Kultur zur Vergangenheitsbewältigung
Die nordspanische Küstenstadt San Sebastian will als europäische Kulturhauptstadt 2016 ohne Showeffekte und große Namen auskommen. Die Organisatoren sehen das wichtigste Ziel der Veranstaltungen darin, das Publikum einzubeziehen. Die Kultur soll in der baskischen Metropole, die jahrzehntelang unter dem Terror der ETA zu leiden hatte, zur Förderung des friedlichen Zusammenlebens dienen.
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Die Veranstaltung in der 190.000-Einwohner-Stadt an der malerischen „Muschelbucht“, die mit einem dichten Programmreigen zwischen 20. und 24. Jänner offiziell eröffnet wird, rankt sich um drei Achsen (Frieden, Leben und Stimmen), die als „Leuchttürme“ bezeichnet werden. Auf einem Theaterforum werden Stücke aufgeführt, die sich mit dem Konflikt im Baskenland befassen. Eine Delegation der Kulturhauptstadt wird andere Brennpunkte wie Belfast und Sarajevo besuchen.
Jedes Jahr dichtes Kulturprogramm
Dabei glänzt San Sebastian eigentlich jedes Jahr mit seinem Kulturprogramm. Im September findet jährlich das internationale Filmfestival statt, das neben Berlin, Venedig und Cannes zu den größten internationalen Filmfestivals überhaupt gehört und immer wieder etliche Stars anlockt. Auch verschiedenste kleinere Filmfestivals finden ihren Platz.
Im Juli findet mit der Jazzaldia eines der größten Jazzfestivals Europas statt, mit Quincena lädt man außerdem zu Spaniens größtem Festival für klassische Musik. Zudem verfügt die Stadt über den „Kursaal“, ein großes Kongress- und Kulturzentrum des Stararchitekten Rafael Moneo, das direkt am riesigen Stadtstrand La Concha errichtet wurde.
Berühmte Pinchos
Berühmt ist die Stadt zudem durch ihre Kulinarik. Bars und Restaurants konkurrieren mit ihren Pinchos (bzw. Pintxos), wie Tapas hier heißen. Die Kochkunst soll auch eine tragende Rolle im Programm der Kulturhauptstadt spielen. Kein Wunder, dass Donostia, wie die Stadt auf Baskisch heißt, schon jetzt in der Hochsaison ein Besuchermagnet ist. Für heuer wird man früh buchen müssen, um eine Unterkunft zu ergattern, vor allem zu einem erschwinglichen Preis.
Schatten des ETA-Terrors überwinden
Aufgrund seines milden Klimas hatte San Sebastian den spanischen Königen, die der Hitze in Madrid entfliehen wollten, lange Zeit als sommerliche Residenz gedient. Das führte dazu, dass die Stadt prachtvolle Alleen und Paläste erhielt. Bis vor wenigen Jahren lag jedoch ein Schatten auf San Sebastian: Wie kaum eine andere Stadt war sie vom Terror der baskischen Untergrundorganisation ETA betroffen. Es herrschte eine Atmosphäre der Angst, Politiker konnten sich nur mit Leibwächtern auf die Straße wagen, Unternehmer wurden zur Zahlung von Schutzgeldern - der „Revolutionssteuer“ - erpresst.
Die Überwindung dieses Klimas des Hasses und der Angst ist eines der Motive, die San Sebastian zur Bewerbung um die Ernennung zur europäischen Kulturhauptstadt bewogen haben. „Die Stadt brauchte etwas, um das Trauma zu überwinden“, sagte Pablo Berastegui, Direktor des Projekts „San Sebastian 2016“, der dpa.
Streit in der Vorbereitung
Doch ganz so einfach war der Weg nicht - politische Streitigkeiten und Kompetenzgerangel warfen die Vorbereitungen wiederholt zurück. Der eigentliche Initiator war der frühere Bürgermeister Odon Elorza. Als der Sozialist von dem baskischen Separatisten Juan Carlos Izagirre im Amt abgelöst worden waren, war es zum offenen Konflikt gekommen, wie die APA berichtete.
Das spanische Kulturministerium und die baskische Regionalregierung waren sogar vor Gericht gezogen - der Auftrag zur Veranstaltung eines Kongresses über Sprachen von Minderheiten sei nicht ordnungsgemäß erteilt worden. Unternehmen weigerten sich, die Kulturhauptstadt zu sponsern. Erst nach der Wahl 2015 beruhigte sich die Lage.
Stadt baut kulturelle Brücken
Das Programm der Kulturhauptstadt ist jedenfalls vielseitig. Eines der Highlights ist die für Juni im Stadtpark geplante Freiluftaufführung von William Shakespeares „Sommernachtstraum“. Die Aufführung zum 400. Todesjahr Shakespeares wird eine Mischung aus Theater, Tanz und kulinarischem Hochgenuss, bei dem die Zuschauer vollkommen ins Werk integriert werden sollen.
Jeden Monat kommt eine andere Persönlichkeit zu den „Europäischen Dialogen“ nach San Sebastian, um zusammen mit den Bürgern über Europa nachzudenken. Unzählige Veranstaltungen werden nicht nur von Künstlern aus anderen Ländern realisiert, sondern finden auch in anderen Ländern und Städten statt.
Viele Veranstaltungen werden im gesamten Baskenland, aber auch in benachbarten südfranzösischen Städten sowie in den spanischen Städten stattfinden, die sich ebenfalls für das Kulturhauptstadtjahr beworben hatten. Einige Projekte wie „Transforming“ finden sogar auf Brücken zwischen dem spanischen Baskenland und Frankreich statt - und damit in grenzüberschreitenden Räumen.
Krieg und Frieden als Motiv
In diesem Sinn thematisiert auch das große Antikriegsfestival im Frühling - das mit Konzerten, Filmen und szenischer Kunst gegen die aktuellen Kriege protestieren wird - die europäische Flüchtlingsproblematik. Das Internationale Filmfestival von San Sebastian wird im September in einer eigens geschaffenen neuen Rubrik ebenfalls Dokumentar- und Spielfilme zeigen, die sich mit dieser Problematik beschäftigen.
Im Sommer wird in San Sebastian die größte Ausstellung zu sehen sein, die jemals in Europa über die Repräsentation von Gewalt und Frieden gezeigt wurde. Dutzende international renommierte Museen leihen der EU-Kulturhauptstadt zu diesem Zweck 300 Werke von Künstlern wie Goya, Rubens, Zurbaran und Picasso. Und das Festival Music Box lockt eine Reihe von nationalen und internationalen Bands - darunter Tindersticks, Clem Snide und Sleaford Mods - in die Küstenstadt.
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