„Ambulanzen kompensieren Mankos“
Der Weg ins Krankenhaus wird in Österreich häufiger gemacht als in anderen Ländern. Die Spitäler sind vielfach überlastet. Studien zeigen, dass 50 bis 60 Prozent der Patienten die Krankenhausinfrastruktur eigentlich nicht brauchten und besser im niedergelassenen Bereich aufgehoben wären. Doch auch hier hat Österreich Nachholbedarf.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Auch wenn die Zahlen leicht rückläufig sind, ist Österreich im OECD-Vergleich mit jährlich 266 Spitalsentlassungen pro 1.000 Einwohner Spitzenreiter, was die Krankenhausaufenthalte betrifft. Laut der OECD-Studie „Health at a Glance 2015“ liegt Österreich bei der Zahl der Krankenhausbetten 60 Prozent über dem OECD-Schnitt.
Der Überlastung der Krankenhäuser will man mit einer Verschiebung der Patienten in den niedergelassenen Bereich entgegenwirken. Das ist eines der großen Ziele der Gesundheitsreform und wird mit der Umsetzung der Primärversorgungszentren (Primary Health Care, PHC) versucht. Dass der Trend bereits in Richtung ambulanter Behandlung geht, zeigt etwa der gestiegene Anteil der Tageskliniken, während die stationären Aufenthalte in den vergangenen Jahren zurückgingen - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
Für teure Behandlungen ins Spital
Schon eine gute Kooperation und Koordination zwischen dem Krankenhaus und den niedergelassenen Fachärzten aus der Umgebung könnte Ambulanzen in den Spitälern entlasten, meinen Ärzte. „Kostenintensive Therapien werden von den niedergelassenen Ärzten nur ungern gemacht, damit sie keine Mühen mit den Krankenkassen haben. Die Patienten werden dafür ins Krankenhaus geschickt“, erzählt ein Wiener Spitalsarzt im ORF.at-Interview. „Maximal die Hälfte der Behandlungen, die wir hier machen, müsste im Krankenhaus stattfinden.“
„Die Ärzte in den Ambulanzen kompensieren Mankos im niedergelassenen Bereich“, ist auch Harald Mayer, Bundeskurienobmann der Österreichischen Ärztekammer im ORF.at-Interview überzeugt. Wichtig sei ein strukturierter Weg des Patienten durch das Gesundheitssystem etwa mit Unterstützung des jeweiligen Vertrauensarztes. Mayer: „Das würde viele Doppelgleisigkeiten ersparen.“
Patientencheck zu Beginn
Es gebe in vielen Krankenhäusern inzwischen eigene den Ambulanzen vorgeschaltete Einrichtungen, die prüfen, ob der Patient stationär behandelt werden muss oder zu einem Arzt außerhalb des Spitals gehen kann, sagte der Präsident der ARGE Patientenanwälte, Gerald Bachinger, gegenüber ORF.at. Das habe sich in den vergangenen Jahren verstärkt.
Er hält diese Einrichtungen für sinnvoll: „Problem dabei ist aber, dass man oft ins Nirwana geschickt wird, denn wer findet am Freitagnachmittag etwa noch einen Kinderarzt?“ Immer wieder klagen Patienten, dass Ärzte mit Kassenvertrag so ausgebucht sind, dass selbst Akuttermine erst in einigen Wochen und Kontrolltermine in drei bis vier Monaten vergeben werden. Bachinger: „Da gibt es ein großes Loch in der Versorgung.“
Mehr Kassenstellen gefordert
Nach Angaben der Ärztekammer gibt es in Österreich heute um 900 Kassenärzte weniger als noch vor 15 Jahren. Dafür ist der Anteil der Wahlärzte stark gestiegen. Da übernimmt die Krankenkasse nur einen Teil der Kosten, die Vorgaben der Kassen etwa was Öffnungszeiten betrifft, sind aber geringer. Vergleicht man die Zahlen der Vertragspartner einiger Gebietskrankenkassen, zeigt sich in Wien der größte Rückgang der Kassenverträge. In Salzburg, Kärnten und Tirol ist die Zahl der Kassenverträge der Gebietskrankenkassen in den vergangenen zehn bis 15 Jahren leicht gestiegen. In Wien hingegen gab es im Jahr 2000 noch 835 Verträge der Wiener Gebietskrankenkasse für Allgemeinmediziner. 2015 waren es noch 755. Die Zahl der Facharztverträge sank im selben Zeitraum von 966 auf 903 Verträge.
