Mattel wendet sich von Wespentaille ab
Unter strengster Geheimhaltung hat der Spielzeugriese Mattel seiner schwächelnden Puppenikone Barbie eine Frischzellenkur verpasst. Neben der klassischen Blonden mit Wespentaille und Endlosbeinen wird es in Zukunft auch drei neue Modelle in groß, zierlich und kurvig geben.
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Schon im vergangenen Jahr hatte Mattel bei Hautfarbe und Haartextur an den Schrauben gedreht. Nun folgt der große Knall bei den Körpern, der die wesentlichste Veränderung an Barbie seit ihrem Markstart im Jahr 1959 darstellt. Zwar hatte Mattel bereits 2003 mit einer neuen Körperform experimentiert - Rumpf und Beine waren kürzer und die Hüften breiter -, doch die „fülligere“ Barbie verschwand bereits nach zwei Jahren wieder vom Markt.
Zwei Fliegen mit einer Klappe
„Wir haben die Verantwortung, Mädchen und Eltern eine breitere Auffassung von Schönheit zu präsentieren“, so Mattel-Managerin Evelyn Mazzocco. Unter dem Namen „Fashionista“ erscheinen 33 neue Puppen. In welcher Auflage die Edition erscheint, wollte Mazzocco im Interview mit der „Welt“ nicht verraten.

APA/AP/Mattel
Mattel erweitert seine Auffassung von Schönheit
Mit den neuen Körperformen schlägt der Puppenprimus zwei Fliegen mit einer Klappe, denn mit den neuen Rundungen und Größen braucht Barbie auch neue Kleider und Accessoires. Diese sind notwendig, weil den Puppen mit längeren Beinen, vollen Hüften oder breiteren Schultern auch das alte Gewand freilich nicht mehr passt. Die Linie wird in den USA ausschließlich über den Mattel-Onlineshop vertrieben, in Europa kommt Amazon als exklusiver Vertriebspartner dazu. Im Laufe des Jahres sollen sich dann auch die Geschäftsregale mit den neuen Barbies füllen.
Eigene Hotline für empörte Eltern
Wie das US-amerikanische Magazin „Time“ berichtet, ist Mattel bewusst, dass die Einführung der neuen Linie nicht ohne wirtschaftliches Risiko ist. Man rechnet schon jetzt mit einer Beschwerdeflut, vermutlich vor allem wegen der nicht mehr passenden Kleider. Das Unternehmen hat eine eigene Hotline eingerichtet, die sich ausschließlich um die neuen Barbies kümmern soll. Auch andernorts gibt es Reibungspotenzial: Allein eine möglichst beleidigunsgfreie Übersetzung der Originalbezeichnungen „petite“, „tall“ und „curvy“ in Dutzende Sprachen habe Monate in Anspruch genommen.
Die neue Linie ist zum Teil das Ergebnis der Debatte über ein verqueres Schönheitsbild, das Barbie seit Jahrzehnten begleitet. Diese könnte sich mit dem Marktstart einmal mehr entzünden. Doch der Relaunch dürfte nicht allein aus einem Gesinnungswandel, sondern vor allem aus wirtschaftlichen Interessen heraus erfolgt sein. Mattel hat seit geraumer Zeit mit herben Umsatzeinbußen zu kämpfen. Barbie-Verkäufe sind von 2012 auf 2014 um 20 Prozent eingebrochen. Das dänische Unternehmen Lego hat im vergangenen Jahr Mattel als umsatzstärkster Spielzeughersteller der Welt abgelöst.
„Eiskönigin“ nagt an Barbies Erfolg
Im Puppengeschäft setzt unter anderem der Hype rund um die toughe Prinzessin Elsa aus Disneys Animationskassenschlager „Die Eiskönigin“ Barbie zu. Die Rechte an deren Spielzeugebenbild hat sich nämlich Hasbro gesichert, und Elsa erfreut sich auch zwei Jahre nach dem Kinostart beim jungen Publikum ungebrochener Beliebtheit.
Das grundlegende Problem des Konzerns dürfte allerdings wesentlich tiefer wurzeln. Nicht nur, dass sich Spielzeug und Spielverhalten massiv verändert haben - nach jahrzehntelangen Diskussionen über die Frage, was Barbie über das Bild der Frau in Gesellschaft und Kinderzimmer aussagt, ist das Image der Puppe angekratzt. In den Augen vieler „Millennial-Eltern“ transportiert die ikonische Blonde trotz Astronauten- und Frau-Doktor-Edition wohl vor allem ein antiquiertes Frauenbild, das äußerliche Attraktivität über Intelligenz und innere Werte stellt.
„Millennial“-Eltern im Visier
Auch der Kampf um die hoheitliche Deutung, ob das Spiel mit den Puppen Kindern einfach nur Freude macht oder nachhaltig für Schäden in der Persönlichkeitsentwicklung sorgen kann, ist auch im Jahr 2016 noch nicht vollends ausgefochten. Laut der Grazer Erziehungswissenschaftlerin Evangeline Adler-Klausner löst das Spiel mit der Modepuppe jedenfalls eine Geschlechterstereotype mit präskriptivem Charakter aus und gebe damit vor, wie Frauen „sein sollen“.
Die Fokussierung auf Aussehen und „Styling“ lasse befürchten, dass insbesondere Mädchen durch ihre Beschäftigung mit Spielzeug, Puppen und Barbies sowie dem jeweiligen Zubehör „in Rollenklischees gepresst werden und dadurch andere Aspekte ihres Seins und ihrer Fähigkeiten nicht ausleben können“. Mit dieser Auffassung hat Klausner wohl viele Eltern auf ihrer Seite. In den Eltern von heute sieht Mattel allerdings die Zielgruppe von morgen, mit den neuen Körperfiguren soll diese nun geknackt werden.
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