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„Dem Aussehen nach Orientale“

Der 27. Dezember 1985 war ein Freitag. Österreich war - mit einem Fenstertag zwischen den Weihnachtsfeiertagen und dem Wochenende vor dem Jahreswechsel - noch mehr als sonst in der kollektiven Feiertagsruhe, als die Nachricht vom Überfall auf den Flughafen Wien-Schwechat die Bevölkerung erreichte. Am Ende des Tages waren drei Menschen tot: zwei Unbeteiligte und einer der Terroristen.

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Die Nachrichtenagentur APA hatte gerade ihre Meldung über die „zehn wichtigsten Nachrichten des Jahres“ gesendet - etwa die Wahl von Michail Gorbatschow zum Chef der kommunistischen KPdSU, sein späteres Treffen mit US-Präsident Ronald Reagan, Anti-Apartheid-Demos in Südafrika und die tödlichen Ausschreitungen im Brüsseler Heysel-Stadion. Und schon war die Meldung wieder Makulatur: Kurz nach 9.00 Uhr wurde unter der Rubrik „Kriminalität/Niederösterreich“ ein „bewaffneter Zwischenfall“ gemeldet.

Einer von zwei koordinierten Angriffen

Terrorismus war auch vor 30 Jahren Teil des Nachrichtenalltags. Nicht umsonst fand sich unter den zehn wichtigsten Meldungen des Jahres auch die Entführung des Kreuzfahrtschiffs „Achille Lauro“. Der Terrorüberfall auf Schwechat war dennoch anders. Gerade im Licht heutiger Entwicklungen im Hinblick auf terroristische Gefahren nimmt er sich nachgerade wie ein Signal der Zeitenwende aus - allein schon dadurch, dass der Überfall auf Schwechat nur einer von zwei zugleich stattfindenden war.

Polizisiten vor dem Flughafen Schwechat, 1985

AP/Holzner

Gendarmen vor dem Flughafen Schwechat am 27. Dezember 1985

Gerade in Österreich wird oft vergessen, dass am 27. Dezember 1985 ein koordinierter Terrorangriff der palästinensischen Fatah-Splittergruppe Abu Nidal stattfand: Auch der römische Flughafen Fiumicino wurde am selben Tag angegriffen. Mit 16 Toten forderte dieser Anschlag ein Vielfaches der Opfer vom Attentat in Schwechat. Neu im Vergleich zu den meisten der - zahlreichen - Terroranschläge der 70er und 80er Jahre war dabei auch, dass die Täter bei diesen Attacken ihren zumindest wahrscheinlichen Tod in Kauf nahmen.

Der Wandel hin zum Selbstmordattentat

Auch in Schwechat hätte die Opferbilanz weit höher ausfallen können: Die drei Attentäter warfen Handgranaten in die Passagierschlange vor dem Schalter der israelischen Fluglinie El Al und schossen mit Sturmgewehren in die Menge. Sie wurden ihrerseits zunächst von einem österreichischen Polizisten und dem bewaffneten Personal des El-Al-Schalters unter Feuer genommen. Dabei kamen ein Österreicher und ein Israeli ums Leben.

Dass die Terroristen ihren Tod in Kauf nahmen, zeigte auch die improvisierte Flucht vom Tatort: Sie nahmen, bereits schwer verletzt, einem Unbeteiligten seinen Wagen vor dem Flughafen weg. In einer dramatischen Verfolgungsjagd konnte die Polizei die drei Männer schließlich bei Fischamend stoppen. Einer der Terroristen starb, die beiden anderen überlebten schwer verletzt. Zu den zivilen Opfern zählte zudem eine junge Österreicherin, die später ihren schweren Verletzungen erlag.

Schüsse in die Menge

38 Menschen überlebten das Attentat teils schwer verletzt und mit lebenslangen Folgen - u. a. wegen der Mängel in der damaligen medizinischen Infrastruktur des Flughafens, die eher jener einer größeren Schule entsprach. Auch dass die Terroristen schließlich die Flucht ergreifen mussten, lag vor allem an den israelischen Sicherheitsbeamten und nicht an den österreichischen. Der Polizist, der das Feuer eröffnete, sprach von „Glück“, dass er sich zufällig genau oberhalb der Terroristen befand.

