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Ein Vierteljahrhundert Bürgerkrieg

Das Jahr 1991 ist ein Wendepunkt in der Geschichte Somalias: Oppositionelle Gruppen stürzten die 22 Jahre andauernde Militärdiktatur des damaligen Präsidenten Siad Barre. Seitdem tobt ein Bürgerkrieg im Land. Die verfeindeten Nachbarländer Äthiopien und Kenia könnten die Situation nun weiter anheizen, sagt Tim Glawion vom German Institute of Global and Area Studies (GIGA) gegenüber ORF.at.

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Barre hatte das Land während seiner Regentschaft zunehmend in die Korruption geführt, Clans gegeneinander ausgespielt und Regimekritiker gewaltsam unterdrückt. Die bereits zu Barres Zeiten verfeindeten Rebellengruppen und Clans kämpfen nun seit einem Vierteljahrhundert um die Macht im zerrütteten Land. Heuer sollen in Somalia Parlaments- und Präsidentenwahlen stattfinden – es wären die ersten demokratischen Wahlen seit dem Barre-Regime.

„Regierung gehen die Freunde aus“

Seit 2012 hat Somalia eine föderale Regierung unter dem vom Parlament gewählten Präsidenten Hassan Sheikh Mohamud. Dieser gehen jedoch langsam die Freunde aus, so Glawion. „Im Süden regiert der prokenianische Milizenführer Ahmed Madobe die autonome Region Jubaland, und im Zentrum versucht die sufistische Bewegung Ahlu Sunna Waljama’a, lange ein Unterstützer der Regierung, einen eigenen Substaat zu gründen, der sich jedoch mit dem Machtanspruch eines regierungsnahen Warlords überlappt.“ Und das sind nur zwei Beispiele für die Machtkämpfe im Land.

Chaos, Terror und Armut

Somalia war bis zu seiner Unabhängigkeit 1960 eine britisch-italienische Kolonie. Seit dem Putsch 1969 ist das Land in einer Dauerkrise. Die Mehrheit der Bevölkerung in Somalia lebt in extremer Armut. Somalia gilt weiterhin als eines der unsichersten Länder der Welt.

Die radikalislamische Al-Schabab-Miliz kontrolliert weiterhin große Teile des Hinterlandes sowie einige Städte und verübt verheerende Anschläge in der Hauptstadt. Die Regierung verwalte daher nur wenige Gebiete außerhalb von Mogadischu und sei viel weniger eine Regierung als eine Steuerungsinstanz, sagt der Somalia-Experte Glawion. Präsident Mohamud wird dafür vom Westen mit Waffen versorgt und erhält Rückhalt durch die massive Friedensintervention der Afrikanischen Union, der AMISOM, mit knapp 22.000 Truppen.

Friedensmission sorgt für neuen Konflikt

Die AMISOM könnte künftig aber für einen neuen Konflikt sorgen, bei dem die untereinander verfeindeten Nachbarländer Somalias, Kenia und Äthiopien, eine entscheidende Rolle spielen dürften: Die AMISOM biete den einzigen Rettungsanker der Regierung, sagt Glawion, „jedoch ist auch diese Mission mittlerweile umstritten“. So war es den Nachbarländern bis 2012 verboten, sich an der Mission zu beteiligen, um deren Eigeninteressen in Somalia nicht anzufeuern. Seitdem hat sich aber einiges geändert.

Äthiopische und kenianische Truppen stellen nun fast die Hälfte der Peacekeeping-Truppen und folgen keinem Zentralkommando aus Mogadischu oder der Afrikanischen Union, so der Somalia-Experte. Somit seien die von kenianischen Truppen im Süden und von äthiopischen Militärs im zentralen Westen besetzten Gebiete zumindest indirekt in den Händen des jeweiligen Nachbarlandes.

Die Rebellion autonomer Gebiete

Hinzu kommen die Machtansprüche der autonomen Regionen – allen voran Somaliland und Puntland. Kurz nach Barres Sturz erklärte sich der Norden des Landes 1991 als Somaliland einseitig für unabhängig, ebenso wie Puntland, das sich 1998 im Nordosten Somalias für autonom erklärte. Somaliland erkenne die Regierung in Mogadischu nicht an, Puntland hingegen sei eher an einer Lösung für das gesamte Land interessiert und sehe die Regierung daher differenzierter, so Glawion.

