EU-Kommission in der Zwickmühle
Es gibt nur wenige Fronten, die einander derart festgefahren gegenüberstehen wie die der Pro- und der Anti-Gentechnik-Lobbys. Dazwischen steht im Moment die EU-Kommission, die in den kommenden Wochen eine rechtliche Klarstellung veröffentlichen will, mit der festgelegt wird, ob bestimmte „neue Züchtungsmethoden“ (NBTs) unter die strenge Gentechnikgesetzgebung der EU fallen oder nicht.
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Bisher hat die Kommission ihre Entscheidung immer wieder mit dem Argument, sie sei „sehr komplex“ und könne nur nach gründlicher technischer und juristischer Überprüfung getroffen werden, verschoben. Eine vor acht Jahren eingerichtete Arbeitsgruppe (New Techniques Working Group, NTWG) sollte klären, ob und welche der neuen Züchtungsmethoden denn nun als Gentechnik gewertet werden sollen. Bis heute ist die Frage offen.
Die in Brüssel ansässige NGO Corporate Europe Observatory (CEO) veröffentlichte nun einen Bericht, der den Druck der Biotechlobby auf die Kommission nachzeichnet. „Seit die Europäische Genverordnung 2001 in Kraft getreten ist, haben Biotechnologieunternehmen in Techniken investiert, mit denen das Gesetz umgangen werden kann,“ so Studienautorin Nina Holland.
Kritik an intransparentem Transparenzregister
Investiert wurde, so der CEO-Bericht, aber nicht nur in die Forschung, sondern in erheblichem Maße auch in die politische Lobbyarbeit, die im Wesentlichen von der durch die niederländische PR-Firma Schuttelaar & Partners vertretene NBT-Plattform vorangetrieben wurde. Zwischen 2.500 Euro für wissenschaftliche Institute und 22.500 Euro für große Unternehmen koste die Mitgliedschaft in der Plattform jährlich, heißt es in der CEO-Studie.
Wie viel Geld tatsächlich in die Lobbyarbeit geflossen sei, lasse sich, aufgrund von sehr ungenauen Einträgen im nach wie vor freiwilligen Transparenzregister, nicht nachvollziehen - wesentlich mehr jedoch als die dort angegebenen 50.000 bis 99.999 Euro jährlich, vermutet Holland. Für die Unternehmen gibt es viel zu gewinnen: Fällt die Entscheidung in ihrem Sinne aus, ersparen sie sich nicht nur teure und aufwendige Zulassungsverfahren, sondern auch die Kennzeichnungspflicht. Denn hier sind sich Pro- und Anti-Lobby einig: Als gentechnisch verändert gekennzeichnete Lebensmittel lassen sich in der EU schwer verkaufen.
„Irreführender“ Begriff hat sich durchgesetzt
Obwohl die Kommission ursprünglich eine Erweiterung der Gesetze für die neuen Gentechnikmethoden geplant hatte, ist davon nicht mehr die Rede. Stattdessen erwartet man nun die Ausgabe einer Richtlinie. Laut CEO-Bericht kam der Umschwung darauf nach einem Treffen zwischen NBT-Plattform und Kommission. Grund, so zitiert der Bericht aus einem Kommissionsdokument, sei „der fehlende Konsens unter den politischen EU-Hauptakteuren gewesen.“ Damit hätte man nun einen Weg gefunden, „bei dem das Europäische Parlament keine offizielle Rolle spielt und von den Mitgliedsländern erwartet werde, dass sie den Empfehlungen der Kommission nachkommen“.
Ein weiteres Beispiel für die zweifelhafte Hörigkeit der Kommission gegenüber der NBT-Lobby sei die Tatsache, dass sich der Begriff „neue Züchtungsmethoden“ anstelle von „gentechnische Methoden“ oder anderen Bezeichnungen durchgesetzt hatte und als solche auch von der EU-Kommission übernommen wurde. Angelika Hilbeck, Agrarökologin an der ETH Zürich, kritisiert die Terminologie als „irreführend“.