Innenminister Karl Blecha und Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Robert Danzinger, 30. Dezember 1985

picturedesk.com/APA-Archiv/Robert Jäger

SPÖ-Innenminister Karl Blecha mit dem Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Gerald Danzinger, nach dem Attentat

Dass die Terroristen wahllos in die Menge geschossen und damit überwiegend Österreicher getroffen hatten, markierte ebenfalls einen Wandel in der Art der Attentate. Auch bei den Attentaten auf österreichischem Boden - vom Überfall auf die OPEC zehn Jahre davor über den Mord am Wiener Stadtrat Heinz Nittel (SPÖ) 1981 bis zum Angriff auf die Wiener Synagoge im selben Jahr - hatten Terroristen zuvor ihre Opfer hingegen so ausgewählt, dass sie ihren Verbrechen die Anmutung von „Strafen“ geben konnten.

Ministerium vermeldet Verhaftung von „Orientalen“

Auch hatten die Terroristen, wären sie nicht gestoppt worden, zumindest laut den Aussagen eines der beiden Überlebenden einen Anschlag in der Art der 9/11-Angriffe in den USA vor: Angeblich wollten sie - mit den überlebenden El-Al-Passagieren als Geiseln - ein Flugzeug entführen und es über Tel Aviv zum Absturz bringen. So sehr die Methoden der Terroristen damit schon an jene von heute erinnerten, so wenig waren die damaligen Reaktionen von Behörden und Politik mit den heutigen vergleichbar.

Das wird schon an der Erklärung des Innenministeriums deutlich, dass es sich bei den festgenommenen Tätern „dem Aussehen nach um Orientale“ handle. Einig zeigte sich die Politik damals in ihren Reaktionen, dass man sich vom Terror nicht beeindrucken lasse. Der damalige Außenminister Leopold Gratz (SPÖ) erklärte etwa, man brauche bei solchen Taten gar nicht über politische Motive nachdenken, da es sich einfach um Verbrechen handle.

„Werfen von Handgranaten nicht zu verhindern“

Im Vergleich zu Luftraumsperren, Verfassungsänderungen, ausgerufenem Ausnahmezustand und anderem heute Geläufigem nach einem Anschlag dominierte 1985 - trotz aller Verurteilungen der Tat - eine vergleichsweise kaltblütige Gelassenheit. FPÖ-Vizekanzler Norbert Steger etwa wollte nicht über verschärfte Sicherheitsvorkehrungen nachdenken, da das „Werfen von Handgranaten nicht zu verhindern“ sei - oder wenn, dann nur um den zu hohen Preis eines Polizeistaates.

Zahlen widerlegen Gefühle

In Schwechat selbst ging man am 27. Dezember 1985 nicht einmal zwei Stunden nach dem Beginn des Feuerüberfalls wieder zur Tagesordnung über: Neben kaum getilgten Spuren des Anschlags wurden Flüge abgefertigt, als wäre nichts geschehen. Auch soll der Anschlag kaum etwas an angeblichen Kontakten zwischen dem österreichischen Geheimdienst und der Abu-Nidal-Gruppe geändert haben. Möglicherweise hatten die Reaktionen früher auch damit zu tun, dass Terrorismus - im Unterschied zum subjektiven Gefühl mancher heute - weit allgegenwärtiger war als heute.

Die Zahlen der Global Terrorism Database (GTD), die weltweit penibel über Anschläge bis hin zur Sachbeschädigung Buch führt, weist in Österreich vor allem den Beginn der 80er und die Mitte der 90er Jahre als Zeit verstärkten Terrorismus aus. Letzterer war freilich vor allem mit den Attentaten des Rechtsextremisten Franz Fuchs hausgemacht. Die weltweite GTD-Zählung belegt zwar horrende Zuwächse bei terroristischen Taten seit 2011, das jedoch ausschließlich im Nahen Osten und in Afrika.

Lukas Zimmer, ORF.at

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