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Weiterhin Skepsis bei Ärzten

Jahrelang ist darüber diskutiert worden, mehrfach wurde der Start verschoben, Widerstand und Verunsicherung unter Ärzten und Patienten war groß: Am Mittwoch startet der Elektronische Gesundheitsakt (ELGA) nun in einigen Spitälern in der Steiermark und in Wien. Das ELGA-Portal soll in Vollbetrieb gehen. Die elektronische Vernetzung von Gesundheitsdaten bleibt aber umstritten.

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Die für die Umsetzung Verantwortlichen wie die ELGA GmbH, der Hauptverband der Sozialversicherungsträger und die Spitalsbetreiber gaben sich im Vorfeld optimistisch. Anfängliche Kinderkrankheiten schlossen sie allerdings nicht aus. Es handle sich um einen sehr komplexen Vorgang: „Es wird kein Spaziergang“, warnte Volker Schörghofer, stellvertretender Generaldirektor im Hauptverband.

In den letzten Wochen vor dem Start wurde - teils auch mit virtuellen Patienten - die Vernetzung und Verschiebung von Daten getestet. Am Mittwoch verkündete ELGA-Chefin Susanne Herbek jedenfalls einen plangemäßen Start: „Seit 9.00 Uhr läuft das System klaglos.“

Ärztekammer abwartend kritisch

Die Ärztekammer bleibt skeptisch, gibt sich aber etwas offener als in den vergangenen Jahren. Noch 2011 warb sie mit nackten Werbesujets und warnte, dass ELGA Patienten „bloßstellt und das letzte Hemd kostet“. Das klingt inzwischen anders. ELGA müsse sicher und bedienerfreundlich sein sowie „aktuelle, vollständige Daten in hoher Qualität zur Verfügung stellen“, so der Vizepräsident der Ärztekammer, Harald Mayer, wenige Tage vor dem ersten ELGA-Start. Ein zeitlicher Mehraufwand durch Pannen oder ein unausgegorenes System sei angesichts der ohnehin schon extrem angespannten Arbeitssituation in den Spitälern nicht zu verkraften.

Ärztekammer-Präsident Artur Wechselberger ließ im Vorfeld des Teilstarts von ELGA offen, ob die Ärzte das neue System voll annehmen werden. Der Start in Wien und der Steiermark sei „die Nagelprobe, ob es funktioniert oder nicht“. Wenn die Benutzerfreundlichkeit nicht ausreiche und es für die Ärzte nicht praktikabel sei, könne er sich auch vorstellen, dass sich die Ärzte „wehren“. Wechselberger befürchtet eine Zunahme der Bürokratie in den Spitälern. Auch Schörghofer ist überzeugt, dass insbesondere auch bei dem EDV-System laufend Verbesserungen gemacht werden müssen.

„Es ist ein Irrsinn“

Der Österreichische Hausärzteverband warb für einen Ausstieg aus dem System. Bisher meldeten sich 226.000 Menschen von ELGA ab. Der Großteil davon stieg bereits 2014 aus dem System aus. Die Abmeldungen haben sich laut Herbek inzwischen aber radikal reduziert. Christian Euler, Präsident des Hausärzteverbands, kann im ORF.at-Gespräch ELGA nach wie vor wenig abgewinnen: „Es gibt ein riesiges Missverhältnis zwischen einem denkbaren Zugewinn und dem realen Aufwand an Kosten und Hirnschmalz.“

Das System sei noch nicht ausgereift: „Es ist ein Irrsinn, ELGA nun mit Echtdaten zu testen.“ Der Arzt erwartet zudem einen größeren Zeitaufwand mit ELGA. Die Abhängigkeit von einem „zentralistischen Apparat“ nehme zu. Auch die Verunsicherung unter den Patienten werde sich vergrößern, ist Euler überzeugt: „Patienten können die Befunde oft nicht einordnen und wollen es mit ihrem Arzt besprechen.“

Patienten können Befunde sperren

Die Gefahr eines bürokratischen Mehraufwands sieht Herbek nicht: „Die neue Anwendung wurde so nutzerfreundlich und auf der bisher vertrauten Anwenderoberfläche gemacht, dass sie mit wenig Zusatzaufwand bedient werden kann“, sagte sie gegenüber ORF.at. Entlassungsbriefe und Befunde sollen so künftig online von Ärzten und auch Patienten abrufbar sein. Es liegt aber in der Entscheidung der Patienten, ob sie ihre Befunde für ELGA freigeben. Herbek: „Das bleibt den Patienten vorbehalten.“

Sie würde es aber auch im Sinne eines umfassenden Bildes über den Gesundheitszustand eines Patienten begrüßen, wenn diese Informationen nicht verschwiegen werden. Ärzte befürchteten, dass durch das Verschweigen von Diagnosen und Befunden ELGA Lücken aufweisen könne. An persönlichen Gesprächen führe auch mit ELGA kein Weg vorbei, betonte Herbek: „Auch mit ELGA begrüße ich es, wenn Ärzte weiterhin mit den Patienten sprechen und nachfragen.“

Schrittweise ELGA-Einführung

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) erhofft sich mit ELGA eine Erleichterung für die Patienten. Bis 2017 soll der Vollbetrieb abgeschlossen sein.

