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Ambitioniertes Programm

Ab 15. Jänner wird das polnische Breslau (Wroclaw) gemeinsam mit der spanischen Küstenstadt San Sebastian den Titel europäische Kulturhauptstadt tragen. Seit November steht das Programm fest. Die politischen Ereignisse und kontroversen Handlungen der neuen, nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) könnten das bevorstehende Kulturereignis aber in Polen in den Hintergrund drängen.

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Für Breslau, die „Visitenkarte Polens“, kündigte die ehemalige Regierungschefin der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO), Ewa Kopacz, eine finanzielle Unterstützung der Projekte für die Europäische Kulturhauptstadt (ESK) 2016 von rund 25 Millionen Euro an. Laut der früheren Kulturministerin Malgorzata Omilanowska ist das Geld, „das für ein ganz bestimmtes Programm vorgesehen ist“, ab 1. Jänner 2016 verfügbar.

Kulturhauptstadt unter neuer „Aufsicht“

Dieses Programm liegt seit Oktober in den Händen der nationalkonservativen Regierung. Im November 2015 übernahm Vizepremier Piotr Glinski (PiS) das Amt des Kulturministers. Glinski sorgte bereits nach kurzer Zeit für Aufsehen in Zusammenhang mit dem Stück „Prinzessinnendramen. Der Tod und das Mädchen I-V“ von Elfriede Jelinek, das unter dem Namen „Das Mädchen und der Tod“ im November im Breslauer Staatstheater Premiere feierte. Die Beschreibungen im Programmtext zum Stück waren für Glinksi Grund genug für einen Versuch, es nicht zur Aufführung kommen zu lassen.

Beleuchtete Brücke und Fluss in der Stadt Breslau

M. Jedrzejczak

Millionen wurden in die Renovierung der Stadt investiert

Seiner Interpretation nach sollte in „Das Mädchen und der Tod“ harter Porno aufgeführt werden - für Pornografie am polnischen Theater gebe es keine staatlichen Gelder. Polnische Medien sprachen von einer Zensur. Die Premiere fand dennoch statt - wenn auch unter Polizeischutz und mit Gegendemonstrationen. Bei den vom polnischen Fernsehsender TVP interviewten Theaterbesuchern fand das Stück aber Zuspruch. Es gab auch keine Nacktheit auf der Bühne.

Journalistin gefeuert

Nach der Premiere des Jelinek-Stücks lud TVP Glinksi zu einer Stellungnahme ins Studio, bei der die Journalistin Karolina Lewicka nachdrücklich unangenehme Fragen stellte. Der neue Kulturminister bezeichnete in dem Interview den Sender als „Propaganda verbreitende Sendung, die ein Ende hat“. Lewicka wurde kurzerhand suspendiert. In ihrer Regierungsansprache betonte Ministerpräsidentin Beata Szydlo, dass Kulturpolitik eine patriotische und moralische Haltung zu stärken habe.

Glinksi kündigte da bereits die Umstrukturierung des polnischen Mediensystems an, durch die die Medien „wirklich staatlich“ werden sollen. Mittlerweile ist das neue Mediengesetz unterschrieben, mit dem die Regierung Durchgriffsrecht auf die öffentlich-rechtlichen Sender hat. Proteste gab es dagegen nicht nur im Land, sondern auch aus der EU-Kommission.

Kunstwerk in der Stadt Breslau

Marcin Biodrowski

Dutzende Zwergenskulpturen in der Stadt erinnern an den Widerstand der Gewerkschaft Solidarnosc (Solidarität) gegen das kommunistische Regime

Wenig Angriffsfläche

Doch dass das Programm der Kulturhauptstadt im Zeichen des Patriotismus angepasst wird, scheint unwahrscheinlich. Was Breslau 2016 an Kultur vorzuzeigen hat, bietet wenig Angriffsfläche für einen nationalkonservativen Kulturminister wie Glinski. Breslau ESK 2016 sei ein Prozess und durch die Vielfalt autonomer Kuratoren gekennzeichnet, wie es im ESK-Programm heißt. Für manche Projekte gibt es aber noch keine Angaben zu den Namen dieser Kuratoren. Unter dem Schlagwort „Raum für die Schönheit. Projektiert“ möchte die Stadt einen offenen und freundlichen Raum schaffen, der dazu dienen soll, das Verlangen nach dem Umgang mit Kultur und Kunst für die Schönheit zu erfüllen.

