Präsidentenwahl wirft Schatten voraus
Mit ihrem triumphalen Wahlsieg bei den Regionalwahlen in Frankreich hat die rechtsextreme Front National (FN) ein politisches Erdbeben ausgelöst. Die Anti-Europa-Partei kam landesweit auf knapp 28 Prozent der Stimmen. Zudem lag sie in sechs der 13 Regionen voran. Dicht dahinter folgten die Konservativen. Die Sozialisten von Präsident Francois Hollande landeten abgeschlagen auf dem dritten Platz. Alle Parteien schielen bereits auf die Präsidentenwahl 2017.
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Zunächst aber ist am 13. Dezember die zweite Runde der Regionalwahl zu schlagen, bei alle Kandidaten antreten dürfen, die die Zehnprozenthürde überschritten haben. Die Sozialisten verzichten für die zweite Runde in Nord-Pas-de-Calais-Picardie, in Provence-Alpes-Cote d’Azur und in Alsace-Champagne-Ardenne-Lorraine auf eigene Kandidaten. Ein Rückzug der sozialistischen Listen vergrößert die Chancen für die konservativen Kandidaten, sich im zweiten Wahlgang gegen die FN durchzusetzen.
Umstrittene Strategie
Allerdings bedeutet das auch, dass die Sozialisten in diesen Regionalparlamenten in den kommenden Jahren keinen einzigen Abgeordneten stellen. In der Region Elsass-Lothringen-Champagne-Ardenne weigerte sich der Spitzenkandidat der Sozialisten, Jean-Pierre Masseret, am Montag seine Liste zurückzuziehen - obwohl Parteichef Jean-Christophe Cambadelis ihn dazu aufgefordert hatte.
Bei den Konservativen hatte Parteichef Sarkozy schon am Sonntagabend klargestellt, es würden weder Listen zurückgezogen noch mit den Sozialisten zusammengelegt. Das konservativ-bürgerliche Lager sei „die einzig mögliche Alternative“. Aus dem Umfeld von Premierminister Manuel Valls wurde das umgehend als „große Verantwortungslosigkeit“ verurteilt.
Auch Sarkozy als Verlierer
Doch auch das konservative Lager ist in der Frage gespalten. Die Zentrumsparteien, die bei den Regionalwahlen mit Sarkozys Republikanern zusammenarbeiteten, sprachen sich dafür aus, die Listen in bestimmten Fällen zurückzuziehen. Auch bei den Republikanern stehen bei Weitem nicht alle hinter Sarkozy.
Denn der ehemalige Präsident gehörte ebenfalls zu den Verlierern der Wahl, heißt es etwa in einem Kommentar des Onlineportals Politico. Zwar liegen die Republikaner an zweiter Stelle, der erklärte Plan, die Front National mit ebenso harter Rhetorik und Politik nachzuahmen, ging nicht auf.
FN-Erfolg nicht überraschend
Von einem „Schock“ sprachen am Montag unisono die konservative Tageszeitung „Le Figaro“ und das kommunistische Blatt „L’Humanite“. Ganz überraschend kommt der Erfolg freilich nicht. Schon bei der Europawahl 2014 wurde die Front National stärkste Kraft - konnte nun aber noch einmal zulegen. Regionalwahlen gelten zunächst in Frankreich fast immer als schwierig für die regierenden Parteien. 2010 - damals noch mit Sarkozy als Präsident - gingen die Sozialisten als Sieger aus der Wahl hervor.
Le Pens Strategie ging auf
Vor allem aber zeigt der etwas gemäßigtere Kurs von Parteichefin Marine Le Pen Wirkung: Sie versuchte die Partei von den offen rechtsextremen Anwandlungen, wie sie ihr Vater Jean-Marie Le Pen äußerte, zu säubern und ihr ein moderneres Antlitz zu verpassen - freilich ohne fremden- und islamfeindliche Position aufzugeben.

