Schlüsselfiguer mehrerer Skandale
Italiens skandalumwitterter Ex-Freimaurerchef Licio Gelli ist am Dienstagabend in seiner Villa nahe der toskanischen Stadt Arezzo gestorben. Der 96-jährige Unternehmer, ehemaliger Chef der verbotenen Freimaurerloge Propaganda Due (P2), war vor Kurzem wegen Gesundheitsbeschwerden ins Krankenhaus eingeliefert worden.
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Gelli galt als graue Eminenz Italiens und als Schlüsselfigur mehrerer politischer Skandale, die Italien in der Nachkriegszeit schwer belasteten. Die Loge stand auch mit der Mafia in Verbindung, etwa mit dem sizilianischen Mafia-Clan von Salvatore „Toto“ Riina. Gelli selbst war Mitglied des Malteserordens und des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem. In den letzten Jahren widmete sich Gelli, der an einer Herzschwäche litt, vermehrt der Schriftstellerei.
Von den Nazis zur CIA
Während des Faschismus meldete sich der 1919 in Pistoia geborene Gelli als Freiwilliger für die „Schwarzhemden“ - eine Miliz, die vom faschistischen Diktator Benito Mussolini nach Spanien geschickt wurde, um an der Seite Francos im Bürgerkrieg zu kämpfen. Später wurde Gelli Verbindungsoffizier der „Schwarzhemden“-Leitung zu Nazi-Deutschland mit Kontakten zu Hermann Göring. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Gelli vermutlich für die CIA.
Die Aktion Gladio und der Anschlag in Bologna
Gellis mutmaßliche geheimdienstliche Aktivitäten brachten ihm den Vorwurf ein, eine einflussreiche Rolle im Gladio-Projekt gespielt zu haben. Hierbei handelte es sich um eine Art zivile Geheimarmee, aufgebaut von der CIA und der NATO. Sie sollte im Falle einer kommunistischen Regierungsteilnahme in Italien oder anderen europäischen Ländern zu Guerillamethoden greifen.
Einige der mutmaßlichen P2-Mitglieder sollen direkt oder indirekt an den zahlreichen Attentaten, Putschversuchen und terroristischen Aktionen der 1960er und 1970er Jahre beteiligt gewesen sein. Eine wichtige, bis heute nur teilweise aufgeklärte Rolle spielte dabei die Stay-Behinde-Organisation Gladio. Auch die Roten Brigaden sollen von Gladio-Mitgliedern unterwandert gewesen sein.
Mehrere Terroranschläge, etwa auf dem Hauptbahnhof von Bologna am 2. August 1980 mit 85 Toten, wurden ursprünglich den Roten Brigaden zugeschrieben. In Gerichtsverfahren wurde die Urheberschaft von Rechtsextremisten erwiesen, die mit Gladio in Verbindung standen. Gelli selbst wurde unter anderem wegen Irreführung der Untersuchungen über den Anschlag in Bologna verurteilt. Die mutmaßlichen Hintermänner des Anschlags wurden nie ausgeforscht und vor Gericht gestellt.
Netzwerk bis in die höchsten Kreise
Im Jahr 1981 entdeckte man bei einer Hausdurchsuchung von Gellis Villa bei Arezzo eine Liste mit den Namen zahlreicher Militäroffiziere, Politiker und Personen des öffentlichen Lebens, die sich in der Geheimloge P2 engagierten. Darunter waren die Namen von über 900 Politikern und Industriellen, unter anderen der spätere Ministerpräsident Silvio Berlusconi, sowie von führenden Bankiers wie Michele Sindona und dem als „Bankier Gottes“ bekannten Roberto Calvi. Die Entdeckung der Liste führte zu einem nationalen Skandal, weil zahlreiche Ämter der italienischen Republik mit Gefolgsleuten Gellis besetzt waren.
In Tod des „Bankiers Gottes“ verstrickt?
Unter anderem wurde der Verdacht geäußert, Gelli sei in die mutmaßliche Ermordung des Mailänder Bankiers Calvi in den 80er Jahren verwickelt, der wegen des Zusammenbruchs seiner Banco Ambrosiano in Untersuchungshaft gesessen war und später erhängt an der Londoner Blackfriars Bridge gefunden worden war. Calvi galt als Bankier der Mafia und des Vatikans und war wegen Geldwäsche im Visier der Ermittler. Der „Bankier Gottes“ hatte sich zuvor in undurchsichtige Finanztransaktionen mit der Vatikanbank IOR, P2 und der Mafia verstrickt. Dabei verschwanden zwischen 1972 und 1981 mehr als 1,3 Mrd. Dollar.
Der Bankrott der Banco Ambrosiano war der größte Bankenzusammenbruch in der italienischen Nachkriegsgeschichte, deren genaue Hintergründe bis heute im Dunkeln liegen. Immer wieder war von illegalen Geschäften sowie von Verstrickungen hoher Politiker die Rede. Calvi war seinerzeit zunächst vor seinem Tod mehrere Tage lang spurlos verschwunden, angeblich hatte er eine Tasche mit belastenden Unterlagen über hohe italienische Politiker bei sich.
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