Themenüberblick

Kreml bezeichnet Bericht als „Witz“

Den aufsehenerregenden Mord an Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko soll der russische Präsident Wladimir Putin mindestens billigend in Kauf genommen haben. Das hat im Jänner ein britischer Richter festgestellt. London kündigt Konsequenzen an, Moskau widerspricht energisch. Damit stehen die Zeichen bei den diplomatischen Beziehungen der beiden Länder erneut auf Sturm.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Der einstige KGB-Agent und spätere Kreml-Gegner Litwinenko starb im November 2006 im Alter von 43 Jahren an einer Vergiftung mit hoch radioaktivem Polonium 210. Drei Wochen zuvor hatte er in einem Londoner Hotel mit einem russischen Agenten und einem Geschäftsmann Tee getrunken - dabei soll ihm das Gift in den Tee gemischt worden sein.

„Motive für einen Mord“

Noch kurz bevor er starb, warf er Putin vor, den Mord an ihm in Auftrag gegeben zu haben. Litwinenko war bereits im Jahr 2000 nach London gekommen und hatte dort politisches Asyl erhalten. Vermutet wird, dass er dem britischen Geheimdienst MI6 zuarbeitete. Er entwickelte sich zu einem der schärfsten Kreml-Kritiker.

Putin, der auch 2006 Präsident war, habe vermutlich den Einsatz des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB gebilligt, bei dem Litwinenko in seinem Exil in London vergiftet wurde, hieß es in dem Bericht. Putin und die russische Regierung hätten Motive für einen Mord gehabt. „Es bestand ohne Zweifel eine persönliche Dimension in der Feindschaft zwischen Litwinenko einerseits und Präsident Putin andererseits“, erklärte Richter Robert Owen in seinem 300-Seiten-Bericht.

Konten der Verdächtigen eingefroren

Großbritannien zitierte den russischen Botschafter Alexander Jakowenko zum Gespräch ins Außenministerium. Außerdem würden die Vermögenswerte der beiden Tatverdächtigen, des russischen Abgeordneten Andrej Lugowoi und des Geschäftsmanns Dmitri Kowtun, eingefroren, kündigte Innenministerin Theresa May an. Man bemühe sich um ein weiteres juristisches Vorgehen. Derzeit lote sie mit der Staatsanwaltschaft weitere Möglichkeiten einer Auslieferung aus: „Die Regierung sieht sich weiterhin verpflichtet, in dem Fall für Gerechtigkeit zu sorgen.“

Cameron: „Von einem Staat unterstützte Tat“

Die Schlussfolgerung aus dem Untersuchungsbericht, dass der Mord auf höchster Ebene des russischen Staats gebilligt worden sei, sei extrem beunruhigend, reagierte eine Sprecherin des britischen Premiers David Cameron: „Das ist nicht die Art und Weise, wie sich ein Staat verhalten sollte - geschweige denn ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen.“

Cameron selbst sagte, der Untersuchungsbericht belege, wovon er schon immer überzeugt gewesen sei: dass „dieser entsetzliche Mord eine von einem Staat unterstützte Tat war“. Man müsse weiter Beziehungen zu Russland unterhalten, weil man den Staat für eine Lösung der Syrien-Krise brauche. „Aber wir tun das mit klarem Blick und sehr kaltem Herzen.“

Kreml sieht „Quasi-Ermittlungen“

Russlands Präsidentensprecher Dmitri Peskow wies die Vorwürfe aus Großbritannien zurück. Russische Geheimdienste seien nicht verwickelt, sagte er der Agentur Interfax in Moskau. „Ich wiederhole das seit Jahren.“ Die englischen „Quasi-Ermittlungen“ seien nicht objektiv. „Vielleicht ist das ein Witz“, sagte Peskow. Der Bericht, der auf „vertraulichen Informationen nicht identifizierter Geheimdienste“ beruhe, sei ein Beispiel für den „britischen Humor“.

„Der Bericht basiert auf Formulierungen wie ,möglich‘ und ,wahrscheinlich‘ und kann die Atmosphäre der Beziehungen vergiften“, so der Sprecher. Russland werde alle nötigen Antworten auf diplomatischen Kanälen geben.