Die Ärztekammer fordert daher rund 1.300 Kassenstellen für Österreich zusätzlich, um dem stärker werdenden Ärztemangel entgegenzuwirken. Für Bachinger wird das Problem dadurch allerdings nicht gelöst. Man brauche nicht zusätzliche Einzelkämpfer: „Die jüngere Ärztegeneration will nicht mehr in einer Einzelordination sieben Tage die Woche 24 Stunden im Dienst sein. Sie sind Teamspieler. Das geht nicht ohne Kooperation und Organisationsgrad.“
Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse betont, dass in den vergangenen Jahren Fachärzte mit Kassenverträgen aufgestockt wurden und widerspricht der Ärztekammer. Problematisch sei, dass vor allem von den Fachambulanzen Patienten in den niedergelassenen Bereich verschoben würden, was die Wartezeiten verschärfe. Schwierig sei auch, dass ein Teil der Kassenvertragsärzte nur wenige Patienten versorge: „Die Kassen sind leider machtlos, wenn ein Arzt einfach wenige Termine vergibt, oder erst in vielen Monaten - und das oft trotz schwacher Auslastung der jeweiligen Ordination.“
Kassenverträge als „Auslaufmodell“
Wenn das mit der Gesundheitsreform geplante Modell der Primärversorgung tatsächlich zum Einsatz kommt, werde das bisherige System der Kassenverträge an Relevanz verlieren, ist Bachinger überzeugt: „Das derzeitige Verrechnungssystem baut auf Einzelleistungen auf und ist nicht auf den PHC-Bereich übertragbar. Das Kassenmodell ist ein Auslaufmodell.“
Die Umstellung werde schneller gehen, als man denkt, denn viele Hausärzte am Land seien über 50 Jahre und gingen demnächst in Pension, so der Patientenanwalt. Schon jetzt herrscht ein Mangel an interessierten Nachfolgern insbesondere in ländlichen Regionen, die Kassenordinationen zu besetzen. „Die Forderung der Ärztekammer nach mehr Kassenstellen geht ins Leere. Schon jetzt findet man keine Leute dafür“, analysiert Bachinger.
Zukunftsmodell Primärversorgung?
Die Politik sieht vielmehr die Zukunft in den neuen Primärversorgungszentren - ein zentraler Pfeiler der Gesundheitsreform. In diesem Jahr soll bereits ein Prozent der Bevölkerung in diesen Zentren versorgt werden, insbesondere um die Spitalsambulanzen zu entlasten. Bisher gibt es ein einziges PHC-Zentrum in Wien-Mariahilf. Ein zweites geplantes ist bisher gescheitert. Bei Primärversorgungszentren sollen Ärzte und andere Gesundheits- und Sozialberufe wie Sozialarbeiter und Physiotherapeuten enger zusammenarbeiten.
Vergangenen Herbst wollte Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) den Gesetzesentwurf für die Primärversorgung eigentlich schon vorstellen. Der lässt nun nicht zuletzt aufgrund des Widerstands der Ärztekammer auf sich warten. Die Ärztekammer fürchtet die Aufhebung des Gesamtvertrags. Diesen Vertrag handelt die Ärztekammer mit den Krankenkassen aus. Geregelt werden etwa die Zahl der Kassenstellen und die Honorare für die Ärzte.
Widerstand aus Ärztekammer
Durch die geplante Umstellung des vertraglichen Systems befürchtet die Ärztekammer offenbar einen Machtverlust. Die Ärztekammer sehe darin eine „Bedrohung der bestehenden ärztlichen Einzelkämpferordinationen“, so Bachinger. Mit den möglichen Einzelverträgen der Primärversorgungszentren würde die Ärztekammer jedenfalls an Einfluss verlieren. Schon jetzt gibt es mit den Ambulatorien einen ähnlichen Fall. Diese sind als GmbH ein Wirtschaftsbetrieb und werden dadurch nicht mehr von der Ärzte-, sondern von der Wirtschaftskammer vertreten.
Für Ärztekammer-Vertreter Mayer geht es vor allem um eine faire Honorarregelung. Schon jetzt würden manche Sozialversicherungen gedeckelte Tarife haben: „Das heißt, ein Arzt, der mehr als 1.100 oder 1.200 Patienten behandelt, ist bald in einem Bereich, in dem man nahezu nichts mehr bekommt, um Patienten zu behandeln.“
Bei den Gesprächen rund um die geplante Primärversorgung habe er diesbezüglich noch keine Besserung wahrgenommen. Es sei von den Kosteneinsparungen die Rede: „Das heißt für mich aber schlechtere Honorare, und wenn die nicht passen, wird es keine Kollegen geben, die sich das antun. Man wird medizinische Leistungen anständig bezahlen müssen.“ Wie die neuen Zentren tatsächlich geregelt werden sollen, wird derzeit verhandelt. Im April will Oberhauser nun den Entwurf vorstellen.
Simone Leonhartsberger, ORF.at
Links: