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„Kein produktives Treffen“ mit Putin

Das britische Tribunal zum Giftmord am früheren KGB-Spion Alexander Litwinenko im November 2006 hat schon mit seinen ersten Einvernahmen brisante Aussagen geliefert. Litwinenkos Witwe Marina sagte bereits im Februar 2015 vor dem Londoner High Court aus, dass Russlands Präsident Wladimir Putin ihren Mann ermorden habe lassen, weil dieser zu viel über Putins Verbindungen zur russischen Mafia gewusst habe.

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Noch Litwinenko selbst hatte nach seiner Vergiftung mit radioaktiv verseuchtem Tee auf seinem Totenbett diese Vorwürfe erhoben. Der Kreml weist sie seit Jahren als Hirngespinste und Unfug zurück. Marina Litwinenko versuchte mit der Schilderung bisher unbekannter Details, das Londoner Gericht davon zu überzeugen, dass die Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen sind - allein schon weil Litwinenko selbst Putin anfangs als Verbündeten im Kampf gegen das organisierte Verbrechen gesehen hatte.

Zurück ins Jahr 1994

Marina Litwinenko ging in ihren Schilderungen zurück bis ins Jahr 1994. Putin war damals, in den turbulenten Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion, gerade zum Bürgermeister von St. Petersburg geworden. Litwinenko umgekehrt machte gerade eine Wandlung durch - vom kompromisslos loyalen KGB-Mann zum Beobachter und schließlich schärfsten Kritiker vor allem des Inlandsgeheimdienstes FSB. Schuld daran waren dessen angebliche Machenschaften, um den Tschetschenien-Krieg anzuheizen.

Marina und Anatoli Litwinenko

APA/EPA/Facundo Arrizabalaga

Marina Litwinenko mit ihrem und Alexanders Sohn Anatoli am Tag der Einvernahme

Die verheerenden Terroranschläge jener Zeit, damals wie heute tschetschenischen Separatisten zugeschrieben, waren laut Litwinenkos noch zu Lebzeiten geäußerten Vorwürfen in Wahrheit vom FSB geplant und ausgeführt. Litwinenkos politische Entfremdung vom FSB führte schließlich dazu, dass er ein neues Aufgabengebiet bekam: den Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Das steigerte seine Desillusionierung laut Marina Litwinenko noch, da er Korruption und Mafia-Verbindungen bis tief in die eigenen Reihen entdeckte.

Enttäuschte Hoffnung auf Putin als FSB-Chef

Litwinenko glaubte laut seiner Witwe, dass er 1998 durch den Wechsel an der FSB-Spitze endlich Gehör finden würde. Der neue Chef damals war Putin. Obwohl Litwinenko Putin für keinen guten FSB-Chef gehalten habe, weil dieser unerfahren sei und niemals die „Basisarbeit“ kennengelernt habe, vertraute er ihm damals anscheinend. 1998 kam es zu einem Treffen, bei dem Litwinenko Putin erklärt haben soll, dass die Mafia Strohmänner an der Spitze des FSB und anderen zentralen Stellen des Staates installiert habe.

Ihren Mann bei seinem Kosenamen nennend, sagte Marina Litwinenko bei ihrer Aussage: „Sascha hat gesagt, dass es ganz und gar kein produktives Treffen war, weil er Putins Fähigkeiten nicht traute und nicht geglaubt hat, dass er etwas ändern kann.“ Was sich aber bald nach dem Gespräch änderte, war Litwinenkos Schicksal: Er wurde nacheinander der Körperverletzung, des Diebstahls und schließlich immer neuer Delikte bezichtigt. Alle Vorwürfe wurden fallengelassen, ihm blieben dazwischen jedoch jeweils nur Tage, in denen er nicht in Untersuchungshaft war.

US-Botschaft wollte Litwinenko nicht aufnehmen

Als Litwinenko schließlich auch noch den Auftrag bekam, den Oligarchen und Putin-Kritiker Boris Beresowski zu töten, entschloss er sich zur Flucht aus dem Land mit einem gefälschten Pass. Putin war inzwischen zum amtierenden Präsidenten Russlands aufgestiegen. Marina Litwinenko schilderte auch die Details der Flucht. Ihr zufolge weigerte sich die US-Botschaft in der Türkei als erste Anlaufstation, Litwinenko Zuflucht zu gewähren. Daraufhin entschloss sich das Paar zum Weiterflug nach London.

Nach der Landung auf dem Flughafen Heathrow soll Litwinenko damals zum nächstbesten Polizisten gegangen sein und gesagt haben: „Ich bin KGB-Offizier und ich ersuche um politisches Asyl.“ Auch Beresowski wanderte ein Jahr später nach Großbritannien aus. In den folgenden Jahren erneuerten beide immer wieder öffentlich ihre Kritik an Putin und der Korruption innerhalb der russischen Staatsspitze. Litwinenko wurde 2006 vergiftet, Beresowski 2013 unter ungeklärten Umständen in seinem Appartement erhängt aufgefunden.

Fatales Insiderwissen?

Aus russischer Sicht kam Litwinenko der russischen Mafia zu nahe. Es wurden allerdings auch Vorwürfe laut, westliche Geheimdienste könnten ihn ermordet haben. Marina Litwinenko bestätigte, dass ihr Mann von Großbritannien und Spanien für seine Mitarbeit bezahlt worden sei. Auch dabei sei es aber ausschließlich um russisches Bandenwesen gegangen. Ob er Dinge verraten habe, die die russische Führung geheim halten habe wollen, wurde sie im Zeugenstand gefragt: „Wenn die russische Führung mit dem organisierten Verbrechen zu tun hat: Ja“, war ihre Antwort.

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