„Okay, dort komme ich nie hin“
Stummfilmkomiker, das sind doch die Zappeligen mit den Tortenschlachten, über die heute keiner mehr lachen kann? Ja, manche. Im Fall von Buster Keaton müsste man allerdings sagen: höchstens noch nicht lachen kann. Denn selbst 50 Jahre nach Keatons Tod am 1. Februar 1966 hechelt die Branche seinem Stil von scheinbar beiläufig aus dem Ärmel geschüttelten, perfekt getakteten Gag-Stakkatos hinterher.
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„Nachahmung ist die ehrlichste Form eines Kompliments.“ Wenn dieser Aphorismus des englischen Schriftstellers Charles Caleb Colton stimmt, dann kann sich Keaton der Komplimente nicht erwehren: Tag für Tag lacht eine Unzahl von Menschen, die wohl nur unter Gewaltandrohung eine fast hundert Jahre alte schwarz-weiße Stummfilmkomödie ansehen würden, über Keaton-Gags - allerdings verwässerte.
It’s ... it’s ... Keaton!
Da wäre etwa: Eine Kamera schwenkt über den Ozean und bleibt an einer im Wasser stehenden Figur hängen, die auf die Kamera zugeht. Der Gag ist, dass es keinen Gag gibt. Das fand zum Beispiel die junge britische Komikertruppe Monty Python im Jahr 1969 so frech und lustig, dass sie die Szene am Beginn jeder Folge ihres TV-Klassikers wiederholte. Vier Jahre davor war genau diese Szene für den bereits todkranken 70-jährigen Keaton im Kurzfilm „The Railrodder“ nur die Aufwärmübung gewesen.

Screenshot/The Railrodder, NFB
Wer hat’s erfunden?
Auch wenn sie die Herkunft ihrer Markenzeichen-Szene nie zugaben, priesen zumindest manche Python-Mitglieder Keaton in höchsten Tönen. „Er hat Komödie erst schön gemacht“, meinte etwa Terry Jones einmal. Andere bedienten sich, ohne Danke zu sagen. Man muss nur Keatons Schwimmbadszene aus „Der Kameramann“ (1929) mit Rowan Atkinsons „The Curse of Mr. Bean“ (1990) vergleichen. Obwohl Atkinson jede einzelne Szene sklavisch nachstellt, kann er Keaton nicht das (Bade-)Wasser reichen.
Der Unterschied zwischen Komik und guter Komik
Der Vergleich zwischen Mr. Bean und Keaton macht sicher: Erst Keaton mit seinem resigniert-versteinerten Gesichtsausdruck macht die ihn heimsuchenden Pannen komisch. Gute Komik müsse auf Identifikation beruhen, war Keaton überzeugt. Grimassierende alberne Figuren eignen sich höchstens für das kleine schmutzige Vergnügen der Schadenfreude. Jemanden, der alles achselzuckend hinnimmt, sich wieder aufrappelt und weitermacht, erkennt aber jeder in sich selbst wieder.
Selbst glücklich war Keaton laut eigener Aussage nur, „wenn die Leute, die mich angesehen haben, zueinander gesagt haben: ‚Schau dir nur den armen Tropf an!‘“ Kulturtheoretiker und Essayisten würdigen Keaton heute als „Humanisten“, „Chronisten der condition humaine“ und „Poeten des Existenzialismus“. Er selbst sah sich vor allem als Handwerker und erklärte sich selbst, wenn überhaupt, nur einsilbig: „Komiker machen spaßige Dinge, gute Komiker machen Dinge auf eine spaßige Art.“
„Vielleicht der beste Film der Geschichte“
Das Understatement war bei Keaton authentisch. Er setzte neue Maßstäbe bei Tempo, Timing und technischen Revolutionen, verlor darüber aber nie viele Worte. Selbst farbenrauschige 3-D-Spektakel von heute kommen da nicht mit. Wenn in „The General“ (1927) in einer Szene die Kamera nach links fährt, Armeen nach rechts durchs Bild reiten, ein Zug wiederum die Kamera überholt und Keaton auf dem Zug halsbrecherisch nach rechts turnt, dann lässt das heute wie damals wegen der visuellen Wirkung einfach nur staunen.

picturedesk.com/UNITED ARTISTS/Mary Evans
„Züge sind großartige Requisiten. Mit Zügen kann man ein paar arg wilde Sachen anstellen.“ (Buster Keaton)
Mit „The General“ erfand Keaton noch dazu im Vorübergehen die Actionkomödie: Während er als Held wider Willen durch den US-Bürgerkrieg stolpert, explodieren im Hintergrund Waggons, fallen Lokomotiven von brennenden Brücken und marschieren ganze Heere auf, alles ohne Tricks oder doppelten Boden. Regielegende Orson Welles, von dem kaum je ein gutes Wort über Kollegen zu hören war, meinte: „‚The General‘ ist die beste Komödie der Geschichte, der beste Bürgerkriegsfilm der Geschichte und vielleicht der beste Film der Geschichte überhaupt.“
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Dass Keatons Komödien so randvoll mit Einfällen waren und mit jedem neuen Film immer voller wurden, wurde ihm zum Verhängnis. Das Publikum wusste einfach nicht, was es tun sollte: Gespannt mit Keaton als tragikomischem „Jedermann“ mitfiebern oder laut über ihn lachen? Beides zugleich? Hintereinander? Konzentriert darauf achten, dass einem keiner der vielen Gags entgeht? Oder sie einfach wie einen warmen Regen auf sich einprasseln lassen?
Noch immer traut sich kaum jemand im Unterhaltungskino, sein Publikum so „unbetreut“ in seine Filme zu stellen wie Keaton. Die, die es versuchen, berufen sich freimütig auf Keaton - etwa Regisseur Wes Anderson. Andere gehen bewusst in die Gegenrichtung, weil sie vor Keaton kapitulieren. Komödiant Jim Carrey meinte etwa: „Was für ein kreatives Genie, was für ein Neuerer! Bei so jemandem kann man sich einfach nur zurücklehnen und sagen, okay, dort komme ich nie hin.“
Warten auf Goudot
Keatons Erbe ist so randvoll, dass sogar noch genug für Künstler anderer Kulturfelder übrig blieb, etwa den irischen Literaturnobelpreisträger Samuel Beckett. Der arbeitete zwar mit Keaton für einen Film - mit dem Titel „Film“ - zusammen, bestritt aber sonst immer jeden Einfluss von Keatons Schaffen auf sein eigenes Werk, vor allem sein berühmtes Stück „Warten auf Godot“ (1952 veröffentlicht und laut Beckett 1948 begonnen), das in seiner lakonischen Absurdität viele an Keaton erinnerte.
So mag es Zufall sein, dass Keaton - als seine Karriere Geschichte war und er sich mit kleinsten Nebenrollen über Wasser halten musste - 1949 in dem Hollywood-Schwank „The Lovable Cheat“ (Der liebenswerte Schwindler), frei nach Honore de Balzacs „Le Faiseur“ (Der Macher) einen Monsieur Goulard spielte und dabei nichts anderes zu tun hatte, als auf einen abwesenden Gönner zu warten. Dessen Name: Goudot. Die Performance, die bei anderen offenbar nachhaltigen Eindruck hinterließ, war nach Keatons eigenen Maßstäben nur „minderwertig“.
Lukas Zimmer, ORF.at
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