Außenansicht des Konzertsaals in der Stadt Breslau

M. Jedrzejczak

Der neue Konzertsaal in der Außenansicht

Zwei große Investitionen

Dafür wurde auch viel investiert. Auf dem Platz der Freiheit steht seit September das Nationale Forum der Musik, das sich aus drei Sälen mit insgesamt 850 Quadratmetern zusammensetzt. Es ist der Hauptaustragungsort für die Konzerte im Rahmen der ESK 2016, die von Klassik bis zu Improvisationskunst reichen. Die zweite große Investition ist der neu sanierte und umgebaute Vier-Kuppel-Pavillon, wo 2015 das Museum Zeitgenössischer Kunst eröffnet wurde. Der Pavillon gehört zusammen mit der Pergola zum Ensemble der Jahrhunderthalle auf dem Breslauer Messegelände, das zwischen 1911 und 1913 von Hans Poelzig entworfen wurde.

Konzertsaal in der Stadt Breslau

Lukasz Rajchert

Das Nationale Forum der Musik

Ab April auch Weltbuchhauptstadt

Im Bereich der Architektur legen die Ausstellungen außerdem besonderes Augenmerk auf die Zeit der Zweiten Republik Polens (1918 bis 1945). Im Theater- und Filmprogramm der ESK werden weder genderspezifische Themen noch Provokationen erwähnt. Einzig die „Olympiade des Theaters“ – ein internationales Theaterfestival, das seit 1993 Werke von Theaterschaffenden aus der ganzen Welt präsentiert – könnte für Überraschungen sorgen. Kurator Jaroslaw Fret sieht das Theater als Fundament für Demokratie – passend dazu steht die Olympiade unter dem Motto „Die Welt als Ort der Wahrheit“.

Am 23. April beginnt außerdem die Amtszeit Breslaus als UNESCO-Weltbuchhauptstadt. Am gleichen Tag wird das Pan-Tadeusz-Museum im Ossolineum, der Nationalbibliothek Breslaus, eröffnet. Die Stadt plant auch, dem International Cities of Refuge Network (ICORN) beizutreten. ICORN ist eine Vereinigung von Städten weltweit, die sich für die Verteidigung der Meinungsfreiheit engagieren - und für Schriftsteller, die aus politischen Gründen verfolgt werden, sich verstecken, inhaftiert oder mit Veröffentlichungsverbot im eigenen Land belegt sind.

Gespenstische Eröffnungsfeier

Große Erwartungen werden in die Eröffnungszeremonie des Performancekünstlers Chris Baldwin gesteckt. Unter dem Schlagwort „Erwachen“ sollen vier „Geister“ zum Leben erweckt werden. Vier „Maschinengeister“ (entworfen vom französischen Performancekünstler Philipp Geffroy) stehen für die Vielzahl an Religionen, für Innovation, den Wiederaufbau und das Hochwasser. Auf dem Breslauer Marktplatz sollen sich diese „Geister“ als poetische Metapher der Stadt zu einem 14-Meter-Showobjekt vereinen. Über hundert polnische Künstler werden daran teilnehmen.

Eines der langfristigen Ziele der ESK ist der kulturelle Austausch zwischen heimischen Künstlern sowie ein leichterer Zugang zur Kultur für die Bewohner der Stadt. Wirtschaftlich strebt Breslau eine Verdopplung der Touristenzahl an. Die aktuellen Schlagzeilen um Polen - wie etwa die verfassungswidrige Vereidigung von PiS-nahen Richtern und der Umbau des Verfassungsgerichts - zeichnen derzeit kein einladendes Bild für die Kulturhauptstadt. Die jahrelangen Vorbereitungen könnten vom Machtstreben der Partei überschattet werden.

Yasmin Szaraniec, ORF.at

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