Dublin soll als Hebel dienen
Die SPÖ spricht weiterhin von einem „Richtwert“, die ÖVP hat aber nun ihre Interpretation der „Obergrenze“ für Flüchtlinge genauer erläutert. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka will die in der Regierung für heuer vereinbarte Anzahl von 37.500 Asylwerbern mit der Rückkehr zur Dublin III-Verordnung sicherstellen. Auch ÖVP-Präsidentschaftskandidat Andreas Khol erklärte, die „Obergrenze“ sei aus juristischer Sicht machbar.
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„Menschen, die an unseren Grenzen stehen, kommen immer aus sicheren Drittstaaten. Sie suchen daher nicht Schutz vor politischer Verfolgung“, sagte Khol bei einem Besuch im Lungau. Die kompletten Asylverfahren müssten künftig im Ausland abgewickelt werden, sagt Khol, etwa bei den Botschaften Österreichs oder den geplanten „Hotpots“ an den EU-Außengrenzen - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
„Ich bin Jurist. Ich weiß, wie das geht“, sagte Khol am Donnerstagabend auch in Kitzbühel. Kein Verständnis hat er für die Kritik von Teilen der SPÖ an den Beschlüssen. Die „Begleitmusik“ von „SPÖ-Granden der zweiten Kategorie“ sei „letztklassig“.
„Von sicheren Drittstaaten umgeben“
Lopatka sagte dem „Standard“ (Freitag-Ausgabe), es sollten „nur mehr Menschen nach Österreich einreisen dürfen, die nach fremdenpolizeilichen Maßstäben berechtigt sind“ - also EWR-Bürger und Menschen mit Visum. Flüchtlingen sollte „an der Grenze die Einreise verwehrt werden, weil sie ja aus einem sicheren Drittstaat kommen - und Österreich ist ausschließlich von sicheren Drittstaaten umgeben“. Nach der Genfer Konvention wäre Österreich „auch nicht mehr verpflichtet, deren Asylanträge anzunehmen“.
Verweis auf Passage der Flüchtlingskonvention
Gegenüber der ZIB und dem „Standard“ verwies Lopatka zudem auf die Präambel der Genfer Flüchtlingskonvention. Darin heißt es, dass „sich aus der Gewährung des Asylrechts nicht zumutbare schwere Belastungen für einzelne Länder ergeben können“. Darin wird die internationale Zusammenarbeit eingemahnt. Ein einziger Staat könne nicht unangemessen belastet werden, so Lopatka in der ZIB.
Streit über Asylobergrenze
Die beim Asylgipfel beschlossene Obergrenze wurde schon am Tag danach immer mehr zur Interpretationsfrage innerhalb der Regierung.
Im „Standard“ zitiert der ÖVP-Klubobmann auch den Artikel 72 des Unionsrechts zur Reisefreiheit. Darin heißt es, dass „die Wahrnehmung der Mitgliedsstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit nicht berührt“ sei.
Doskozil bringt Heer in Stellung
Zum Schutz der Grenze will Lopatka auch das Bundesheer und dessen neuen Chef, den designierten Verteidigungsministers Hans Peter Doskozil (SPÖ) in die Pflicht nehmen. Dieser kann sich vorstellen, dass das Bundesheer künftig „auch bei Abschiebungen der Polizei unter die Arme greift“. Die Soldaten sollten sich im Flüchtlingseinsatz „auf Augenhöhe einbringen“ können und nicht das Gefühl haben „simple Assistenzleister zu sein, sondern auch wirklich gebraucht zu werden“, sagte er zur „Kleinen Zeitung“.
Gutachter Funk: „Nicht so einfach“
Die von der Regierung bestellten Gutachter, die den Flüchtlingsplänen ihre juristische Deckung ausstellen sollen, meldeten indes Zweifel an: Nach der Meinung von Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk wäre es nicht möglich, dass Österreich fast alle Flüchtlinge in sichere Drittländer zurückweist. „Es ist eben gerade nicht so einfach“, sagte er zum „Kurier“ (Freitag-Ausgabe). Dass andere Länder ihre Verpflichtungen nicht erfüllen, „ist keine Legitimation dafür, dass Österreich sagt, wir nehmen die auch nicht“. Die Dinge hätten immer mehrere Seiten, „einfache Lösungen stehen immer im Verdacht, dass sie nicht zutreffend sind“.
Europarechtler Walter Obwexer nannte gegenüber Ö1 zwar auch eine striktere Anwendung der Dublin-Verordnung als Möglichkeit zur Reduktion der Flüchtlingszahlen. Er rät der Regierung hinsichtlich der Obergrenze aber zu einer „Reserve“, um jene Asylanträge behandeln zu können, die nach Völker- und Europarecht behandelt werden müssen. Denn die Grenze könne nicht „vollkommen dicht“ gemacht werden - und Rückführungen etwa nach Griechenland wären nicht möglich - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Juristen zur Asyl-Obergrenze
Das Ergebnis des Asylgipfels wird politisch unterschiedlich interpretiert. Klarer sehen das Spitzenjuristen, die sich das Abkommen angeschaut haben.
Kurz sieht „Weckruf nach Brüssel“
Für Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) war die Entscheidung der Regierung „ein Weckruf für Brüssel, dass sich die Dinge schneller entwickeln müssen“. Die Chancen einer raschen Einigung unter den EU-Ländern in der Flüchtlingskrise würden dadurch steigen, so Kurz in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters in Davos in der Schweiz.
Laut Reuters wies Kurz am Rande des Weltwirtschaftsforums (WEF) deutsche Kritik an den Maßnahmen zurück und sagte, durch die Zurückschickung von Flüchtlingen an der Grenze zu Österreich habe Deutschland die österreichische Entscheidung mitverursacht.
„Jeder Staat muss für sich selbst entscheiden. Ich respektiere den Weg, den Deutschland geht, aber ich bitte zu verstehen, dass wir mit 90.000 Flüchtlingen im Vorjahr pro Kopf mehr Flüchtlinge akzeptiert haben als Deutschland. Wir sind schlicht und einfach erdrückt worden.“
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