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Unklare Folgen für Flüchtling Nr. 37.501

Dass die SPÖ nach der koalitionären Einigung auf eine Asylwerberhöchstzahl von heuer höchstens noch 37.500 Neuankömmlingen weiter von einem „Richtwert“ spricht, die ÖVP umgekehrt weiter von einer „Obergrenze“, ist mehr als ein sprachliches Detail: Genau in der Frage, ob die „Obergrenze“ eine wirkliche Grenze sein könne, prallten die Positionen der Parteien bereits am Donnerstag aufeinander.

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Die ÖVP warf der SPÖ, konkret dem designierten Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, „Verunsicherung der Bevölkerung“ vor. „Die politische Entscheidung ist getroffen“, sagte ÖVP-Generalsekretär Peter McDonald, nachdem sich Doskozil zuvor von der Aussage von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) distanziert hatte, wonach Asylwerber ohne Prüfung ihres Antrags künftig an der Landesgrenze abgewiesen würden.

„Ich hänge nicht an der Zahl 37.500“

Gemeinsames Ziel sei es, den weiteren Zuzug nach Österreich einzudämmen, so McDonald. Die Bevölkerung erwarte sich eine „klare, gemeinsame Antwort“. Ohne konkret zu werden, berief sich McDonald auf „Verfassungsexperten aus dem In- und Ausland“, die die rechtliche Möglichkeit einer „Obergrenze“ bestätigten. An einer rechtskonformen Umsetzung müsse gearbeitet werden, räumte allerdings auch er ein.

„Ich hänge nicht an der Zahl 37.500 - für mich ist das ein Richtwert“, hatte Doskozil zuvor im Ö1-Morgenjournal gesagt. Man werde sich „bemühen, diese Zahl zu erreichen, aber ich kann Ihnen heute nicht sagen, dass diese Bemühungen ausreichen werden“. Zu Mikl-Leitners Aussagen hielt er fest: „Aus jetziger Sicht ist es nicht zulässig, jemanden, der in Österreich einen Asylantrag stellt, auch mit dieser Planungsgröße, Richtgröße, zurückzuweisen“ - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Mikl-Leitner lobt Abkehr von „Willkommenskultur“

Die offene Frage, wie sich eine „Obergrenze“ verfassungskonform umsetzen lasse, wollte Mikl-Leitner selbst am Mittwochabend in einem ZIB2-Studiogespräch nicht beantworten. Sie wolle „die juristische Seite beiseitelassen“, sagte sie. Wenn Experten Zweifel äußerten, habe man offenbar die „falschen Juristen gefragt“. Die Regierung hat Gutachten in Auftrag gegeben, die die Zulässigkeit der Maßnahmen bestätigen sollen.

Am Donnerstag bekräftigte Mikl-Leitner ihren Kurs weiter, von dem sie sich eine europaweite „Schubumkehr“ in der Flüchtlingspolitik „weg von der grenzenlosen Willkommenskultur“ erwartet. Die härtere Gangart in Europa sei „für jeden vernünftigen Menschen“ absehbar gewesen. Einmal mehr nannte sie die Zurückweisung von Asylwerbern als mögliche Maßnahme, aber auch die bewusste jahrelange Verschleppung von Anträgen.

Faymann beharrt auf „Richtwert“

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hielt am Donnerstag seinerseits daran fest, dass die genannten Zahlen nur ein „Richtwert“ seien. Mikl-Leitners Pläne wollte er nicht befürworten. Die beauftragten Gutachten sollten ja gerade zeigen, was überhaupt die Möglichkeiten seien, wenn die Zahl überschritten werde - Ziel sei es freilich, dass sie gar nicht erreicht werde, betonte er unter Verweis auf Verhandlungen mit der Türkei und auf EU-Ebene.

Auch Bundespräsident Heinz Fischer bekundete am Rande seines Staatsbesuchs in Tunesien zwar Verständnis für Maßnahmen, damit „die Zahl in vertretbaren Grenzen bleibt“, da „Deutschland und Österreich an der Grenze der Belastbarkeit sind“. Zur Höchstzahl direkt äußerte sich der Präsident vage. „Asyl als Menschenrecht“ wolle er „natürlich nicht infrage stellen“, antwortete er auf die Frage eines tunesischen Journalisten, „aber wir müssen ein Handling finden, damit es gerechter verteilt wird.“

Strache will Neuwahl und Kanzler werden

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache forderte am Donnerstag wegen der „Pseudo-Placebo-Beschlusslage“ innerhalb der Regierung deren Rücktritt und Neuwahlen, und zwar mit dem Resultat: „Als Bundeskanzler würde ich die Interessen der Österreicher vertreten.“ Er forderte das Wiederinkraftsetzen eines Grenzschutzgesetzes, 3.000 zusätzliche Grenzbedienstete, „Nullzuzug“ aus dem Ausland, rasche Abschiebungen und ein „Dichtmachen“ der Grenze spätestens zum 1. Februar.

