„Die Regierung lügt“
In zahlreichen polnischen Städten haben am Samstag Zehntausende Menschen gegen das neue Mediengesetz der nationalkonservativen Regierung demonstriert. Das neue Gesetz sieht vor, dass die Führungspositionen in den öffentlich-rechtlichen Medien künftig von der Regierung bestimmt werden. Die Regierung wies die Vorwürfe als haltlos zurück.
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In Warschau versammelten sich nach Angaben der städtischen Behörden etwa 20.000 Demonstranten. Mit Slogans wie „Hände weg vom Radio“ und „die Regierung lügt“ forderten sie eine Rücknahme des Gesetzes, in Sprechchören skandierten sie „freies Polen - freie Medien“. Den starken Mann der nationalkonservativen Regierung - den Vorsitzenden der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski - verglichen Demonstranten mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Viele trugen Flaggen Polens und der EU mit.
„Demokratie nach Putins Art“
Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) warf der neuen polnischen Regierung eine Politik nach russischem Vorbild vor. „Die polnische Regierung betrachtet ihren Wahlsieg als Mandat, das Wohl des Staates dem Willen der siegreichen Partei unterzuordnen, inhaltlich und personell. Das ist gelenkte Demokratie nach Putins Art, eine gefährliche ‚Putinisierung‘ der europäischen Politik“, sagte Schulz der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („FAS“).

Reuters/Kacper Pempel
In Warschau gingen rund 20.000 Menschen auf die Straße
Die frühere EU-Justizkommissarin Viviane Reding, jetzt EVP-Abgeordnete, zog ebenfalls eine Parallele zu Russland. „Der Angriff auf den Rechtsstaat beginnt immer mit einem Angriff auf das Verfassungsgericht“, sagte sie der Zeitung. Danach würden die Medien folgen, erst die öffentlichen, dann die privaten. „Das ist die Putin-Orban-Kaczynski-Logik“, so Reding.
„Wir wollen kein mediales Budapest“
Bei der Demonstration in Warschau wandten sich vor allem Journalisten an die Versammelten. „Wir wollen kein mediales Budapest in Polen“, sagte etwa der Fernsehjournalist Roman Kurkiewicz. Im südpolnischen Krakau sagte ein Vertreter der linksliberalen „Gazeta Wyborcza“: „In den vergangenen 25 Jahren waren die öffentlich-rechtlichen Medien vielleicht nicht ideal, aber sie waren nicht das Pressebüro der Regierung.“

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Demonstranten sehen die Pressefreiheit in Gefahr
Zu den Kundgebungen hatte das Komitee zur Verteidigung der Demokratie aufgerufen, das schon im Dezember Zehntausende Gegner der regierenden Nationalkonservativen mobilisiert hatte. „Wir sehen jetzt schon die Veränderungen in den öffentlichen Medien“, sagte Mateusz Kijowski, der Gründer der Protestbewegung, vor Tausenden Demonstranten im zentralpolnischen Lodz. „Die Medien sind eine Garantie der Sicherheit der Demokratie. Wenn die Journalisten nicht den Mächtigen auf die Finger sehen können, können die Menschen nicht wissen, was die Regierung macht.“
Erst der Anfang des Köpferollens?
Am Freitag war das umstrittene Mediengesetz in Kraft getreten. Bereits am gleichen Tag wurden neue Fernseh- und Rundfunkchefs ernannt und mehrere leitende Redakteure entlassen. Am Montag sollen zudem neue Geschäftsführer der öffentlich-rechtlichen Sender ernannt werden. Die Besetzung der Führungsposten ist nur der Anfang: Berichten zufolge stehen alle Mitarbeiter auf dem Prüfstand und müssen um ihren Arbeitsplatz bangen. Auch wenn Vizeregierungschef Piotr Glinski versicherte: „Es wird keine ‚Säuberungen‘ geben.“
Nationalkonservative sprechen von Kurskorrektur
„Die Forderungen des Komitees haben nichts mit der Wirklichkeit zu tun“, sagte Schatzminister Dawid Jackiewicz, der nun für die Besetzung der Führungsposten zuständig ist. „Die Menschen, die jetzt auf die Straße gehen, sahen nichts dabei, dass die öffentlichen Medien in den Händen einer politischen Gruppe waren“, sagte er über angebliche Einflüsse der liberalkonservativen Vorgängerregierung.
Ausschreibungen mit Auswahl der Kandidaten durch die Rundfunkkommission sieht das neue Gesetz nicht mehr vor. Stattdessen werden die Kandidaten durch den eigentlich für Privatisierung zuständigen Schatzminister ernannt. Ein Medienrat mit Vertretern des nationalkonservativen Präsidenten und des Parlaments, in dem die Nationalkonservativen die absolute Mehrheit haben, ersetzt die bisherigen Kontrollgremien.
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