Opposition mahnend, NGOs enttäuscht
Die am Mittwoch von Regierung und Landeshauptleuten beschlossene Begrenzung der Aufnahme von Asylwerbern sorgt bei Opposition und NGOs für Kritik. Bemängelt werden unter anderem die zahlreichen unbeantworteten Fragen, etwa zur Überschreitung des geplanten Höchstwertes und der verfassungs- und europarechtlichen Rechtmäßigkeit der angedachten Maßnahmen.
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Österreich will heuer nur noch 37.500 Asylwerber aufnehmen, bis 2019 sollen es insgesamt maximal 127.500 sein. Das verkündeten Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) nach einem Asylgipfel. Faymann sprach von einem „Richtwert“, Mitterlehner von einer „Obergrenze“.
Umsetzung offen
Wie die Pläne konkret umgesetzt werden sollen, blieb vage. Man wolle die Grenzkontrollen massiv verstärken und vermehrt zurückweisen. Zudem wolle man die Attraktivität Österreichs als Zielort für Asylwerber senken. Dazu sollen das schon seit Monaten vorliegende Konzept für „Asyl auf Zeit“ und ein eingeschränkter Familiennachzug gesetzlich etabliert werden.
Noch sind viele Fragen zu dem Beschluss offen. Beispielsweise ist die rechtliche Basis für die Maßnahmen noch Gegenstand von Debatten. Möglichkeiten einer konkreten - verfassungs- und europarechtlich zulässigen - Umsetzung sind schwierig. So hatte etwa der Präsident des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), Koen Lenaerts, zuletzt gewarnt, dass Obergrenzen europäischem Recht widersprechen.
Beschränkung der Asylanträge beschlossen
Regierung, Länder und Gemeinden haben bei einem gemeinsamen Gipfel in Wien eine Begrenzung der Aufnahme von Asylwerbern beschlossen. Bis Mitte 2019 sollen bis zu 127.500 Asylanträge entgegengenommen werden.
Rückschiebung oder Notlager
Eine Stellungnahme gibt es mittlerweile zu der Überlegung, was passieren soll, falls die Obergrenze tatsächlich überschritten wird. Diese Frage hatte die Regierung am Vormittag unbeantwortet gelassen. Mittlerweile hat Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zwei Alternativen für den Fall vorgeschlagen: Rückschiebung oder Notlager.
Laut Mikl-Leitner könnte Österreich bei einer Überschreitung der Grenze nach schwedischem Vorbild Asylanträge annehmen, sie aber erst nach Jahren bearbeiten und die Asylwerber in dieser Zeit in Lagern notversorgen. Die zweite Möglichkeit seien Rückschiebungen in sichere Drittstaaten, aus denen die Asylwerber gekommen sind. Der festgelegte Höchstwert für heuer könnte laut Mikl-Leitner bereits im Sommer überschritten werden.
Grüne mahnen zu „Besonnenheit und Vernunft“
Die vielen offenen Fragen und Widersprüche des Planes sorgen für Kritik bei Opposition und NGOs. „Die österreichische Bundesregierung kann die Menschenrechte nicht abschaffen“, mahnte etwa die grüne Klubobfrau Eva Glawischnig am Mittwoch via Aussendung zu „Besonnenheit und Vernunft“. Man müsse "mit großem Druck an gemeinsamen EU-Erstaufnahmestellen arbeiten und gleichzeitig einen geordneten Grenzübertritt sicherstellen“, appellierte Glawischnig an die Parteien.
Sie fragte sich öffentlich, was mit jenen Schutzsuchenden geschehen wird, die über der vereinbarten Quote liegen. „Die Regierung täuscht die Bevölkerung mit Scheinmaßnahmen; Menschenrechte kann man nicht durch nationale Quoten oder ‚Richtwerte‘ abschaffen“, meinte Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen. Der grüne oberösterreichische Integrationslandesrat Rudi Anschober sprach von einem „Bruch der Genfer Flüchtlingskonventionen“.
Die Pläne der Regierung
Die „Obergrenze“ bzw. der „Richtwert“ soll für heuer 37.500 Asylwerber betragen, 2017 sollen es nur noch 35.000 sein, 2018 30.000, und bis 30. Juni 2019 sollen es nur noch 25.000 Asylwerber sein. In Summe wären das bis dahin also 127.500 Asylwerber - das entspricht etwa 1,5 Prozent der Bevölkerung. Die im Vorjahr gestellten 90.000 Asylanträge werden nicht einberechnet.
FPÖ: Gipfel gescheitert
Für die Freiheitlichen ist der Asylgipfel „wie erwartet“ gescheitert. „Das Ergebnis ist ein Weiterwursteln wie bisher, nur eben jetzt auf niedrigerem Niveau“, sagte FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache in einer Aussendung. Statt über eine „Verteilung der Migrationsströme“ müsse man über die Verhinderung des Zuzuges von Wirtschaftsflüchtlingen diskutieren.