Karte zeigt Konfliktgebiete in Somalia

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: BBC

Die Einflussgebiete verschiedener politischer Gruppen im Land

Vor allem diese beiden Gebiete haben eine funktionierende Eigenverwaltung, im Gegensatz zu anderen Regionen, die ebenfalls Autonomie beanspruchen wie Südwestsomalia und Jubaland. Somaliland als nicht anerkannter Staat und Puntland als autonome Region funktionieren in Sachen Sicherheit recht gut, haben jedoch überlappende Gebietsansprüche, welche auch gewaltsam ausgefochten werden.

Al-Schabab und die Union islamischer Gerichte

Neben Machtkämpfen verfeindeter Nachbarländer und autonomer Regionen stellt auch die terroristische Al-Schabab-Miliz eine sich ständig wandelnde Bedrohung dar. Die Miliz verübt Anschläge auf die Regierung und Zivilbevölkerung – vor allem in Mogadischu. Sie kämpft für einen Gottesstaat mit strengster Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia.

Al-Schabab wurde 2006 als Jugendmiliz gegründet und war Teil des islamistischen Dachverbandes lokaler Scharia-Gerichte – der Union islamischer Gerichte. Im Juli 2008 kam es zu einem offenen Bruch zwischen al-Schabab und dem Dachverband: Die Union war im Gegensatz zur Terrormiliz bereit, einen Waffenstillstand mit der Übergangsregierung einzugehen und sich an der Regierung zu beteiligen. „Ziel war es, Streitigkeiten auch über die Clangrenzen hinweg auf Grundlage des gemeinsamen islamischen Glaubens beizulegen“, schreiben Abdirizak Sheikh und Mathias Weber in ihrem Buch „Kein Frieden für Somalia? Die somalische Tragödie und der internationale Terrorismus“.

Nachdem die Union islamischer Gerichte 2007 von äthiopischen einmarschierenden Truppen entmachtet worden war und gleichzeitig die USA wieder Luftangriffe starteten, bekam die Al-Schabab-Miliz neuen Auftrieb. „Die amerikanischen Drohnen, die massiven Invasionen Kenias und vor allem des Erzfeindes Äthiopiens sowie die repressive Gewalt der Zentralregierung tun also ihr Übriges dafür, dass al-Schabab auf unabsehbare Zeit weiterbesteht“, sagt Glawion.

Keine militärische Lösung in Sicht

Am gescheiterten Afghanistan-Einsatz könne man sehen, dass eine von außen auferlegte Stabilität nicht greife, die Ansätze müssten von innen kommen, so der Somalia-Experte. „Die Union der islamischen Gerichte brachte, ähnlich wie die Taliban in Afghanistan, ein erhöhtes Maß an Stabilität für die Bevölkerung, wurde jedoch von außen als Terrororganisation gebrandmarkt und nach kurzer Zeit an der Macht von Äthiopien gestürzt.“

Eine Alternative zu einer einseitigen Unterstützung der Regierung sei, positive Entwicklungen jeder Form stärker zu fördern und negative Trends härter zu unterbinden, so Glawion. Konkret bedeute das, Somaliland, das nunmehr seit 1997 ein erstaunliches Maß an Sicherheit geschaffen hat, zumindest den Zugang zur internationalen politischen und ökonomischen Bühne zu öffnen.

„Feuer mit Feuer löschen“

In schwächeren Abstufungen könnte das auch mit anderen positiven Beispielen geschehen, wie der teilweise friedlichen Politikgestaltung in Puntland und in den Gebieten unter der Kontrolle der Sufisten-Bewegung Ahlu Sunna Waljama’a.

„Wie wir in Somaliland sehen können, wissen die Leute vor Ort durchaus, wie Frieden zu schaffen ist. Leider finden die friedensbringenden Stimmen bei einer rein militärischen Herangehensweise nur selten Gehör“, sagt Glawion. Dazu gehören auch enorme Waffenlieferungen des Westens an die Zentralregierung in Mogadischu, die nie bewiesen habe, damit für den Schutz ihrer Bürger zu sorgen, so Glawion: „Feuer versuchen wir anscheinend auch weiterhin mit Feuer zu löschen.“

Manuela Tomic, ORF.at

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