AP/Michel Spingler
Parteichefin Marine Le Pen sichtlich zufrieden
Schließlich spielte ihr nicht nur die Schwäche von Hollande und Sarkozy in die Hände, sondern die Terroranschläge von Paris. Die Debatte nach den Attentaten war Wasser auf die Mühlen ihrer Forderungen nach einem harten Kurs in der EU- und Migrationspolitik. „Danke Daesch (die mittlerweile gängige Bezeichnung der Terrormiliz Islamischer Staat, Anm.), danke Hollande“, titelte ein Kommentar auf dem Politblog Rue89.com.
Ökonomische Probleme
Beobachter weisen darauf hin, dass der Wahlerfolg der Front National auch ökonomische Gründe hat: Der Arbeitsmarkt hat sich seit der Finanzkrise nicht erholt, derzeit liegt die Erwerbslosenquote mit 10,6 Prozent auf dem höchsten Stand seit 1997. Eine Erholung ist nicht in Sicht. Auch die Wirtschaft schwächelt: Zwischen 1996 und 2011 schaffte Frankreich ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent. 2014 reichte es gerade zu einem Miniplus von 0,2 Prozent, in diesem Jahr sollen es 1,2 Prozent sein.
Ein Grund für die Probleme auf dem Arbeitsmarkt ist die Deindustrialisierung. Die Industrie trägt in Frankreich inzwischen nur noch 11,2 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei, nachdem es im Jahr 2000 noch knapp 16 Prozent waren. Im weltweiten Standortvergleich des World Economic Forum (WEF) findet sich Frankreich nur auf Rang 22 wieder. Sie schränkt die Möglichkeiten des Staates ein, steuerliche Anreize für Investitionen zu setzen. Der Standort ist zudem vergleichsweise teuer.
Folgen für Präsidentschaftswahl?
Die Zeitung „Le Parisien“ sieht die Partei von Marine Le Pen eineinhalb Jahre vor den Präsidentschaftswahlen „an den Toren der Macht“. Genau die Frage, was die Regionalwahl für die Präsidentschaftswahl in 18 Monaten bedeuten kann, ist aber umstritten. Derzeit präsentiert sich das Bild einer zersplitterten Politlandschaft, wie das Portal Slate schreibt. Alle drei Lager liegen bei rund einem Drittel der Stimmen.
Sollte die Front National tatsächlich in einigen Regionen an die Macht kommen, wäre sie plötzlich zum Regieren gezwungen. Möglicherweise würde sich dabei herausstellen, dass die Partei keine Lösungen anzubieten hat, wie die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt. Allerdings: Die Regionalregierungen haben in Frankreich vergleichsweise wenig Handlungsspielraum.
Le-Pen-Konkurrenz in der Familie
Unklar ist auch die Frage, wie es in der Front National selbst weitergeht. Jean-Marie Le Pen scheint von seiner Tochter nun endgültig - auch per Gericht - abserviert worden zu sein. Dafür ging am Sonntag der Stern ihrer erst 25-jährigen Nichte Marion Marechal-Le Pen auf, die in der Region Provence-Alpes-Cote d’Azur mit knapp 41 Prozent deutlich in Führung liegt. Sie ist in der Einwanderungspolitik als noch radikaler als die Parteichefin bekannt - und könnte die Tradition des offenen Familienstreit in der FN fortsetzen.
Sozialisten unter Zugzwang
Welche Chancen Sarkozy haben wird, scheint derzeit unklar. Er und seine Republikaner müssten schon das eine oder andere Ass im Ärmel haben - oder darauf vertrauen, dass er in einer Stichwahl um die Präsidentschaft gegen Le Pen von zähneknirschenden Sozialisten unterstützt wird.
Für diese sieht es freilich nicht gut aus. Präsident Hollande schaffte es zwar, mit seiner martialischen Antwort auf die Paris-Attentate seine jahrelang im Keller herumgrundelnden Popularitätswerte plötzlich wieder zu heben, auf eine Wiederwahl zu hoffen wäre derzeit aber vermessen. Er ließ bisher auch ein Antreten offen. Verzichtet er, wäre wohl Premier Manual Valls erster Kandidat der Sozialisten - auch er gilt eher als Vertreter des rechten Flügels der Partei.
Am Sonntag ins Rampenlicht geschoben hat sich Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian, der den Sozialisten in der Bretagne zum ersten Platz verhalf. Allerdings ist er mit 68 Jahren nicht mehr der Jüngste.
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