„Hätte man von Anfang der unkontrollierten Völkerwanderung an auf die FPÖ gehört, wäre ein derartiger Gipfel gar nicht notwendig gewesen“, so Strache. Mit dem Gipfel habe die Regierung unter Zuhilfenahme der Landeshauptleute versucht, den von ihr angerichteten Scherbenhaufen zu kitten. Nach Meinung der FPÖ ist die Obergrenze bereits für die kommenden Jahre überschritten, wenn man die Asylanträge des vergangenen Jahres einberechne. „Es geht daher nicht um noch mehr Zuzug, sondern um die rasche Abschiebung der nicht Asylberechtigten“, so Strache.
NEOS: Kein Gutachten nötig
Auch NEOS sah in den Regierungsmaßnahmen keinen Sinn. „Wie absurd ist es eigentlich, dass jetzt auch die SPÖ für unhaltbare Vorschläge wie einer Obergrenze zu haben ist?“, fragte sich NEOS-Menschenrechtssprecher Nikolaus Scherak. Für ihn ist das Fixieren einer Obergrenze rein rechtlich nicht möglich. „Dazu brauchte man keine Gutachten in Auftrag geben, man müsste nur nachlesen“, so Scherak, der ebenfalls für europäische Lösungen plädierte.

APA/Georg Hochmuth
Große Runde beim Asylgipfel
„Die ersten Ergebnisse des Asylgipfels sind ein Schuldeingeständnis der Regierung, die nun langsam die Tragweite der Willkommenspolitik erkennt“, kommentierte Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar das Ergebnis des Gipfels. Bevor Österreich in diesem Jahr weitere 37.500 Asylwerber aufnehme, solle die Regierung einen Plan vorlegen, was mit jenen Flüchtlingen geschehen solle, die zum Teil entgegen der Schengen- und Dublin-Regelung sowie der Genfer Flüchtlingskonvention in Österreich seien.
Rotes Kreuz: „Obergrenzen“ stärken Schlepper
Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer sagte, es sei „völlig unklar“, wie die Vorhaben umgesetzt werden sollen. Und: „Auch die Regierung scheint das Prozedere nicht zu kennen.“ In der Genfer Flüchtlingskonvention sei „kein jährliches Kontingent an Flüchtlingen vorgesehen“. Schöpfer fragte, wie „diese Maßnahmen im Einklang mit humanitären Werten zu gestalten sind“, und befürchtete, dass „Obergrenzen oder Richtwerte lediglich Schleppern in die Hände spielen“.

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/BMI
„Asyl auf Zeit“ ein „Placebo“
Auch die Caritas befürchtet, dass sich Fluchtrouten verschieben und Schlepper vermehrt profitieren. Caritas-Präsident Michael Landau verwies auf die juristische Expertenkritik an „Obergrenzen“. Von der „Komplexität der Herausforderung her kann es nur eine europäische Lösung geben“. Auch das Konzept „Asyl auf Zeit“ kritisierte die Caritas. Dieses sei ein „Placebo mit schädlichen Nebenwirkungen, insbesondere was die Integration von anerkannten Flüchtlingen im Sinne der Genfer Konvention betrifft“. Verpflichtende Deutschkurse bereits im Asylverfahren begrüßte Landau hingegen.
SOS-Kinderdorf-Geschäftsführer Christian Moser bezeichnete die Maßnahme als „hilflos daherkommende Symbolpolitik, die uns nicht weiterbringt.“ Auch er kritisierte, dass die Umsetzung völlig offen und die Rechtsmäßigkeit fraglich sei. Auch die Maßnahmen, die laut Bundesregierung dabei helfen sollen, geflüchtete Menschen, die bereits in Österreich sind, besser zu versorgen und zu integrieren, sieht Moser kritisch. Die geplanten Maßnahmen seien alles andere als integrationsfördern.
Die Österreichischen Kinderfreunde zeigen sich enttäuscht: „Statt andauernd über Höchstgrenzen oder Zielzahlen zu sinnieren, die höchstwahrscheinlich rechtlich gar nicht haltbar sind, sollten sich die Entscheidungsträger/innen darauf konzentrieren, die aktuelle Situation für Menschen auf der Flucht konkret zu verbessern“, fordert Daniel Bohmann.
Diakonie will mehr Hilfe an Ort und Stelle
Die Diakonie vermisst wirksame Vorschläge. Diese brauche es, damit weniger Menschen in Österreich Schutz suchen müssen. „Ohne geeignete Maßnahmen bleibt die Rede von Obergrenzen und Richtwerten eine magische Beschwörungsformel, die an der Realität zu scheitern droht“, meinte Diakonie-Direktor Michael Chalupka in einer Aussendung. Laut Chalupka braucht es vielmehr finanzkräftige Hilfe in den Nachbarländern Syriens sowie massive Anstrengungen, ein europäisches Aufnahme- und Verteilsystem in Gang zu setzen, sowie legale Wege, um Flüchtlinge nicht auf die Schlepperrouten zu zwingen.
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