„Fragen nicht nach“
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) widerspricht dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble, wonach die Entscheidung der Regierung, eine Höchstzahl für die Aufnahme von Flüchtlingen einzuführen, nicht ausreichend mit Berlin abgestimmt war.
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„Ich musste ein bisschen Luft holen, als ich gehört habe, dass diese Entscheidung mit uns nicht sehr eng abgesprochen war“, hatte Schäuble dem Magazin „Der Spiegel“ (Onlineausgabe) am Freitag gesagt.
Faymann verwies dagegen in der „Kronen Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) auf ein Telefonat mit der deutschen Kanzlerin am Vortag der österreichischen Entscheidung für eine Höchstzahl bei Asylwerbern. Er habe sie dabei informiert, in welche Richtung Österreich künftig in der Flüchtlingskrise gehen werde.
„(Die deutsche Kanzlerin Angela, Anm.) Merkel war also vorinformiert, doch die Entscheidungen im Detail haben wir in Wien getroffen“, sagte Faymann zur „Kronen Zeitung“: „Da fragen wir nicht in Berlin nach, so wie auch die Deutschen ihre Entscheidungen treffen, ohne uns zu fragen, ob uns das passt oder nicht.“
Kleinschmidt glaubt nicht an Höchstzahl
Regierungsberater Kilian Kleinschmidt glaubt nicht, dass die von der Regierung beschlossene Höchstzahl von 37.500 Asylwerbern für heuer umgesetzt werden kann. In der ZIB2 zeigte sich Kleinschmidt am Freitagabend überzeugt, dass mehr Flüchtlinge kommen werden.
Wenn man doch diese Zahl umsetzen sollte, dann befürchtet er, dass Flüchtlinge in die Illegalität gedrängt würden. Damit würde das Problem der Sicherheit noch größer, als es jetzt sei, meinte der Regierungsberater. Seiner Ansicht nach „muss und kann“ Europa - und auch Österreich - eine größere Zahl an Quartieren für Flüchtlinge schaffen. Auch das Funktionieren der geplanten „Hotspots“ ist für Kleinschmidt eine „Illusion“. Personen, die keine Chance auf Asyl haben, würden versuchen, diese Registrierungszentren zu umgehen.
Gespräch mit Regierungsberater Kleinschmidt
Flucht dürfe nicht illegal sein, sagt Kilian Kleinschmidt, Berater der Bundesregierung in Flüchtlingsfragen.
Warnung vor Schengen-Aus
Der deutsche Finanzminister Schäuble hatte neben der Kritik an der Regierung in Wien auch die mangelnde Kooperationsbereitschaft anderer EU-Länder bemängelt. Im Gegensatz zur Euro-Krise glaube „ein Teil unserer EU-Partner diesmal, sie seien von dem Problem gar nicht betroffen“, sagte der CDU-Politiker. „Das halte ich für falsch, aber so sehen sie es nun mal.“
Schäuble warnte vor dem Scheitern einer europäischen Lösung. „Wenn das Schengen-System zerstört wird, ist Europa dramatisch gefährdet - politisch und wirtschaftlich“, sagte der Minister in dem Gespräch, das am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos stattfand. Mit Blick auf die Weltwirtschaft sieht Schäuble derzeit „eine Fülle von krisenhaften Entwicklungen“ und extremen Schwankungen.
Merkel will ihren Kurs halten
Unterdessen setzt Merkel trotz des ungebremsten Flüchtlingsandrangs und massiver Koalitionskonflikte unbeirrt auf ihren „gesamteuropäischen Ansatz“ - und auf die Hilfe der Türkei. Nach den ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen in Berlin bescheinigte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am Freitag Merkel große Menschlichkeit.
Zudem versicherte er ihr die Solidarität seines Landes in der Flüchtlingskrise. Bereits vor den Gesprächen hatte er jedoch klargemacht, dass Ankara von der Europäischen Union mehr Geld erwarte als die bisher versprochenen drei Milliarden Euro.
„Innerlich sehr überzeugt“
Merkel bekräftigte nach den Konsultationen, sie sei „innerlich sehr davon überzeugt“, dass man bei den Fluchtursachen ansetzen müsse und dass es ein großes Interesse der EU gebe, den Schengen-Raum mit seinem freien Reiseverkehr aufrechtzuerhalten. „Einzelne Lösungen, jeder Staat für sich, werden uns da nicht weiterhelfen, sondern wir brauchen einen gesamteuropäischen Ansatz.“ Bei der von ihr selbst angekündigten „Zwischenbilanz“ nach dem EU-Gipfel Mitte Februar gehe es nicht darum, „dass man den Grundansatz hinterfragt“.
Auf die Frage, ob sie sich damit in der EU einsam fühle, sagte die Kanzlerin: „Den Eindruck habe ich nicht.“ Sie betonte, dass der vereinbarte Aufbau von Registrierungszentren in Griechenland und Italien umgesetzt werden müsse, auch bei anderen Vereinbarungen in der EU gebe es leider Verspätungen. „Darauf werde ich sehr stark achten.“
Davutoglu sagte, Merkel habe mit ihrer Haltung auch ein Bewusstsein geschaffen in der Flüchtlingskrise. „Weder Frau Merkel noch Deutschland ist in diesem Zusammenhang allein. (...) In dieser kritischen Phase gehen wir Hand in Hand mit Deutschland.“
Milliardenzusage bekräftigt
Merkel sagte der Türkei erneut die von der EU bereits in Aussicht gestellte, aber noch nicht gezahlte Milliardenhilfe zu. „Wir werden von europäischer Seite die drei Milliarden zur Verfügung stellen. Das habe ich heute noch einmal zugesichert.“ Das Geld soll eingesetzt werden, um die Lebensbedingungen von inzwischen 2,5 Millionen Flüchtlingen aus Syrien in der Türkei zu verbessern. Zum EU-Gipfel am 18. Februar sollten Projekte definiert werden. Davutoglu hatte im Vorfeld des Treffens zusätzliche Milliarden gefordert.
Der EU-Beitrittskandidat Türkei ist das wichtigste Transitland für Flüchtlinge. Davutoglu hatte vor den Berliner Gesprächen der dpa gesagt, die bisherigen EU-Zusagen seien „nur dazu da, den politischen Willen zur Lastenteilung zu zeigen“. Er fügte hinzu: „Niemand kann von der Türkei erwarten, die gesamte Last alleine zu tragen.“ Die EU ist sich noch nicht einig, wer welchen Anteil der Zusagen an Ankara in der Flüchtlingskrise übernimmt.
Nicht weniger Migranten
Trotz der neuen Vorschriften für Flüchtlinge auf der Balkan-Route hat sich die Zahl der Migranten bisher nicht verringert, wie die slowenische Nachrichtenagentur STA am Freitag berichtete. Seit Österreich eine Höchstzahl für Flüchtlinge ausgerufen hat, wenden Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien strengere Vorschriften an. Allein seit Jahresanfang sind mehr als 45.000 Flüchtlinge über Slowenien nach Westeuropa weitergereist.
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