Beziehung schon lange angespannt

Der Fall Litwinenko hatte in den vergangenen Jahren für ein angespanntes diplomatisches Verhältnis zwischen Russland und Großbritannien gesorgt. Schon Ende 2012 teilte die britische Justiz mit, die Behörden hätten ausreichend Beweise für eine Verwicklung Russlands in den Gifttod des ehemaligen Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. Im Mai 2013 erklärte die Justiz jedoch, im Rahmen des laufenden Verfahrens könne dem Verdacht auf eine Verantwortung der russischen Staatsführung nicht nachgegangen werden.

Persönliche Feindschaft

Das Ergebnis des Berichts ist Beobachtern zufolge stärker als erwartet. Die Tat sei vom damaligen FSB-Chef Nikolai Patruschew „und auch von Präsident Putin wahrscheinlich gutgeheißen worden“, heißt es darin. Neben der veröffentlichten Version des Berichts erstellte Richter Owen eine zweite, geheime Version, die aufgrund von Geheimdienstberichten nur Regierungsmitgliedern zugänglich gemacht wird.

Putin habe zusammen mit seiner Regierung ein Motiv für den Mord gehabt wie etwa die Kritik Litwinenkos am FSB und Putin sowie die Zusammenarbeit mit dem britischen Geheimdienst. Zudem habe es „unzweifelhaft eine persönliche Dimension in der Feindschaft zwischen Putin und Litwinenko gegeben“, so Owen.

Polonium „deutet auf staatliche Beteiligung hin“

Zudem sei die Verwendung des radioaktiven Gifts Polonium 210 ein deutlicher Hinweis auf staatliche Beteiligung, denn es müsse in einem Atomreaktor hergestellt werden. Im Zuge der Untersuchung habe sich herausgestellt, dass man mit einem langsamen Tod Litwinenkos „eine Botschaft senden wollte“. Als weiteren Hinweis für eine zumindest indirekte Verwicklung Putins sieht Owen die bevorzugende Behandlung von Lugowoi, einem der zwei Verdächtigen für die Ausführung des Mordes - inzwischen russischer Abgeordneter.

Witwe fordert Maßnahmen

Gegen den Willen der britischen Regierung und auf Druck von Litwinenkos Witwe Marina war der Fall vor einem Jahr doch neu aufgerollt worden. Sie ist überzeugt, dass Putin hinter dem Mord steckt.

Nun zeigte sie sich erfreut über den Abschlussbericht. Damit bestätige nun ein englisches Gericht die letzten Worte ihres Mannes. Sie fordere aber weitere Maßnahmen gegen in den Mord involvierte russische Politiker, auch Putin, und gegen staatliche Stellen, berichteten der „Guardian“ und die BBC. Allerdings wird der Bericht strafrechtlich keine direkten Konsequenzen haben. Da die knapp drei Millionen Euro teure Untersuchung kein Prozess war, kann Owen nur Empfehlungen geben.

Koch für Vergiftung gesucht

Litwinenko hatte bei einem Treffen mit den damaligen KGB-Mitarbeitern Kowtun und Lugowoi in dem Londoner Hotel Millennium am 1. November 2006 vergifteten Tee getrunken. Rund drei Wochen später war Litwinenko tot. Spuren des radioaktiven Poloniums 210 wurden an mehreren Orten gefunden - in Flugzeugen, einem Fußballstadion, Restaurants. Besonders stark war die Spur des Gifts allerdings im Hotel Millennium.

Kowtun und Lugowoi galten fortan als Hauptverdächtige, wurden aber von Moskau nicht ausgeliefert. Lugowoi wurde schon 2007 wegen Mordes angeklagt, später folgte auch eine Anklage gegen Kowtun - in beiden Fällen ohne Konsequenzen. Keiner der beiden machte im Rahmen der Untersuchung eine Aussage.

Vergangenen April vermutete Kowtun hingegen öffentlich, dass sich Litwinenko aus Versehen selbst vergiftet habe. Eine Zeugenaussage aus Deutschland hatte den Verdächtigen aber belastet. Kowtun selbst habe in den 90er Jahren in einem Restaurant in Deutschland gearbeitet, so die Zeugenaussage. Am 30. Oktober 2006 soll Kowtun den Zeugen, seinen früheren Kollegen, um ein Treffen gebeten haben: „Er fragte mich, ob ich einen Koch kenne, der in London arbeite. Er sagte, er habe ein sehr teures Gift und brauche einen Koch, der es Litwinenko verabreiche.“

Links: