Wenn Kino zum Ereignis wird
Mit „The Hateful Eight“ wird Quentin Tarantino seinem Ruf als Analogverfechter erneut gerecht: Sein Western-Kammerspiel wurde komplett auf 70-Millimeter-Film aufgenommen. 18 europäische Kinos, darunter auch das Wiener Gartenbaukino, zeigen den Film jetzt in einer speziellen „Roadshow“-Fassung, die nicht nur analog auf die Leinwand kommt, sondern ein Kinoerlebnis „wie damals“ verspricht.
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Am Film selbst ändert sich wenig: Einige zusätzliche Szenen, insgesamt nicht mehr als 6 Minuten Extramaterial, sind Teil der exklusiven Fassung, die Quentin Tarantino für die Vorführung in ausgewählten Kinosälen mit Analog-Ausstattung rund um den Globus vorgesehen hat. Doch das Erlebnis beginnt bereits vor dem Vorspann, wie Norman Shetler, Leiter des Gartenbaukinos, gegenüber ORF.at erklärt: „Der Moment des In-den-Film-Geholtwerdens ist essenziell“.
Dafür wartet Tarantino mit einer eigens von Ennio Morricone komponierten Ouvertüre auf, an deren Ende der Saal verdunkelt wird und das Wild-West-Epos auf der Leinwand losgehen kann. Auch eine Pause, Auslassmusik und ein Programmheft dürfen nicht fehlen. Tarantino lässt damit nicht nur die Hochblüte der Kinos in den 60ern wieder aufleben, sondern holt die Dramaturgie von der Leinwand zurück in den Kinosaal - und macht damit den Kinobesuch, im Gegensatz zum „Film-Schauen“, zum Ereignis.
15 Prozent breiter
Der Weg dorthin war für viele Kinobetreiber nicht leicht: Tarantino setzt auf „Ultra Panavision 70“, ein Filmformat mit einem Seitenverhältnis von 2.76:1, das damit mindestens 15 Prozent breiter als herkömmliche Produktionen ist - und seit 1966 nicht mehr eingesetzt wurde. Vor allem Monumentalfilme wie „Ben Hur“ (1959) oder „Die größte Geschichte aller Zeiten“ (1965) nutzten die zusätzliche Breite für eindrucksvolle „Long Shots“.
Obwohl das Gartenbaukino schon seit seiner Neueröffnung im Jahr 1960 für die Aufführung von 70-Millimeter-Filmen konzipiert war, mussten einige Teile neu angeschafft werden, da sie entweder ganz gefehlt oder nicht mehr brauchbar waren. Das entscheidende Stück des Projektoren-Puzzles - der Anamorphot, der für das richtige Bildformat verantwortlich ist - konnte kurz vor Weihnachten in der Schweiz gefunden werden. Shetler sieht die Nachrüstung auf ein an und für sich obsoletes Filmformat auch als einen „archäologischen Prozess“.
Analog gegen Digital
Für den Zuschauer verspricht der Umstieg auf das größere Format vor allem eine schärfere Wiedergabe. In Internet-Diskussionsforen wird leidenschaftlich über die maximal erreichbare Bildauflösung des Analogfilms gestritten. Es herrscht aber ungewöhnliche Einigkeit darüber, dass eine 70-Millimeter-Produktion, zumindest vorläufig, den etablierten digitalen Wiedergabe- und Aufnahmetechniken überlegen bleibt - wenngleich der Unterschied in den vergangenen Jahren merkbar geringer geworden ist.
Auch akustisch gibt es Unterschiede: In der Leinwand befinden sich zusätzliche Lautsprecher, „damit die Breite auch im Ton spürbar“ wird. Sechs-Kanal-Ton bedeutete damals - im Gegensatz zu aktuellen Produktionen - dass sich nur ein einziger Kanal im Zuschauerraum befand, die restliche Beschallung entstand direkt hinter der Leinwand. Ein kleiner Wermutstropfen für Analog-Puristen: Für „The Hateful Eight“ wird der Ton digital eingespielt.
Letztendlich erinnert der ewige Streit zwischen Analog und Digital an die Wiederauferstehung der Schallplatte. Während Vinyl-Anhänger die bessere Qualität loben, die tatsächlich unter idealen Abspielbedingungen erreicht werden kann, hat der Trend zum Retro-Format auch eine zumindest stark emotionale Komponente. Shetler erinnert sich an seinen ersten Film in 70 Millimeter und spricht von einem „haptischen, sensualen“ Gefühl - das wohl jeder Analog-Connoisseur - egal ob Film, Ton oder Buch - nachvollziehen können wird.
Hinweis
Das Gartenbaukino in Wien zeigt Quentin Tarantinos „The Hateful Eight“ seit 28. Jänner in der „Roadshow“-Fassung.
Vorstellungen in deutscher Sprache werden ab dem 8. Februar gezeigt.
Gegenangebot zum Heimkino
Dass der neue Tarantino-Film in einer Exklusiv-Fassung gezeigt wird, darf auch als Gegenangebot zum Streaming im Heimkino gesehen werden. Das sei aber nichts Neues, weist Shetler auf bisherige Trends wie 3-D oder spezielle Raumklang-Systeme hin. Es gehe darum, „Angebote zu schaffen, die man zuhause nicht replizieren kann“ - um damit etwa unerlaubt angefertigten Kopien von Rezensionsexemplaren entgegenzuwirken. Erst vor wenigen Wochen ist Tarantinos Film auf Internet-Tauschbörsen aufgetaucht.
Auf die Frage, ob sich der Aufwand auszahlt, unterbricht Shetler noch bevor der Satz fertig ausgesprochen ist: „Nein“ - und lacht. Der Unterschied sei zwar definitiv „sichtbar“, er hoffe aber, dass „man ihn auch schätzt“. Da das Wiener Kino das einzige im Umkreis mehrerer hundert Kilometer ist, das den Tarantino-Film in der 70-Millimeter-Fassung spielt, haben sich auch Besucher aus dem Ausland angekündigt. Es bleibt abzuwarten, ob damit längerfristig ein Zuschauerplus sichergestellt werden kann - weitere Vorstellungen anderer Großformat-Klassiker sind jedenfalls geplant.
Florian Bock, ORF.at
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