Flüchtlinge als Spielball bei EU-Gesprächen
Seit Monaten fordert die Türkei, in Syrien eine Sicherheitszone für Bürgerkriegsflüchtlinge einzurichten. Stets haben die NATO-Verbündeten das abgelehnt. Aber jetzt scheint die Regierung in Ankara ihrem Ziel einen Schritt näher gekommen zu sein.
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Denn als sich nach der Eskalation der Kämpfe um die Stadt Aleppo mehrere zehntausend syrische Flüchtlinge Richtung türkische Grenze aufmachten, sperrte die Türkei den Grenzübergangspunkt Kilis. Nun stauen sich auf syrischer Seite Zehntausende Flüchtlinge. Die türkische Regierung hat zusammen mit Hilfsorganisationen begonnen, die Menschen auf der syrischen Seite der Grenze zu versorgen.
Der Grund für das türkische Verhalten: Weil das Land bereits 2,5 Millionen Menschen aus dem Nachbarland aufgenommen hat, verweist Ankara auf eine drohende Überforderung. Auch die syrischen Nachbarn Libanon und Jordanien warnen bei aller humanitären Bereitschaft zur Hilfe davor, selbst destabilisiert zu werden. Also wächst bei allem humanitären Denken der Wunsch, die Syrer lieber in Syrien selbst zu versorgen.
Kämpfer aus Türkei fernhalten
Es gibt aber noch zwei andere Aspekte, die die türkische Regierung dazu bringen, die Grenze nun möglichst lange geschlossen zu halten: Zum einen sind mit den Flüchtlingen auch Kämpfer islamistischer Rebellengruppen wie Al-Nusra-Front sowie Kurden aus Nordsyrien ins Land gekommen. Solange diese Gruppen in Syrien gegen den dortigen Präsidenten Baschar al-Assad kämpfen, hat die Türkei nichts dagegen - im Gegenteil. Aber im eigenen Land wolle die Türkei die Kämpfer natürlich nicht haben, heißt es unter EU-Diplomaten.
Zum anderen sind die neu ankommenden syrischen Flüchtlinge auch Verhandlungsmasse in den Gesprächen zwischen der EU und der Türkei. Ankara lehnt die EU-Forderung nach einer erneuten Grenzöffnung ab, weil sie eine Doppelmoral der Europäer sieht: Die Türkei soll Menschen ins Land lassen, aber die EU-Staaten sperren sich ihrerseits gegen eine Aufnahme. „Wir können nicht von der Türkei auf der einen Seite erwarten, dass sie alles stoppt, und auf der anderen Seite sagen wir, über die Kontingente sprechen wir dann in einem halben Jahr“, kritisierte auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch in Ankara.
Bedenken gegen Sicherheitszone
Also muss die EU nun erst nachweisen, dass sie die im November zugesagte Lastenteilung ernst meint. Merkel versprach, dass eine Gruppe von willigen EU-Staaten der Türkei nun direkt einige syrische Bürgerkriegsflüchtlinge abnehmen werde. Das soll es der Regierung in Ankara leichter machen, doch wieder Schutzsuchende aus Syrien ins Land zu lassen.
Denn aus Sicht etwa der deutschen Regierung sprechen weiter wichtige Gründe gegen die türkische Idee, die Menschen in einer Sicherheitszone in Nordsyrien zu sammeln. Merkel etwa hat mit Verweis auf den jugoslawischen Bürgerkrieg bereits gewarnt, dass kein neues Srebrenica entstehen dürfe. Damals hatten UNO-Blauhelme ein Massaker serbischer Truppen an bosnischen Männern nicht verhindert.
Wer eine Sicherheitszone wolle, müsse also auch den Schutz der dann wahrscheinlich sehr schnell sehr hohen Zahl an Flüchtlingen sicherstellen, lautet die Mahnung aus Berlin. Massaker nach einer Eroberung durch die radikalislamische Terrormiliz Islamischer Staat (IS) oder durch syrische Regierungstruppen ließen sich sonst nicht ausschließen - und dann wäre die Weltgemeinschaft dafür mitverantwortlich.
Diskussion über Bodentruppen
Aber es ist unklar, wer diesen Schutz anbieten kann und soll. Den Einsatz eigener Bodentruppen in Syrien lehnen die westlichen Staaten bisher ab. Die Türkei hat zwar ebenso wie Saudi-Arabien angeboten, Bodentruppen zu entsenden. Aber zum einen wird das von anderen Konfliktparteien wie der syrischen Regierung, Russland und dem Iran vehement abgelehnt. Zum anderen gibt es auch bei den NATO-Partnern und den syrischen Kurden das Misstrauen, dass türkische Truppen in Syrien dann noch eine andere Agenda verfolgen könnten als nur den Schutz von Flüchtlingen. Die Türkei war in der Vergangenheit etwa auch bei Interventionen im Nordirak gegen Kurdengruppen vorgegangen.
Allerdings beschäftigt sich auch die deutsche Regierung sehr wohl damit, wie man Millionen Binnenflüchtlinge in Syrien möglichst dazu bewegen kann, im Land zu bleiben. Auch Deutschland will dafür Anreize setzen. Bei dem Konzept „Inside Syria“, das Merkel auf der Geberkonferenz in London Anfang Februar vorstellte, geht es vor allem darum, wie man die humanitäre Versorgung der Menschen sicherstellen kann. Denn gerade in der umkämpften Stadt Aleppo zeigt sich derzeit, wie schnell Zehntausende Menschen aus dem Land fliehen wollen, wenn die Versorgungskorridore etwa aus der Türkei unterbrochen sind.
Andreas Rinke, Reuters
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