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Rouhani verurteilt Angriff auf Botschaft

Das geistliche Oberhaupt des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, hat Saudi-Arabien wegen der Hinrichtung des führenden Schiiten-Predigers Nimr al-Nimr erneut scharf angegriffen. Die „göttliche Rache“ werde saudi-arabische Politiker treffen, sagte Chamenei laut dem iranischen Staatsfernsehen am Sonntag.

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„Das ungerechtfertigt vergossene Blut dieses Märtyrers wird rasche Konsequenzen haben, und die Hand Gottes wird Rache an der saudi-arabischen Führung nehmen“, sagte Chamenei am Sonntag vor Geistlichen in Teheran. „Dieser Gelehrte ermutigte Menschen weder zu bewaffneten Handeln, noch schmiedete er geheime Pläne, das Einzige was er tat, war öffentlich Kritik zu äußern.“

Kritik an „angeblichen Verfechtern von Freiheit“

Zugleich kritisierte er die westlichen Regierungen und warf ihnen Untätigkeit in dem Fall vor. Die „angeblichen Verfechter von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten“ schwiegen diesmal, sagte Chamenei. „Warum unterstützen die, die Freiheit und Demokratie unterstützen, diese Regierung?“, fragte er.

Zuvor hatten Demonstranten die saudi-arabische Botschaft in Teheran angegriffen und Brandsätze in das Gebäude geworfen. Die Teheraner Staatsanwaltschaft sagte laut der Nachrichtenagentur ISNA, es seien 40 Menschen festgenommen worden, die in die Botschaft eingedrungen seien. Für Sonntagnachmittag rief der Studentenflügel der Bassidsch-Miliz zu einer weiteren Protestkundgebung vor der Botschaft auf - diese wurde mittlerweile verboten.

„Hässliche Aktionen“

Die Regierung des schiitisch geprägten Iran rief nach dem Zwischenfall zur Ruhe auf. Der iranische Präsident Hassan Rouhani verurteilte hat den Angriff auf die Botschaft: „Der Angriff von Extremisten auf die saudische Botschaft in Teheran ist in keiner Weise zu rechtfertigen und hatte negative Auswirkungen auf das Image des Iran“, teilte Rouhani am Sonntag in einer Presseerklärung mit.

Das Innenministerium, der Geheimdienst und die Polizei sollten konsequent gegen die Täter vorgehen. „Solchen hässlichen Aktionen sollte ein für alle Mal ein Ende gesetzt werden“, forderte der Präsident. Die iranischen einflussreiche Revolutionsgarden drohten dem sunnitischen Königshaus in Saudi-Arabien unterdessen mit einer „scharfen Vergeltung“.

Schlagabtausch zwischen Teheran und Riad

Das iranische Außenministerium hatte Saudi-Arabien vorgeworfen, „terroristische und extremistische Bewegungen“ zu unterstützen und zugleich seine internen Gegner hinzurichten. Das Königreich werde dafür „einen hohen Preis zahlen“, warnte Teheran. Riad warf seinem regionalen Rivalen daraufhin einen „aggressiven“ Tonfall vor und bestellte den iranischen Botschafter ein.

Neben Nimr waren am Samstag in Saudi-Arabien 46 weitere Menschen wegen Terrorismus oder Anstiftung zur Gewalt exekutiert worden. Die meisten von ihnen waren sunnitische Extremisten. Mehrere von ihnen sollen für das Terrornetzwerk Al-Kaida 2003 und 2004 Anschläge verübt haben. Zu den Exekutierten gehörte auch Faris al-Schuwail, der Medienberichten zufolge der oberste religiöse Anführer von Al-Kaida in Saudi-Arabien war.

Wie den anderen Hingerichteten wurde auch Nimr Terrorismus vorgeworfen. Er hatte seit dem „arabischen Frühling“ zu friedlichen Protesten gegen die Unterdrückung der schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien aufgerufen und war dafür vom Regime verfolgt worden. Eine wirkliche Bedrohung ging nach Meinung internationaler Beobachter nicht von ihm aus.

Proteste im Irak und in Kaschmir

Der höchste schiitische Geistliche im Irak, Ajatollah Ali al-Sistani, verurteilte die Hinrichtung als „ungerecht“. „Wir haben mit extremer Trauer und Kummer die Nachricht des Martyriums unserer gläubigen Brüder, darunter Scheich Nimr al-Nimr, erhalten“, sagte Sistani am Sonntag nach Angaben der Nachrichtenseite Alsumaria.

