Vormarsch Richtung Türkei
Die Offensive der syrischen Armee mit russischer Unterstützung auf die Großstadt Aleppo hat die Machtverhältnisse im Syrien-Konflikt deutlich verschoben. Die Armee scheint derzeit Oberhand zu haben, doch weiterhin verfolgen zahlreiche andere Gruppen ihre Interessen und sorgen für chaotische Zustände in dem Land - mit allen Konsequenzen für neue Fluchtbewegungen.
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Aleppo stand die vergangenen Jahre unter geteilter Kontrolle der Regierung auf der einen und von Rebellen auf der anderen Seite. Machthaber Baschar al-Assad will nun offenbar die Stadt völlig unter seine Kontrolle bringen. Aktivisten zufolge sollen die syrischen Regierungstruppen im Rahmen ihrer Offensive auch sukzessive Richtung Norden und zur türkischen Grenze vorstoßen.
Am Montag hieß es vonseiten der oppositionsnahen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in England, dass die syrische Armee die Ortschaft Kafin erobert habe. Damit wäre die Armee auf fast 25 Kilometer an die syrisch-türkische Grenze herangerückt. Die Angaben der Beobachtungsstelle sind von unabhängiger Seite nur schwer zu überprüfen.
Tschetschenen mischen mit
Die syrische Armee wird nicht nur von Russland, sondern auch von iranischen Kämpfern und von der libanesischen Hisbollah-Miliz unterstützt. Beim russischen Einsatz spielen Berichten zufolge zudem russisch-tschetschenische Spezialtruppen eine zentrale Rolle. Tschetschenische Einheiten sammelten auf dem Boden militärische Informationen, die den russischen Streitkräften als Grundlage für ihre Angriffe dienten, berichtete Russlands Staatsfernsehen unter Berufung auf den Präsidenten der autonomen russischen Republik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow.
Zudem hätten tschetschenische Agenten militante Gruppen wie die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) infiltriert. Ein Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin wollte die Präsenz tschetschenischer Einheiten in Syrien zunächst nicht bestätigen.
Rebellen von mehreren Seiten umzingelt
Der Vormarsch der Regierungstruppen bringt die Rebellen in Bedrängnis. Die Aufständischen zögen sich wegen der heftigen Luftangriffe zurück, um ihre Verluste zu begrenzen, sagte ein Kommandant der Rebellengruppe Liwa al-Tawhid. Es gehe mittlerweile nicht nur um Geländeverluste, sondern um die Existenz der Gruppe. Die Rebellen sind sowohl von den Regierungstruppen als auch vom IS umzingelt. Zudem hat die Al-Nusra-Front, der syrische Ableger von Al-Kaida, in den vergangenen Wochen Hunderte - wenn nicht Tausende - schwerbewaffnete Kämpfer von der Nachbarprovinz Idlib nach Aleppo verlegt.
Wie die Beobachtungsstelle weiter mitteilte, gaben die Rebellen die Dörfer Aklamija, Deir Dschamal und Maranas auf Wunsch der Einwohner auf, die russische Luftangriffe befürchteten. Das nützten die kurdischen Kämpfer, die ebenfalls im Syrien-Konflikt mitmischen. Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die große Teile der kurdischen Siedlungsgebiete im Norden Syriens kontrollieren, eroberten den Aktivisten zufolge die drei Dörfer - wenige Tage nachdem sie den Rebellen drei weitere Orte abgenommen hatten.
Vorwürfe gegen Russland
Nicht nur von internationaler Seite muss sich Russland wegen seiner Luftangriffe Kritik gefallen lassen. Auch ein bis zuletzt in Aleppo tätiger Arzt kritisierte, dass russische Kampfjets „Dörfer komplett zerstören“ - auch mit international geächteten Streubomben: „Diejenigen, die bei den russischen Luftschlägen verletzt wurden, sind zu 70 Prozent Zivilisten, vor allem Frauen, Kinder und Senioren“, so der Arzt gegenüber der dpa.
Moskau bestritt am Dienstag erneut, dass die Angriffe der Luftwaffe in Syrien auf Zivilisten zielen. Es gebe „keine vertrauenswürdigen Beweise“ für getötete Zivilisten durch russische Luftangriffe. Die syrische Opposition wiederum besteht als Voraussetzung für ihre Teilnahme an Friedensgesprächen auf einem Ende der russischen Luftangriffe.
„Den Terrorismus bekämpfen“
Die syrische Führung hat Hoffnungen auf eine diplomatische Lösung des Bürgerkriegs einen Dämpfer versetzt. Vorschläge für einen Waffenstillstand kämen von den Staaten, die die Aufständischen unterstützten, sagte die Präsidentenberaterin Buthaina Schaban der Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag.
Mit dem Gerede von einem Waffenstillstand solle die Hauptaufgabe verhindert werden, nämlich „den Terrorismus zu bekämpfen“. Ziel der Offensive der Armee sei, „die Städte und Dörfer zu befreien, die dreieinhalb Jahre lang von Terroristen kontrolliert wurden“. Das gelte auch für Aleppo. Außerdem solle die Grenze zur Türkei wieder gesichert werden. Die Beraterin des syrischen Präsidenten Assad bezeichnete die Türkei als Haupteinfallstor für die Terroristen. Über die türkische Grenze führt eine der Hauptnachschubrouten der Rebellen. Die syrische Regierung tituliert alle Gruppen, gegen die sie vorgeht, als Terroristen.
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