständigen Innovationen zeigte: So war er einer der ersten, der Riesenplakate mit einer Länge von knapp zehn Meter anbot. Zudem setzte er sehr früh auf den Buntdruck, den er sich ebenso wie das Prinzip seiner Werbeträger in Frankreich und in Großbritannien abgeschaut hatte.
Enge Kontakte zum Herrscherhaus
Auch mit dem preußischen Königshaus pflegte Litfaß enge Kontakte. So erhielt Litfaß das Exklusivrecht zur Veröffentlichung der Kriegsdepeschen und Siegesmeldungen der Kriegsjahre 1866 sowie 1870 und 1871. Aus seiner Rolle als Wohltäter für Kriegshinterbliebene machte er kein Geheimnis. Litfaß wusste, wie das Spiel mit der Öffentlichkeit zu spielen war, und vor allem wie er die Obrigkeit für sich gewinnen konnte. Im Gegenzug für die Konzession der ersten Litfaßsäulen versprach er die Errichtung von 30 öffentlichen Bedürfnisanstalten. Allein: Sie wurden nie errichtet.

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Diskussionen über Werbung im öffentlichen Raum gab es bereits beim Aufkommen der Liftfaßsäule im 19. Jahrhundert
Litfaß verstarb 1874. Damals wie heute ist Werbung im öffentlichen Raum Gegenstand von Diskussionen. Seien es die monopolartigen Stellungen einstiger Verwaltungseinheiten, die heute privatwirtschaftlich geführt werden und großen Einfluss auf das Werbegebaren und das Stadtbild haben - oder seien es Themen wie Lichtsmog, der auch von den zunehmend stark beleuchteten Werbeflächen verursacht wird.
Die Säule als Attrappe
In ganz Wien werden von der Gewista heute noch 1.500 Litfaßsäulen und Rundsäulen betrieben. Die berühmteste Litfaßsäule der Filmgeschichte stammt ebenso aus den Beständen der einstigen Wiener Magistratsabteilung. Orson Welles alias Harry Lime betritt Am Hof in der Wiener Innenstadt durch eine Litfaßsäule die Kanalisation. Mit einem Schönheitsfehler: Die Litfaßsäule in „Der dritte Mann” war eine Attrappe. Wohingegen viele Litfaßsäulen entlang des Wien-Flusses tatsächlich ein Innenleben als Stiegenabgang in den Wiener Untergrund besitzen.
Ein ebenso jähes Ende wie Harry Lime im Film fanden auch die geschäftlichen Aktivitäten der Familie Litfaß im Bereich der Plakatsäulen. Lediglich sechs Jahre nach dem Tod des Werbegenies verlor sie im Jahr 1880 die Konzession für die Bespielung der Litfaßsäulen. Die Familie wurde im Verfahren um die Konzessionsverlängerung überboten. Litfaß’ einstiges Berliner Geschäftslokal existiert allerdings unter dem Namen „Ernst Litfaß’ Erben” nach wie vor.
Johannes Luxner, ORF.at
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