Aufstieg eines „Unwählbaren“
Im Jänner starten mit dem US-Bundesstaat Iowa die Vorwahlen für die Kür der US-Präsidentschaftskandidaten. Noch gilt Hillary Clinton als quasi konkurrenzlose Kandidatin für die Demokraten, doch mit Bernie Sanders bringt ein Außenseiter die Politikerin in unerwartete Bedrängnis. Das führt zu Windungen im Wahlkampf und Kritik aus den Reihen der Demokraten.
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Sich selbst bezeichnet der Senator von Vermont als „demokratischen Sozialisten“, dessen Ansichten sich noch am ehesten mit denen europäischer Sozialdemokraten vergleichen lassen. Der 74-Jährige verlangt eine scharfe Kehrtwende in der Wirtschafts- und Klimapolitik, tritt als Vertreter der arbeitenden Mittelschicht sowie der Arbeiterklasse auf und wettert gegen „die Bonzen oben“ sowie das Diktat der Wall Street über den US-Kongress. Für viele US-Amerikaner steht der 74-Jährige damit allerdings unwählbar weit links.
Beachtliche Umfragewerte
Bei anderen sorgt die neue Tonart im Land der Selfmade-Mentalität für Begeisterungsstürme: Derzeit prognostiziert die Umfrageseite RealClearPolitics zu 54,2 Prozent einen Clinton-Sieg bei den Demokraten, Sanders folgt mit 32,6 Prozent. Ein derartiger Erfolg schien im Vorfeld so gut wie unmöglich zu sein.
Sanders’ politische Wurzeln liegen in der Studentenbewegung der 60er, er engagierte sich für die Rechte afroamerikanischer Bürger und gegen den Vietnamkrieg. Sein erstes Amt hatte der Sohn jüdischer Einwanderer aus Polen ab 1981 als Bürgermeister von Burlington, 1990 schaffte er den Sprung ins Repräsentantenhaus nach Washington. 2006 gewann er einen Senatssitz und wurde 2012 mit 71 Prozent der Stimmen wiedergewählt.
Clintons Kehrtwende
Trotz aller Skepsis gegenüber dem Schlagwort Sozialismus dürfte das Programm bei vielen US-Wählern einen Nerv treffen. Das geht offenbar auch an Clinton und ihrem Team nicht spurlos vorüber. Gleich mehrmals glich Clinton ihre eigenen Positionen an die Linie von Sanders an. Unter anderem verkündete sie überraschend ihre Abkehr von der Unterstützung des Abkommens zur Transpazifischen Partnerschaft (TPP), den sie vor einigen Monaten noch zum „Goldstandard“ erhoben hatte.
Beobachter innerhalb und außerhalb der Partei kritisieren diesen Wankelmut. Während Donald Trump offen wettert, der „wahnsinnige“ Sanders treibe Clinton nach links, sind die missgestimmten Töne aus der Partei subtiler. Wie der „Guardian“ berichtet, sieht vor allem der liberale Flügel der „Neuen Demokraten“ den Schwenk nach links kritisch. Die Strömung versucht mit dem „Dritten Weg“ - einer Synthese zwischen konservativ-liberaler Wirtschaftspolitik und linksgerichteter Sozialpolitik - rechts und links zu vereinen und feierte ihren Höhepunkt während Bill Clintons Präsidentschaft.
Ein „Sozialist Schrägstrich Kommunist“
Trump, derzeit Favorit bei den republikanischen Kandidaten, ließ bis dato übrigens auch sonst kaum ein gutes Haar an Sanders: Der parteilose Kandidat sei aufgrund seiner Forderung nach einer hohen Besteuerung für Reiche ein „Sozialist Schrägstrich Kommunist“.
Der Demokrat Martin O’Malley, der einzige verbleibende Gegenkandidat des rivalisierenden Duos, versucht sich zwischen Sanders und Clinton zu positionieren und daraus Profit zu ziehen. Viel Erfolg dürfte der Ex-Gouverneur von Maryland damit nicht haben: Seine Umfragewerte befinden sich immer noch im einstelligen Bereich.
„Feel the Bern“
Unter seiner Gefolgschaft wird Sanders indes gefeiert wie ein Star. Diese sammelte bis September rund 26,8 Millionen Dollar ein - das ist fast so viel, wie Clinton lukrieren konnte. Der durchschnittliche Spendenbetrag pro Kopf sind dabei 30 Dollar, was bedeutet, dass sich Sanders auf sehr viele Kleinspender verlassen kann. Andererseits ist er der einzige Kandidat ohne Unterstützung eines „Super-PAC“, einer Organisation, die anonym Geld von Reichen und Unternehmen sammelt und damit den Wahlkampf stützt.
Doch es geht nicht nur um materielle Unterstützung: Wie bereits bei US-Präsident Obamas erster Präsidentschaftskampagne 2008 werden viele Unterstützer als Wahlwerber der Kampagne unter dem Slogan „Feel the Bern“ aktiv, organisieren Veranstaltungen programmieren Apps und gestalten Webauftritte. Sanders profitiert vom Engagement der Graswurzelbewegung - diese zeigt sich vor allem von Sanders vermeintlicher Beständigkeit und der Resistenz gegenüber Korruption.
Rückhalt bei Jungen
Rückhalt genießt Sanders vor allem bei den jungen Wählern. Laut einer aktuellen Umfrage des Senders CBS und der „New York Times“ hat Sanders mehr Unterstützer unter den Jungen als alle anderen Kandidaten. Wo er hinterherhinkt, sind die großen Wählergruppen der Schwarzen und Latinos - gerade erstere ist ein Rückgrat von Clintons Kampagne. Deswegen geht Sanders jetzt in diesen Gruppen auf Wählerfang, gibt öffentlich seine Unterstützung für die „Black Lives Matter“-Kampagne und die schwarze Studentenbewegung kund.
Sanders sieht sich in Tradition von Roosevelt
Mitte November versuchte Sanders bei einer mit Spannung erwarteten Rede in der Georgetown University in Washington, seinen „demokratischen Sozialismus“ zu erklären - und stellte sich dabei in eine direkte Reihe mit dem ehemaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und dessen sozialpolitischen Reformen. Die damals eingeführte 40-Stunden-Woche und der Mindestlohn seien auch als „sozialistisch“ gegeißelt worden, meinte Sanders.
Richtige Freiheit müsse auch wirtschaftliche Absicherung beinhalten, sagte Sanders: „Das war Roosevelts Vision vor 70 Jahren. Und das ist meine Vision heute.“ Zudem versuchte er den in den USA verpönten Begriff „Sozialismus“ salonfähig zu machen. Wenn man ihre Ideen ansehe, dann wären auch Martin Luther King, der ehemalige Präsident Lyndon B. Johnson und Papst Franziskus als Sozialisten zu bezeichnen. Heute gebe es in Amerika nicht nur enorme Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen, sondern auch ein Machtgefüge, das die Reichen beschütze.
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