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) sieht Österreich mit ELGA europaweit in einer Vorreiterrolle. Sie erhofft sich Zeitersparnis, einen besseren Überblick und eine Verhinderung von Mehrfachuntersuchungen.

Vorreiter Steiermark

Die größte Umstellung gibt es in der Steiermark. Dort soll ab Mittwoch an allen Landeskrankenhäusern ELGA angewandt werden. In Wien ist man etwas vorsichtiger. Hier starten nur einige Abteilungen des Spitals Hietzing. Zunächst sollen Entlassungsbriefe und Laborbefunde gespeichert werden. Röntgenbefunde sollen erst zu einem späteren Zeitpunkt über ELGA vernetzt werden können.

Befunde vergangener Jahre werden nicht nachträglich in das System eingebaut. Entsprechend wird sich für die Patienten in der Anfangsphase noch wenig ändern. Anfang 2016 ist die Umsetzung in weiteren Spitälern des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV) geplant, im Frühling soll auch das AKH Wien als größtes Spital Österreichs folgen.

Mit dieser „kontrollierten Inbetriebnahme“ könne man noch organisatorische Verbesserungen durchführen und mögliche technische Probleme ausbügeln, so die am Projekt Beteiligten. Ärzte im niedergelassenen Bereich haben noch etwas länger Zeit. Ab Mitte 2016 können sie freiwillig an ELGA teilnehmen. Ab Mitte 2017 soll der Gesundheitsakt auch für sie verpflichtend sein.

Langfristig Einsparungen erwartet

Die Steiermark ist auch das Testgebiet für das Projekt E-Medikation. In der Region Deutschlandsberg sollen ab dem zweiten Quartal 2016 auch die von Ärzten verschriebenen und von Apotheken abgegebenen Medikamente gespeichert werden. Eine automatische Überprüfung der Wechselwirkungen soll es nicht geben. Ärzte können diese aber nach einer auch für den Patienten einsehbaren Liste überprüfen und Doppelverschreibungen vermeiden.

Langfristig sollen dadurch auch Spareffekte sichtbar werden. Bereits ab 2017 erwartet sich die Politik eine Kostendämpfung von 129 Millionen Euro pro Jahr durch die Vermeidung von Mehrfachmedikation und Doppelbefunden. Bis dahin sind aber auch einige Millionen in den Aufbau und die Umsetzung des Systems geflossen. Bund, Länder und Sozialversicherung investieren zwischen 2010 und 2017 rund 130 Millionen Euro. Ab 2018 werden jährliche Kosten von etwa 18 Millionen Euro erwartet.

Simulierte Hackerangriffe

Die Daten, die mit der Zeit gespeichert werden, ersparen dem Patienten, selbst Befunde mitzunehmen. Auf der E-Card sollen auch weiterhin keine Gesundheitsdaten gesammelt werden. Dennoch war von Kritikern immer wieder die mangelnde Datensicherheit bei ELGA ins Treffen geführt worden. Dem wollte man mit simulierten Hackerangriffen vorbeugen. Externe Firmen hätten in „Penetrationstests“ versucht, das System zu knacken, so Schörghofer. Das ELGA-System sei sicher, betonen die Projektverantwortlichen.

Gesundheitsministerin Oberhauser über ELGA

Oberhauser über sicherheitstechnische Bedenken im Zuge des Starts von ELGA und über den Vorwurf der Zweiklassenmedizin.

Die Informationen werden allerdings nicht zentral gespeichert, sondern vernetzt. Dadurch wird ein Großangriff auf ELGA-Daten auch schwieriger. Denn die Dokumente werden wie bisher auch in den jeweiligen Gesundheitseinrichtungen gespeichert, mit ELGA werden sie nun vernetzt. Wechselberger sieht allerdings weiterhin Sicherheitsbedenken als „gegeben“.

Im Ö1-Morgenjournal bekräftigte auch Datenschützer Hans Zeger von der ARGE Daten, dass das technische Konzept nicht auf dem Stand der Technik sei - mehr dazu in oe1.ORF.at. ELGA würde niemals eine Sicherheitszertifizierung nach internationalem Standard bekommen. Herbek kann diese Sichtweise nicht nachvollziehen.

Oberhauser: Daten „sind sicher“

Ministerin Oberhauser verteidigte Montagabend in der ZIB2 die Sicherheit von ELGA. Die Daten „sind sicher“, so Oberhauser. Das System sei durchleuchtet und geprüft und werde sich parallel zu technischen Fortschritten weiterentwickeln. Auch die Wirtschaftskammer begrüßte den ELGA-Start. Gleichzeitig forderte der zuständige Abteilungsleiter Martin Gleitsmann aber Verbesserungen. Der Nutzen des Systems wird seiner Ansicht nach dadurch wesentlich eingeschränkt, dass der Patient alle Daten seiner Wahl ausblenden kann.

Auch die ÖVP-Seniorensprecherin und stellvertretende Obfrau des Seniorenbundes, Gertrude Aubauer, sieht mit ELGA einen „Fortschritt“. Heftige Kritik an ELGA übte neuerlich die FPÖ. FPÖ-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch-Jenewein hält ELGA für eine „sauteure Augenauswischerei, die weder den Ärzten noch den Patienten irgendetwas Positives bringen wird“.

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