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Richtlinie frühestens ab 2020 gültig

Die EU-Kommission will für eine Reihe von Produkten und Dienstleistungen die Barrierefreiheit vorschreiben. Damit soll Menschen mit Behinderungen die uneingeschränkte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden.

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„Eine Behinderung darf kein Hindernis für die umfassende Teilhabe an der Gesellschaft sein,“ sagte EU-Beschäftigungskommissarin Marianne Thyssen Anfang Dezember in Brüssel. Einheitliche Regeln seien auch gut für Unternehmen, die künftig nicht mehr unterschiedliche nationale Vorschriften beachten müssten.

Die vorgeschlagene Richtlinie zur Barrierefreiheit soll für folgende Bereiche gelten: Computer und Betriebssysteme, Geldautomaten und Ticketmaschinen, Telefone, Digitalfernseher, Telefondienstleistungen, audiovisuelle Medien wie etwa Fernsehen, Transportsysteme, Bankdienstleistungen, elektronische Bücher und E-Commerce. Technische Lösungen würden nicht vorgeschrieben, sondern lediglich Erfordernisse, so Thyssen weiter.

Von der Ticketmaschine bis zur Fernbedienung

So sollen beispielsweise blinde Menschen in der Lage sein, einen Ticketautomaten an einem Bahnhof oder Flughafen zu bedienen. An Bankomaten könne es (wie hierzulande bei manchen Geräten mittels Kopfhöreranschluss schon möglich) gesprochene Hilfen geben, die Tasten von TV-Fernbedienungen könnten für sehbeeinträchtigte Personen „lesbar“ gemacht werden, Websites ließen sich ebenfalls barrierefrei gestalten.

Eine „Klausel des gesunden Menschenverstands“ soll verhindern, dass die Anforderungen für Unternehmen eine unverhältnismäßige Belastung darstellen. Für Kleinstfirmen sind weniger strenge Vorgaben zur Einhaltung der Vorschriften vorgesehen. Die Erfahrung zeige aber, dass es in den meisten Fällen unternehmerisch sinnvoll ist, barrierefreie Produkte anzubieten - vor allem, wenn der Barrierefreiheit bereits in der Designphase Rechnung getragen wird, so die EU.

Neuer EU-Vorstoß „eine Schande“

Scharfe Kritik übte allerdings der Europäische Blindenverband (EBU). Konkret warf EBU-Präsident Wolfgang Angermann den EU-Staaten Anfang Dezember vor, die Richtlinie zu verwässern, mit der etwa Regierungsstellen verpflichtet werden, Websites barrierefrei zu gestalten. Der Entwurf des EU-Rats (der 28 Mitgliedsländer) sei „eine Schande“, so Angermann in einer Aussendung. Im Text des Rats würden ganz wesentliche Punkte fehlen - Apps und herunterladbare Dokumente etwa müssten nicht barrierefrei sein.

Entwurf zweimal geändert

Vor mittlerweile über drei Jahren hatte die EU-Kommission einen ersten Text vorgelegt, der vom Parlament im Vorjahr aber stark überarbeitet wurde. Das Parlament war der Ansicht, dass der Kommissionsentwurf den Vorgaben der UNO-Konvention über die Rechte behinderter Menschen nicht Genüge tat.

Der Entwurf des Parlaments geht nun aber den Mitgliedsländern zu weit - sie schrieben ihn daher ihrerseits um. Angermann betont, die Position des Rates sei jedenfalls „ungeeignet“. Rat und Parlament müssen nun versuchen, einen Kompromiss zu finden - angesichts der weit auseinanderliegenden Positionen könnte das schwierig werden. Die Richtlinie soll sechs Jahre nach ihrer Verabschiedung in Kraft treten. Da Parlament und Rat erst zustimmen müssen, könnte sich das bis weit nach 2020 hinauszögern.

EU-Bevölkerung wird immer älter

Laut Thyssen leben in der EU etwa 80 Millionen Menschen, die unterschiedlich stark behindert sind. Aufgrund der Alterung der Bevölkerung soll diese Zahl bis 2020 auf voraussichtlich rund 120 Millionen ansteigen.

Für die Industrie ergäben sich durch eine Vereinheitlichung Kosteneinsparungen. Und die Kosten für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen können gesenkt werden. Und langfristig kann sich die Richtlinie positiv auf die öffentlichen Haushalte auswirken, da dadurch die Autonomie älterer oder behinderter Menschen gestärkt wird.

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