Betrug mit Zuckerwasser
Die Herstellung von Ahornsirup ist langwierig und mühsam, das Produkt wertvoll und für Kriminelle lukrativ. Das Aufkommen gepanschter Ware bereitet Kanada große Sorgen, aber auch die offizielle Vereinigung der Ahornsirupproduzenten von Quebec steht zunehmend in der Kritik. Diebstahl im großen Stil war nur die Spitze des Eisbergs und brachte die zweifelhaften Praktiken des Verbandes ans Licht.
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Die Wintersaison in Kanada 2011/2012 war ungewöhnlich warm, die Ernteerträge von Ahornsirup gerieten entsprechend mager, und die Preise dafür schnellten in die Höhe. Die Vorzeichen für ein eher ungewöhnliches Verbrechen standen also gut: Im Laufe des Jahres 2012 zapften Kriminelle 5.000 Tonnen Sirup aus in einer Lagerhalle aufbewahrten Fässern in Quebec ab und ersetzten ihre Beute durch Wasser.
Sirup im Wert von Millionen Dollar
Beileibe kein Bagatelldelikt: Auf 18 Millionen kanadische Dollar (ca. zwölf Mio. Euro) belief sich der Wert der süßen Ware. Schon im September 2013 konnten 23 am Diebstahl Beteiligte verhaftet werden. Die Behörden brüsteten sich damit, sämtliche Mitglieder der als Ahornsirup-Mafia bekannten Bande dingfest gemacht zu haben. Immerhin: 3.400 Tonnen des gestohlenen Sirups konnten sichergestellt werden.
Süßes Allzweckmittel
Ahornsirup ist der eingedickte Saft des Zuckerahorns und ein in ganz Nordamerika beliebtes natürliches Süßungsmittel. Quebec ist zwar die Hochburg der Sirupproduktion, doch auch andere kanadische Provinzen und US-Bundesstaaten sind groß im Geschäft.
Verantworten müssen sich die Männer wegen „gemeinschaftlicher Verschwörung, Diebstahls, Hehlerei und Betrugs“. Derart viel Wirbel um den Saft ist wirtschaftlich bedingt, kommen doch 71 Prozent der weltweiten Ahornsirupproduktion aus Quebec. Zu behaupten, Ahornsirup sei ein Nationalheiligtum, ist also nicht weit hergeholt: Nicht umsonst ziert seit 50 Jahren ein Blatt vom Zuckerahornbaum die kanadische Flagge, also jener Pflanze, aus welcher der Süßstoff gewonnen wird.
Wetterabhängige Ernte
Im Zuge des für europäische Ohren skurril klingenden Sirupdiebstahls wurde zumindest in Kanada eine breite Öffentlichkeit auf eine Organisation aufmerksam, die bis dahin im Stillen operieren konnte: die Federation des producteurs acericoles du Quebec (etwa: Vereinigung der Ahornsirupproduzenten von Quebec). Sie wurde 1966 ins Leben gerufen, um die Preise des Produkts, das je nach jährlicher Wetterlage in größeren oder geringeren Mengen gewonnen werden kann, zu regulieren.

Reuters/Brian Snyder
Tropfen für Tropfen wird Ahornsaft gewonnen und danach zu Sirup verarbeitet
Mittlerweile gehören der Vereinigung, die von der Regierung nicht nur genehmigt ist, sondern auch per Gesetz unterstützt wird, eigenen Angaben zufolge 13.500 Hersteller an. Laut „New York Times“ ist die Föderation seit 1990 der einzige Großhändler der Ahornprodukte Quebecs, seit 2004 darf sie bestimmen, wer wie viel Sirup herstellen darf. Für die meisten Mitglieder haben die Bestrebungen der Vereinigung tatsächlich ihr Gutes.
Beschlagnahmung des gesamten Ertrags
Dank der anhaltend hohen Preise, die einzig von der Föderation und nicht von den einzelnen Betrieben bestimmt werden, konnten viele das Anzapfen von Ahornbäumen vom Neben- zum Vollerwerb ausbauen. Doch nicht wenige fühlen sich enteignet. Steht ein Betrieb im Verdacht, die strengen Auflagen nicht zu erfüllen oder sich seine Abnehmer gar auf eigene Faust zu suchen, muss er mit ernsten Konsequenzen rechnen. Im schlimmsten Fall kann der gesamte Ertrag konfisziert werden - bis auf den letzten Tropfen.

Reuters/Brian Snyder
Ein Ahornsirupfarmer erntet die Früchte seiner Arbeit
All das, so die „New York Times“ weiter, ist nicht weniger als Gebaren im Stile eines Kartells. Doch der kanadischen Ahornsirupbranche droht weitere Unbill. Da die Produktion von Ahornsirup sowohl arbeits- als auch zeitaufwendig ist, gerät immer mehr mit Zuckerwasser gepanschte Ware in Umlauf. Laut „Süddeutscher Zeitung“ ist mittlerweile eine extra zu diesem Zweck gegründete Sonderabteilung der Polizei im Einsatz, die verdächtige Ware auf Herz und Nieren prüft.
Hollywood verfilmt den Stoff
Das allerdings lässt sich nur innerhalb der kanadischen Grenzen bewerkstelligen. Immerhin haben einige US-Staaten an der Ostküste das Strafmaß für das Fälschen von Ahornsirup von einem Jahr auf fünf Jahre Gefängnis erhöht. Und als wäre die mediale Aufregung angesichts der Umtriebe um die klebrige Flüssigkeit nicht genug, berichtete der britische „Guardian“ nun, dass sich Hollywood die Rechte an der Geschichte des großangelegten Sirupraubs bereits gesichert habe. In der Hauptrolle: Jason Segel. Dessen Charakter in „How I Met Your Mother“ hatte ja auch eine Schwäche für Süßes.
Christian Kisler, ORF.at
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