In der zentralirakischen Provinz al-Wasit protestierten am Sonntag Hunderte Schiiten auf den Straßen gegen die Hinrichtung. Sie forderten die schiitisch geführte irakische Regierung auf, die erst im Dezember nach 25 Jahren wiedereröffnete saudische Botschaft in Bagdad erneut zu schließen.

„Tor zur Hölle geöffnet“

Der einflussreiche irakische Schiitenführer Moktada al-Sadr rief die Regierung in Bagdad dazu auf, die begonnene Entspannung zwischen dem Irak und Saudi-Arabien wieder rückgängig zu machen. Der frühere irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki sagte seinerseits den Sturz der Regierung in Saudi-Arabien wegen der Hinrichtung voraus. Der Führer der schiitischen irakischen Badr-Miliz, Kassim al-Aradschi, sagte in einem TV-Interview, die Tat habe „das Tor zur Hölle“ geöffnet.

Demonstranten in Indien

AP/Mukhtar Khan

Auch in Indien löste die Exekution Proteste aus

Im indischen Teil Kaschmirs demonstrierten Tausende Schiiten an mehreren Orten wegen Nimrs Hinrichtung. Sie hielten Poster mit seinem Bild in die Höhe oder trugen schwarze Fahnen. „Sie (Saudi-Arabien, Anm.) haben mit der Ermordung von Ajatollah Nimr einen schweren Fehler gemacht, und sie werden ernten, was sie gesät haben“, sagte Scheich Hussain Lutfi, einer der Anführer der Proteste. Einige Demonstranten wurden laut Augenzeugen verletzt, als die Polizei die Proteste mit Schlagstöcken einzudämmen versuchte.

Die schiitische Hisbollah-Miliz aus dem Libanon sprach von einem schweren Fehler, den die Regierung in Riad mit Nimrs „Ermordung“ gemacht habe. Auch in anderen Ländern protestierten Muslime gegen die Exekution. Darüber hinaus prangerten Menschenrechtsorganisationen die Hinrichtungen als Unrecht an. Nimrs Bruder Mohammed al-Nimr warnte, die Hinrichtung des Geistlichen könnte „die Wut der Jugend“ entfachen. Auch er rief die Schiiten auf, friedlich zu protestieren.

Kritik aus Europa

Auch aus Europa kam Kritik an der Massenhinrichtung. Die EU sei gegen die Todesstrafe und besonders gegen Massenhinrichtungen, betonte EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Samstag in Brüssel. Es gebe ernste Bedenken, unter anderem wegen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, erklärte Mogherini mit Blick auf Nimrs Hinrichtung. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die rivalisierenden Religionsgruppen zur Zurückhaltung auf. Alle Verantwortlichen in der Region müssten zu einem Abbau der Spannungen beitragen, forderte er.

Vermittlungsversuch von Kurz

Auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) rief in kurzen Telefongesprächen mit seinen Amtskollegen aus dem Iran und aus Saudi-Arabien zur Deeskalation auf. „In dieser von Konflikten geprägten Region wäre eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zwischen Iran und Saudi-Arabien das Letzte, was wir momentan brauchen“, sagte Kurz nach Angaben seines Sprechers am Sonntag.

In dem Gespräch mit Mohammed Dschawad Sarif (Iran) und Adel al-Dschubeir (Saudi-Arabien) habe Kurz auch eine „Wiederaufnahme des Dialogs“ gefordert. Die beiden Regionalmächte seien insbesondere für eine Lösung im Syrien-Konflikt notwendig, argumentierte der Außenminister. Ohne Saudi-Arabien und den Iran wäre „die Einigung auf einen Aktionsplan nicht möglich gewesen“, betonte Kurz seinem Sprecher zufolge.

Beide Außenminister hätten versichert, „dass niemand ein Interesse an einer weiteren Eskalation haben kann“. Kurz betonte in beiden Telefongesprächen nach Angaben seines Sprechers auch die „generell ablehnende Haltung Österreichs in Bezug auf die Todesstrafe“, die er als „unmenschliche und grausame Form der Bestrafung“ bezeichnete.

Saudis verteidigen „Gnadenakt“

Saudi-Arabien verteidigte die Hinrichtungen angesichts der Kritik als „Gnadenakt“ an den Getöteten, weil man sie damit davon abgehalten habe, weiteres Übel anzurichten. Laut Nimrs Bruder wurde dessen Leichnam zeitgerecht der Familie übergeben, um ihn gemäß muslimischem Ritus noch am selben Tag bestatten zu können. Der Ort von Nimrs Grab wurde nicht bekanntgegeben, um die Lage zu beruhigen.

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