Die erwartete Entscheidung wird sich, so Holland, auch auf ein weiteres, genauso heikles wie aktuelles EU-Thema auswirken: Die Verhandlungen über das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) gehen in Brüssel hinter verschlossenen Türen Anfang Februar weiter. Eines der offenen Themen dabei ist die Gentechnik in Lebensmitteln - die Position der USA ist in der Hinsicht klar vom Druck großer US-Agrarkonzerne geprägt.
Anti-Gentechnik-Lobby warnt vor Risiken
In einem gemeinsamen offenen Brief an die Kommission machte die Anti-Gentechnik-Fraktion, zu der neben CEO unter anderem Greenpeace zählt, nun erst Ende Jänner mit Nachdruck auf ihre Argumentation aufmerksam, dass die neuen Techniken eben „so neu“ seien, dass es keine gesicherten Informationen über Risiken gebe - und manche Methoden sogar radikalere Veränderungen an pflanzlichen Genomen möglich machen würden als herkömmliche Gentechnik.
Studien der unterschiedlichen Fraktionen kommen zu teilweise diametral auseinandergehenden Erkenntnissen. Und selbst der von der Kommission in Auftrag gegebene, 2012 fertiggestellte, aber nie offiziell publizierte Endbericht kam zu keinem eindeutigen Ergebnis über Definition oder Interpretation des jeweiligen Status der veränderten Pflanzen. Genauso uneins sind die EU-Mitgliedsstaaten: Großbritannien, die Niederlande und Deutschland machen sich für die Deregulierung von neuen Züchtungsmethoden stark, in Österreich lehnt man sie mehrheitlich ab.
Abwartende Skepsis im EU-Parlament
Auch im EU-Parlament wird die Entscheidung mit Skepsis erwartet. Die Grünen/EFA-Fraktion im EU-Parlament setze sich dafür ein, dass das Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Pflanzen in der EU vollständig überarbeitet und gerade in Hinblick auf neue Züchtungsvarianten verschärft wird, hieß es auf ORF.at-Anfrage. „Das Verfahren muss gewährleisten, dass die langfristigen Auswirkungen von Gentechnik bei der Entscheidung Berücksichtigung finden, und zwar auf Basis unabhängiger Gutachten. Kein GVO (gentechnisch veränderter Organismus, Anm.) darf gegen den Willen der Mehrheit der Mitgliedsstaaten oder des EP zugelassen werden.“ EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe eine solche Reform versprochen, er müsse diese nun auch liefern.
„Rechtliche Klarstellung dringend notwendig“
Österreich werde weiterhin „vorsichtig im Bereich der Gentechnik agieren“, so die Europaabgeordnete Elisabeth Köstinger, die als Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung im Europaparlament tätig ist. Es gelte nun erst einmal, die Kommissionsentscheidung abzuwarten - denn egal, wie sie ausfalle: Eine rechtliche Klarstellung sei dringend notwendig.
Die SPÖ-Europaabgeordnete Karin Kadenbach, Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, erklärte auf ORF.at-Anfrage, dass eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung Gentechnik ablehne. Sollte die Kommission neue Genmanipulationstechniken aus den bestehenden Gesetzen ausnehmen, handle es sich „um die Einführung von Gentechnik durch die Hintertür“. Sie sehe darin große Umweltgefahren, insbesondere für die Artenvielfalt.
Abwartend zeigt sich einstweilen der Europäische Verbraucherverband, wie auf ORF.at-Anfrage zu erfahren war. Man würde das Thema aber genau beobachten und die Entscheidung der Kommission mit den Verbandsmitgliedern evaluieren.
Weg durch Instanzen wird weitergehen
„Manche werden zufrieden sein, andere enttäuscht“, gab sich Dorothee Andre, Generaldirektorin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der EU-Kommission, bei einem Hearing im Dezember kryptisch. Doch auch wenn die Entscheidung für die Pro-Lobby ausfällt und alle oder zumindest einige neue Methoden von der Gentechnikverordnung ausgenommen werden, ist das Zittern der Lobbyisten nicht zu Ende - denn dann werde die Frage mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landen, so Holland.
Sophia Felbermair, ORF.at, aus Brüssel
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