Mikl-Leitners Plan, Asylanträge einfach nicht bearbeiten zu wollen, sei eine „Trickserei, um die eigene Bevölkerung für blöd zu verkaufen“. Strache erneuerte auch seine - mehr als umstrittene - Kritik an Faymann. „Alle Kriterien für den Begriff, den ich beim Neujahrstreffen genannt habe, hat der Herr Faymann erfüllt“, sagte er, ohne das Wort „Staatsfeind“ erneut in den Mund zu nehmen.

SPÖ-Landesparteien gespalten

Die Regierung hat es bei dem Thema auch mit internen Widerstand zu tun. Im Zeichen der anhaltenden Kritik aus der Wiener SPÖ meinte etwa Finanzstadträtin Renate Brauner am Donnerstag, die in Auftrag gegebenen Gutachten könnten ohnehin nur ergeben, dass Obergrenzen rechtswidrig seien. Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely forderte Mikl-Leitner auf, sie solle Fragen nicht ausweichen und eingestehen, dass die Abweisung des 37.501. Flüchtlings nicht möglich sei. Dabei betonte die Landespartei, die Aussagen seien nicht als interner Streit oder als Kritik an Faymann zu verstehen. Die Wiener SPÖ muss sich dennoch harsche Kritik der Opposition anhören - mehr dazu in wien.ORF.at.

Salzburgs SPÖ-Landeschef Walter Steidl nannte die Nennung einer Obergrenze „Unfug“: Es sei „völlig unklar, was passiert, wenn heuer der 37.501. Flüchtling an der Grenze steht“. Ähnlich äußerte sich die SPÖ Oberösterreich und Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, der als Zweck der Übung eine „politische Verschnaufpause“ sieht. Skeptisch in Bezug auf eine Obergrenze zeigte sich auch der steirische SPÖ-Chef Michael Schickhofer - mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Ostermayer verneint SPÖ-internen Richtungsstreit

Zumindest verhalten positiv äußerten sich hingegen Vertreter der SPÖ in Niederösterreich und Tirol. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) betonte, „dass es unbedingt notwendig ist, Maßnahmen zu setzen, damit der Flüchtlingszug nach Österreich entsprechend geregelt wird“. Unter bestimmten Bedingungen könnte die genannte Deckelung bei der Aufnahme von Flüchtlingen auch unterschritten werden.

In Reaktion etwa auf die kritischen Signale der Wiener SPÖ verneinte Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) indes einen SPÖ-internen Richtungsstreit: „Nein, das sehe ich nicht, ich habe auch heute nochmals mit dem Herrn Bürgermeister gesprochen.“ Es habe „natürlich Vorbesprechungen gegeben (...). Da waren der Wiener Bürgermeister, der Landeshauptmann des Burgenlandes, der Landeshauptmann von Kärnten - und wir haben uns auf diese Vorgangsweise geeinigt.“

Filzmaier: Gespaltene SPÖ-Wählerschaft

Der innerparteiliche Streit in der SPÖ sei darauf zurückzuführen, dass auch die Wählerschaft geteilter Meinung sei, sagt Politologe Peter Filzmaier. Die Differenzen seien deshalb wenig überraschend.

Die eine Hälfte der SPÖ-Wähler betrachte die Flüchtlingspolitik optimistisch, die andere äußere Sorgen, ob das bewältigbar sei. "Und das geht quer durch die Partei. Die SPÖ Wien hat einen viel liberaleren Kurs als die SPÖ beispielsweise in Linz“, so Filzmaier - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

EU-Kommission verweigert Stellungnahme

Die EU-Kommission will zu den österreichischen Plänen weiterhin nicht Stellung nehmen. Natasha Bertaud, Sprecherin von EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos, sagte am Donnerstag, die EU-Kommission kommentiere nicht „Vorschläge, die noch nicht auf dem Tisch liegen“ oder „Was-wäre-wenn-Szenarien“. Umfang und Charakter der österreichischen Maßnahmen stünden noch nicht fest, so Bertaud unter Verweis auf die in Auftrag gegebenen Gutachten.

Außerdem gab es seitens der EU-Kommission keine Angaben darüber, ob Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Faymann über diese Fragen kürzlich gesprochen haben. Laut einem Newsletter des EU-Magazins „Politico“ sprachen Juncker und Faymann am Freitag letzter Woche über die Begrenzung der Flüchtlingszahl. Faymann habe Juncker zugesagt, dass es keine fixe Obergrenze geben werde, sondern unverbindliche Zielwerte.

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